piwik no script img

Kolumne WortklaubereiMit großer Mehrheit geliefert

Kolumne
von Josef Winkler

Diese Kolumne ist sozusagen in alle Richtungen gültig.

D as zurückliegende Wochenende hat wieder einmal gezeigt, welche schmerzhaften Lektionen diese schnelllebige Zeit für Zauderer bereithält. Ich verstehe die Ereignisse vom Sonntag in Berlin als Mahnung an diejenigen unter uns, die sich tragen mit Gedanken über etwaig zu reißende Witze, denen Gags auf den Lippen liegen, doch dann schweigen sie - sie zögern, sie fassen sich nicht das Herz, diese Gags auch auszusprechen, niederzuschreiben, solange die Zeit dafür ist. Und dann - so schnell - ist es zu spät, und ein Witz, der eben noch vor knackiger Frische vibrierte, liegt schlaff da. Verbrannt, vom Heute überholt.

"F.D.P., fast drei Prozent" - nur ganze zwei Wochen konnte man sich an der Renaissance dieser schon in den 90ern einmal recht populären Wortspielerei erfreuen, und Hand aufs Herz: Haben Sie die Chance genutzt? Nun ist sie verstrichen, und wenngleich fast zwei Prozent für die FDP natürlich noch viel lustiger ist als fast drei Prozent - als Gag bringt einem "F.Z.P." wenig.

Aber was für eine Wohltat. Mal einen Abend lang entspannen vom täglichen Grausen der Weltnachrichten, sich zurücklehnen, den Herrgott einen guten Mann sein lassen und einfach mal genießen, wie sich Gerechtigkeit Bahn bricht und ein Haufen Schurken richtig Ärger bekommt - wie oft kriegt man das heute noch außerhalb von altmodischen Filmen?

ist Autor der taz.

In der "Berliner Runde" im ZDF sitzt dann Christian Lindner und sagt, dass sich schnelle Antworten jetzt verbieten. Hm. Aber versucht ist man hier auf der Couch doch … Ich probiers mal. Eine schnelle Antwort wäre zum Beispiel: "Gehen Sie weg." Was?

Später wird noch etwas auf meinem derzeitigen Lieblings-Idiotendenglizismus "liefern" herumgeritten, letztens ja prominent bemüht von Philipp Rösler. "Jetzt muss Herr Wowereit liefern", findet Claudia Roth, und Ulrich Deppendorf stellt fest, dass "die Lieferung" von Rösler als FDP-Parteichef aus drei hochkant verlorenen Wahlen besteht. Wuhahaha, es ist … herrlich.

Tags drauf gehts noch weiter mit dem Amüsemeng. Rösler gibt sich wieder "kämpferisch" (uuuh! Please Hammer, dont hurt em!) und wirkt dabei grad so, als habe man ihm in der Zwischenzeit endgültig Denkverbot erteilt: "Wir sind mit großer Mehrheit in diese Bundesregierung gewählt worden", sagt er. "Wir sind angetreten, um unser Land mitzugestalten und mitzuführen, und genau das werden wir auch in den nächsten zwei Jahren unumstößlich tun." Das ist auf so vielen Ebenen anmaßend, erbärmlich und fast anrührend, dass man gar nicht weiß, wo anfangen; aber es wäre doch zum Beispiel interessant, wie der Bundeswirtschaftsminister "Mehrheit" definiert. Mir fällt dazu ein Satz über diese Regierung ein, den ich einst mitnotierte: "Wer meint, durch ein einmaliges Votum am Wahlsonntag die Legitimation für vier Jahre menschenfeindliche Politik gewonnen zu haben, hat von moderner Demokratie nichts verstanden", sagte Jochen Stay von der Anti-Atom-Initiative ".ausgestrahlt" am 18. 9. 2010 bei einer Demo in Berlin - lustigerweise genau ein Jahr vor diesem Wahlsonntag. Darüber mal nachzudenken wäre auch nicht verboten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen