Frauenrechtlerin über Frauen im Islam: "Das ist islamischer Feminismus"
Auf den ersten Blick unvereinbar: Islam und die Gleichberechtigung der Frau. Viele Muslima aber glaube, dass sie sich nicht entscheiden müssen, sagt die Frauenrechtlerin Amina Wadud.
taz: Frau Wadud, seit wann gibt es eine Frauenbewegung im Islam?
Amina Wadud: Historisch sehe ich die ersten Schritte eines Feminismus im Islam etwa in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Diese Frauen bezogen sich mit ihrem Engagement nicht speziell auf den Islam. Sie waren Muslimas und setzten sich vor allem für die politische Partizipation von Frauen im öffentlichen Leben ein. Dazu gehörten das allgemeine Frauenwahlrecht, Bildungsfragen oder die Menschenrechte. Oft waren diese Frauen Teil einer nationalen Bewegung, die den Wandel zur Etablierung von Nationalstaaten vorantrieb.
Mit Blick auf islamisch geprägte Länder war der Erfolg dieser Bemühungen aber mäßig?
Das vorläufige Ergebnis ihres Engagements war, dass ihre Anliegen - speziell zur Rolle der Frau im öffentlichen Leben - kaum berücksichtigt wurden. Teilweise gab es sogar Rückschritte.
Inwiefern?
Als der politische Islam an Bedeutung gewann, also zu Beginn der 70er Jahre etwa, versuchten die Fundamentalisten den Islam als perfektes System zu vermitteln, auch was die Rolle der Frau betrifft. Diese Bewegung artikulierte eine klare Treue zum Islam und ebenso eine klare Opposition zum westlichen Imperialismus - diese Haltung war für viele recht attraktiv. Die Fundamentalisten konkurrierten aber bald mit den Frauenrechtlerinnen, insbesondere bei der Frage, inwieweit Frauen Bürger zweiter Klasse seien oder eben nicht.
Die islamische Feministin und Imamin wurde 1952 als Mary Teasley geboren. Ihr Vater war methodistischer Pfarrer. Sie bekannte sich 1972 zum Islam und nahm den Namen Amina Wadud an. Bis 2008 lehrte sie als Professorin für Islamwissenschaften an der Virginia Commonwealth University in Richmond. Sie publizierte zur Rolle der Frau im Koran und plädiert für ihre Gleichstellung.
Wadud wurde zum Gegenstand einer Kontroverse, als sie am 18. März 2005 das Freitagsgebet vor einer gemischten Versammlung von über hundert Musliminnen und Muslimen leitete, was traditionell nicht üblich ist. Das Gebet fand in der Episcopal Cathedral of St. John the Divine in New York statt, nachdem drei Moscheen die Veranstaltung abgelehnt hatten und eine Galerie ihre Zusage nach einer Bombendrohung zurücknahm.
Feminismus und Islam ist kein Widerspruch in sich?
Für die Fundamentalisten war der Gedanke der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder auch die Identifikation mit den Menschenrechten Teil westlichen Gedankenguts - und mit dem Islam unvereinbar. Die Feministinnen vertraten sehr schnell die Ansicht, dass das Problem in der Religion selbst liege, und plädierten dafür, die Religion aus dem Diskurs herauszuhalten. Muslimische Frauen standen also vor der Wahl: entweder die Treue zum Islam oder die Identifikation mit den Menschenrechten. Die Mehrheit muslimischer Frauen aber identifizierte sich sowohl mit dem Islam als auch mit der Idee der Menschenrechte. Und wir Feministinnen waren davon überzeugt, dass wir diese Wahl nicht brauchen.
Die Mehrheit muslimischer Männer sieht das nicht so?
Es hat eine Zeit lang gedauert, bis wir in der Lage waren, die Vereinbarkeit von Islam und den Menschenrechten klar zu formulieren. Dass beides geht, am Islam festzuhalten und sich mit den Menschenrechten zu identifizieren, basiert auf dem Bewusstsein einer nationalen Identität und der Überzeugung, dass wir Frauen unseren eigenen Beitrag leisten müssen, den Islam zu interpretieren. Das heißt, eben auch mitzuwirken beim Auslegen islamischer Textquellen. In der Tat werden wir sehr oft missverstanden. Entweder man steckt uns in die Ecke der Islamisten oder man unterstellt uns säkulare Tendenzen.
Worin unterscheidet sich islamischer Feminismus von der herkömmlichen Frauenbewegung?
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts gibt es eine Alternative für muslimische Frauen, die sich nicht zwischen den Menschenrechten und dem Islam entscheiden wollen. Und es gibt einen Namen für das, was wir tun: islamischer Feminismus. Denn wir ziehen den Islam heran, um die Gleichwertigkeit von Mann und Frau ins Bewusstsein zu rufen. In den letzten zehn Jahren ist eine neue Dimension hinzugekommen. Es geht uns nicht mehr nur um Gleichberechtigung innerhalb der Gesellschaft, also im öffentlichen Leben, sondern auch um Gleichberechtigung innerhalb der Familie. Derzeit arbeiten wir sehr intensiv daran, unter anderem das Familienrecht zu reformieren. Es geht nicht darum, die Geschlechter einander anzugleichen, sondern Gleichberechtigung im öffentlichen wie im privaten Leben herzustellen. Wir wollen, dass Frauen die freie Wahl haben und dass diese Entscheidung respektiert wird - ganz egal ob sich Frauen beruflich engagieren oder zu Hause innerhalb der Familie. Das Bewusstsein der Vereinbarkeit von Islam und der Idee der Menschenrechte ist neu und die Zahl der Muslime, die das so sehen, wächst stetig.
