Kolumne Das Schlagloch: Im Lichte einer neuen Zeit
Nach 100 Jahren geht die Ära der Glühbirne zu Ende. Das Licht wird künftig kälter sein und auch fremder. Sie wird uns fehlen, die Glühbirne. Ein Nachruf.
D onnerstag ist es so weit; ein Zeitalter geht zu Ende. Höchste Zeit für einen Nachruf. Vielleicht so: Teure Verlöschende! Du warst das Licht dieser Erde! Es wird ein anderes Leben sein ohne Dich. Kälter wird es sein und fremder. Und vielleicht werden auch wir kälter und fremder werden im giftig verstrahlenden Quecksilber-Schein nach dir. Wer könnte Dich ersetzen?
Dein Leben hing immer an einem dünnen Faden, ja es war dieser Faden selbst. Zuerst war er aus Platin, später aus Osmium, dann aus Tantal, schließlich aus Wolfram. Wie oft ist er gerissen, und dann wurde es finster um uns.
Aber Du warst nie nur eine, Du warst viele, und so gewannst Du Dir und uns Unsterblichkeit. Licht der Erde! Mögen Deine Mörder sich ihre Strafe selbst bestimmen!
Du wirst uns fehlen, Du Sonnenhafte. Jeden Morgen und jeden Abend werden wir an Dich denken. Ein Winter ohne Dich - er ist nicht vorstellbar. Dein sanftes Licht wird noch lange um uns sein. Vielleicht werden wir diesen Kontinent verlassen und dahin gehen, wo Du noch erlaubt bist.
ist promovierte Philosophin und lebt als freie Autorin in Berlin. Ende letzten Jahres erschien ihr neues Buch "Lou Andreas-Salomé. Der bittersüße Funke Ich", im Propyläen-Verlag.
Aber selbst in Australien wollen sie Dich nicht mehr. Keine Energiesparlampe mit ihrer bläulichen Aura von Schlaflosigkeit und Depression komme über unsere Schwelle. Vielleicht ist es wahr, und jedes Zeitalter hat die Lampen, die es verdient.
Energiesparbirnen leuchten längst in unzähligen Köpfen. Sollte das ein Gewinn sein? Und ist es überraschend, dass gerade sie so langlebig sind?
Wie viele werden nun nicht mehr am Abend im Schein einer Lampe sitzen, denn Deine giftigen Nachfolger strahlen bis zu zwölf Mal stärker als ein Computerbildschirm. Wahrscheinlich werden wir zur Kerze zurückkehren.
Ende einer Kulturepoche
Das Jahr 2011 wird als Jahr des Arabischen Frühlings und der Atomkatastrophe von Fukushima in die Geschichte eingehen. Für Europa wird es im Gedächtnis bleiben als das Jahr, in dem die Europäische Union die Glühlampe abschaffte.
Nie mehr werden wir in Museen Bilder ansehen wie früher, denn zur Beleuchtung von Gemälden taugen die neuen Lampen nicht. Ganze Farbspektren fehlen ihnen. Uns etwa nicht?, mögen manche fragen.
Die Glühlampe, wie wir sie noch immer kennen, ist genau 100 Jahre alt: Seit 1911 stellte General Electric sie mit den Wolframglühfäden her. Bis eben durfte man die Wendung bis heute ganz naiv verwenden, aber am 31. August 2011 nicht mehr, denn ab morgen haben wir die 60-Watt-Glühbirne nicht mehr.
Ab morgen darf sie nicht mehr hergestellt und vertrieben werden. Welche Taktlosigkeit, den Geburtstag einer Hundertjährigen so zu feiern. Und es geht nicht einmal um sie allein. Das Zeitalter der Elektrifizierung der Erde, die Erschaffung der modernen Welt selbst hängt an der Glühbirne.
Natürlich führte die Glühbirne auch zu verhängnisvollen Lichtfantasien. Etwa zu Lenins Definition: Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes, hat er gesagt. Noch den hintersten Winkel der Erde wollten sie ausleuchten, ohne zu spüren, wie grausam diese Durch- und Ausleuchtungsfantasien waren. Unter der Herrschaft der Glühbirne versteckt sich keiner mehr!
Dichterische Explosion
Steckten uns allen nicht schon längst Energiesparlampen im Hirn, wäre uns sicher auch eingefallen, was noch vor genau einhundert Jahren geschehen ist. Plötzlich explodierte die deutsche Dichtung, eben noch nachtwächterlich-sentimental gestimmt. Man nennt das auch Expressionismus.
Die neue Dichtung, lichtempfindlich seit je, registrierte die neuen Beleuchtungsverhältnisse genau: "Und wie ein Meer von Flammen ragt die Stadt, Wo noch der West wie rotes Eisen glänzt". Das Gedicht heißt "Verfluchung der Städte" und ist ein klarer Fall von Glühlampendichtung, wie es zugleich Fabrikschlotedichtung ist.
Gegen die Städte, diese großen Selbstleuchtenden, kommt kein Stern, kein Mond mehr an - der Dichter nennt Letzteren einen Greis. Der Diagnostiker der neuen Beleuchtungsverhältnisse heißt Georg Heym.
Er und seine Mitdichter registrieren genau, was bis heute gilt: Es wird heller und kälter zugleich. Die Sprache vollzog dieses Hellerwerden bei gleichzeitigem Temperatursturz mit und definiert noch für uns, was literarisch Anspruch auf Geltung erheben darf. Die Gegner Georg Heyms und seiner Mitdichter nannten, was sie schrieben, bald Asphaltliteratur - sie hätten auch Glühlampenliteratur sagen können.
Aus der Fassung genommen
Ja, natürlich habe auch ich es mit den neuen Energiesparlampen versucht. Die Kälte aushalten, Zeitgenosse sein! Auch haben die Energiesparer dieser Erde gesagt, nur die nördlichen Länder würden den warmen Ton des Lichts so lieben, es handele sich demnach nur um eine "kulturelle Eigenart".
Um eine Rückständigkeit, meinen sie also. Und dann habe ich die Energiesparlampen alle wieder aus ihren Fassungen genommen. Warum eigentlich sollen einem ganze Spektren fehlen? Und warum nicht kulturell eigenartig sein?
Ich zum Beispiel halte es für kulturell eigenartig, dass niemand bemerkt, dass der literarische Expressionismus gerade 100 Jahre alt geworden ist.
Natürlich, das Datum ist ein wenig unscharf, genau wie bei der Wolframfaden-Glühbirne. Erfunden wurde sie schon 1910 - genau wie der Sturm, diese Zeitschrift, ohne die der literarische Expressionismus, dieses Kollektivphänomen der Nichtkollektivierbaren, nicht denkbar gewesen wäre.
"Die Verfluchung der Städte" aber ist von 1911. Im Januar 1912 war Georg Heym schon tot, Gottfried Benns Gedichtskandal "Morgue" stand unmittelbar bevor.
Es spricht vieles dafür, genau diese Woche vor einhundert Jahren - zwischen den letzten Augusttagen und den ersten Septembertagen 1911 - zum Zentraldatum des deutschen Expressionismus zu ernennen. Ort: das Café des Westens, Lebensmittelpunkt der neuen, lichtempfindlichen Chronisten des Temperatursturzes.
In einem Berliner Café hatte auch die Glühlampenrevolution in Deutschland begonnen. Das Café Bauer gilt 1884 als erstes birnenbeleuchtetes Haus Deutschlands. Alle wesentlichen Fragen sind zuletzt Beleuchtungsfragen.
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