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NYT-Korrespondent über Euro-Krise"Alle haben jetzt Angst"

In den USA erwartet man in der Euro-Krise mehr Führungsstärke von Angela Merkel, sagt der "New York Times"-Korrespondent Nicholas Kulish.

Komm schon, Angie: Die Amerikaner verlangen von der Bundesregierung mehr Führungsstärke. Bild: dpa
Daniel Bax
Interview von Daniel Bax

taz: Herr Kulish, wie wird das Verhalten der deutschen Regierung in der Euro-Krise in den USA wahrgenommen?

Nicholas Kulish: Viele Amerikaner sind sicher der Meinung, dass Angela Merkel schneller reagieren müsste. Sie finden, dass sie mehr tun könnte, um die Krise zu bekämpfen. Aber sie verstehen nicht unbedingt, dass sie zu Hause eine Koalition aus drei Parteien anführt - und auch noch Rücksicht auf Karlsruhe und Brüssel nehmen muss.

Warum ist das so schwer zu verstehen?

Es fällt immer schwer, die Komplexität auf der anderen Seite des Atlantiks zu verstehen. Merkel wird in den USA oft fälschlicherweise als Staatsoberhaupt gesehen. Man vergisst, dass sie kein Präsident ist, der auch mal einsame Entscheidungen fällen kann. Nicolas Sarkozy und Gordon Brown sind uns in dieser Hinsicht wohl näher.

Welche Sorge treibt die Amerikaner um? Warum wünschen sie sich von Angela Merkel mehr "Leadership" in der Krise?

Die Amerikaner denken vor allem an ihre eigene Stabilität. Sie fürchten, die Wall Street könnte von der Euro-Krise angesteckt zu werden - so, wie auch Europa von der Lehman-Brothers-Pleite getroffen wurde. Der Fall jetzt lässt sich allerdings kaum auf amerikanische Verhältnisse übertragen. Es ist ein bisschen so, als müssten die USA für Mexiko haften - was sie während der Peso-Krise 1994 getan haben, um Mexikos Währung und Staatsanleihen zu verteidigen.

Der Interviewte

NICHOLAS KULISH, 36, ist Deutschland-Korrespondent der New York Times in Berlin. Für das Wall Street Journal berichtete er 2003 vom US-Einmarsch im Irak, davon handelt sein Roman "Last One In".

Halten Sie den Streit in der Koalition über den richtigen Kurs gegenüber Griechenland für eine ernsthafte Regierungskrise?

Ja, ich halte das für eine ernsthafte Koalitionskrise. Das liegt an der schwierigen Lage der FDP. Sie haben zuletzt so starke Verluste erlebt, gerade erst wieder bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen. Sie müssen etwas tun - und da bietet ihnen das Thema die Chance, sich zu profilieren.

Die Märkte reagieren derzeit schon auf Gerüchte und Andeutungen sehr empfindlich. Ist es da nicht verantwortungslos, wenn der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Rösler laut über eine mögliche "Insolvenz" Griechenlands nachdenkt?

Ich möchte das nicht kommentieren. Aber so funktioniert die Politik nun mal. Wenn ein relevanter Teil der Bevölkerung etwas will, reagieren Parteien darauf. Die Griechenland-Hilfen sind nicht sehr populär. Für eine Partei, die von 15 Prozent bei den letzten Bundestagswahlen auf derzeit um die vier Prozent abgestürzt ist, stellt es da natürlich eine große Versuchung dar, auf diesen Zug aufzuspringen. Es gibt in Deutschland bislang keine Anti-EU-Partei. Und die FDP muss sich ja nicht nur gegenüber Merkel abgrenzen, um ihr Profil zu schärfen, sondern auch gegenüber Grünen und SPD, die für die Einführung von Euro-Bonds eintreten.

Die Aktienmärkte sind kräftig in Bewegung, zuletzt gingen die Aktien französischer Banken in den Keller. Welche Befürchtungen haben Sie?

Alle haben Angst. Aber keiner weiß, was er tun sollte. Es ist wie 2008. Auch damals begannen viele Telefonate mit den Worten: Ich habe Angst vor dem, was jetzt passieren wird. Es gibt mehr Fragen als je zuvor. Auch ich werde ständig gefragt, wie es jetzt weitergehen soll - von Menschen aus der Wirtschaft, im Freundeskreis. Sogar von Kollegen wie Ihnen. Das ist ein Zeichen für die große Unsicherheit, die zurzeit herrscht.

Und was sagen Sie denen?

Ich bin nicht der Mann, der die Antworten hat. Ich würde auch nicht gerne mit der Kanzlerin den Platz tauschen wollen. Sie steht von vielen Seiten unter Druck - und alle Argumente sind gut begründet.

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