In Saudi-Arabien, wo es noch immer ein Fahrverbot für Frauen gibt, ist dieses Bewusstsein einfach noch nicht angekommen?
Ich kenne Frauen in Saudi-Arabien, die sich erst kürzlich im Rahmen einer Kampagne gegen das Fahrverbot engagiert haben. Wir haben Twitter-Messages aus den USA gesendet, um sie dabei zu unterstützen.
Ein Tropfen auf dem heißen Stein?
Es wird oft übertrieben, was die Situation in Saudi-Arabien angeht, so als täte sich dort gar nichts. Gerade im Moment arbeiten saudische Frauen daran, ihre Situation zu verbessern. Auch wenn diese Frauenarbeit sich auf die jeweils lokalen Bedürfnisse konzentriert: jeder Tropfen hilft, das Fass zu füllen. Nicht alle Tropfen sind dieselben, aber wir tun sie alle hinein - und irgendwann ist das Fass der Gleichberechtigung gefüllt.
Vor sechs Jahren haben Sie erstmals vor einer gemischten Gemeinschaft in New York ein Freitagsgebet geleitet. Das sorgte für einen Eklat in der islamischen Welt. Was hat das gebracht?
Es gab natürlich viel Raum für Gegenreaktionen, aber auch ein klares Mandat für sehr viel klarere Antworten hinsichtlich der Partizipation von Frauen im öffentlichen religiösen Leben. Auch wenn es noch immer eine Minderheitshaltung ist, dass Frauen vor gemischten Gemeinschaften Freitagsgebete leiten, so ist doch die Zahl der Befürworter gewachsen. Es hat begonnen und es passiert auf unterschiedliche Art und Weise. Von einer Kollegin habe ich erst kürzlich erfahren, dass die "Mohammedia", die zweitgrößte muslimische Organisation weltweit, entschieden hat, Frauen bei der Leitung der Gebete unter bestimmten Umständen zu beteiligen. Das ist im Moment der größte Zuspruch seit dem Ereignis 2005 in New York. Es gibt Moscheegemeinden, die es befürworten, dass regelmäßig Frauen Gebete leiten. Nicht jede Woche, aber zum Beispiel im Wechsel mit den Imamen. Diese kleineren Fortschritte gibt es immer häufiger, wo immer sich Raum dafür auftut. Und das ist der Beginn dessen, wofür ich immer gekämpft habe: dass die Teilhabe von Frauen auch in religiösen Führungspositionen als Normalität betrachtet wird.
Wie beurteilen Sie die Umbrüche, die durch die arabischen Revolutionen angestoßen werden, aus der Perspektive eines islamischen Feminismus?
Etwa Mitte des vergangenen Jahrhunderts haben sich die Frauen oft im Rahmen nationaler Bewegungen für die Etablierung eines Nationalstaates engagiert. Von den Errungenschaften der postkolonialen Zeit haben sie nie in vollem Umfang profitiert. Im Gegensatz dazu sind die Frauen des arabischen Frühlings heute mit an der Basis tätig: als Politikerinnen, als Richterinnen, als Geschäftsfrauen, als Studentinnen. Sie wirken mit, auch beim Schreiben neuer Verfassungen arabischer Staaten, und sie sind sich darüber im Klaren, dass es notwendig ist, auch die Belange der Frauen mit einzubeziehen, das heißt, den vollen Zugang zu den Vorteilen einer erfolgreichen Revolution zu erhalten.
Liegt die Umgestaltung der arabischen Staaten nicht mehrheitlich wieder in der Hand der Männer?
Natürlich gibt es diese Leute, die Frauen von der Teilhabe der Errungenschaften abhalten wollen, die sagen: "Wir wollen euch gerne auf dem Tahrirplatz die Transparente hochhalten sehen, aber ihr könnt nicht für das Amt des Präsidenten kandidieren." Diese Position gibt es. Aber der Unterschied ist, dass wir jetzt eine kritische Masse von Frauen haben - und diese Frauen gehen nach der Revolution nicht einfach so nach Hause. Diese Frauen sind kompetent, sie haben Fähigkeiten, sie haben das Wissen über den Islam, sie haben die Motivation - persönlich, spirituell, politisch, akademisch und intellektuell - für ihre Teilhabe in einem neuen Ägypten, Libyen, Syrien oder Jemen zu kämpfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
FAQ zur Rundfunkreform
Wie die Öffentlich-Rechtlichen aus der Krise kommen sollen
Umgang mit Trauer
Deutschland, warum weinst du nicht?
Nahost-Konflikt vor US-Wahl
„Netanjahu wartet ab“