Angriff der Kuckucksfamilie

FREMDE In dem Psychodrama „Invasion“ erzählt Dito Tsintsadze davon, wie sich eine Gruppe von angeblichen Verwandten in der Villa eines einsamen Witwers einnistet

Die Stärken von „Invasion“ sind die bedrohlichen, nicht genau zu definierenden Zwischentöne

VON WILFRIED HIPPEN

So gut wie jeder Satz und jede Geste in diesem Film ist eine Grenzüberschreitung. Das Drehbuch ist mit einem fast schon mathematischen Kalkül konstruiert und dazu gehört auch, dass „Invasion“ (mit Ausnahme einer kurzen Szene) konsequent aus der Perspektive des Angegriffenen erzählt wird.

Josef ist Witwer und trauert auch noch Jahre nach ihrem Tod seiner Frau und seinem Sohn nach. Er lebt alleine in einer großen abgelegenen Villa und findet nur Trost in den täglichen Besuchen des Friedhofs. Dort trifft Nina, die sich ihm als eine Cousine seiner verstorbenen Frau vorstellt. Er erinnert sich nicht an sie und sie scheint sich ihm ein wenig zu sehr aufzudrängen. Aber Josef ist zuerst nur höflich, dann aber auch von der Aufmerksamkeit der attraktiven Frau eingenommen. Bald hat er sie zu sich nach Hause eingeladen, sie ist ein freundlicher Gast und warum soll sie nicht eine Nacht in der Villa schlafen? Am nächsten Tag kommen Ninas Sohn und dessen Frau Milena zu Besuch. Dann kommt deren kleiner Sohn Marco und Ninas Freund Konstantin mit und alle bleiben einfach da. Schleichend erobern sie sich ein immer größeres Territorium, indem sie die Gutmütigkeit von Josef ausnützten. Aber dieser ist alles andere als ein naives Opfer. Durch die vitale Kuckucksfamilie in seinem Haus wird er aus seiner Lethargie gerissen, er bekommt einen Ersatzsohn, einen Freund, einen interessanten Gegner und zwei schöne Frauen ins Haus geliefert und beginnt, mit ihnen das Leben wieder zu genießen.

Aber die Übergriffe werden immer drastischer. Konstantin macht sich in seinem Arbeitszimmer breit und organisiert von dort aus mit Laptop und Revolver auf dem Schreibtisch seine dunklen Geschäfte mit gefährlichen Partnern aus dem Balkan. Auch er selber hat einen östlichen Akzent und Milena kommt aus Rumänien. Diesen Subtext einer viel umfassenderen und politischen Bedrohung spielt der aus Tiflis stammende Regisseur Dito Tsintsadze immer dann am eindrucksvollsten aus, wenn er ihn nur andeutet. Marab Ninidze ist in der Rolle des Konstantin ein sehr raffinierter Verführer und Stratege und Josef durchschaut lange Zeit nicht einmal ansatzweise, wie er immer mehr von diesen Fremden vereinnahmt wird. Tsintsadze hätte diese Ebene im bedrohlich Ungefähren halten sollen, doch leider vertraute er nicht auf die Intelligenz der Zuschauer (oder die Redakteure von ARD und ORF haben sich wieder einmal eingemischt) und so wirkt ein allzu programmatischer Satz wie ein schlimmer Stilbruch: „Endlich bist du soweit. Du musst dich verteidigen, sonst gehst du mitsamt deiner Kultur unter! Ihr müsst euch wehren!“, sagt Konstantin, nachdem Josef endlich versucht, ihn herauszuschmeißen und nimmt dadurch dieser Schlüsselszene viel von ihrer Dramatik.

Denn die Stärken von „Invasion“ sind die bedrohlichen, nicht genau zu definierenden Zwischentöne. Genau wie Josef kann auch der Zuschauer nie ganz durchschauen, wer diese Menschen überhaupt sind, welche Beziehungen sie zueinander haben, in welchem Umfang sie Josef schaden wollen. Ninas Sohn Simon ist Kendo-Trainer, doch gerade sein obsessives Üben des Kampfsports ist ein Hinweis auf die innerliche Schwäche des um die 25-Jährigen, die sich auch darin zeigt, wie drakonisch und grausam er versuch, seinen Stiefsohn Marco zu mehr Härte zu erziehen. Auch die Machtverhältnisse unter den Besetzern ändern sich, und der Film ist immer dann am stärksten, wenn er diese eher atmosphärischen Wechsel zeigt. Dieses subtile, immer mehrdeutige und irritierende Erzählen sowie die Lust am Absurden erinnert an den georgischen Altmeister Otar Iosseliani, bei dem Dito Tsintsadze in Tiflis studierte.

Vor acht Jahren hatte Tsintsadze, der seit 2003 in Berlin lebt, mit dem Film „Der Mann von der Botschaft“ nicht unbedingt an den Kinokassen, aber auf internationalen Festivals einen Erfolg. Auch darin erzählt er vom Verhältnis der Deutschen zu den ihnen Fremden, und für die Rolle des Botschafters, der in Georgien ein kompliziertes Verhältnisse mit einer Einheimischen beginnt, bekam Burghart Klaußner den Goldenen Leoparden als bester Darsteller in Locarno. Auch hier trägt er als Josef den Film, weil er auch dann, wenn er sich völlig zum Narren macht, immer jene Stärke ausstrahlt, die verhindert, dass er wie ein Opfer wirkt. Dadurch wäre der Film schnell vorhersehbar und langweilig geworden, aber bei ihm spürt man, dass die Invasion nicht ohne Gegenwehr vonstatten gehen wird.