piwik no script img

Tierpark ARCHE WARDERDie Spur des Auerochsen

Faltige Schweine und schöne Enten, die nicht fliegen können: Die Naturschützer von Greenpeace betreiben in Schleswig-Holstein einen Tierpark für Nutztierrassen, die vom Aussterben bedroht sind.

Beeindruckend, aber auch keine Auerochsen: Schottische Hochlandrinder im Freigelände in Warder. Bild: dpa

HAMBURG taz | "Nimm eine Kastanie! Schweine lieben Kastanien!", weist ein kräftiges Mädchen ein schmächtigeres an. Ungerührt steht ein Schwein im Teich, auf der Aussichtsterrasse über dem Wasser rennt jemand, kurz darauf plumpst eine Kastanie grüner Schale auf den Kopf des Tiers. In der Tat: Das Schwein mag die Kastanie, sieht ihr zu, wie sie im trüben Teich treibt, den Gänsen und Laufenten entgegen.

Das Schwein im Teich ist ein Turopoljerschwein, ein kroatisches Schwimmschwein mit sagenhaft robusten Genen. Viele der Kindergarten und Schulklassen, die den Tierpark Arche Warder an der A 7 besuchen, 15 Kilometer nördlich von Neumünster, haben diese Schweine noch nie gesehen, sagt Tierpfleger Knud Mahlmann. Wundern tut es den 24-Jährigen nicht. Schlimmer sei schon, dass manche Kindergartenkinder aus Hamburg nicht wüssten, zu welcher Tierart ein Küken gehört.

Was ihn, Knud Mahlmann, wirklich bewegt, ist das größere Bild: Die Kühe auf den westeuropäischen Weiden sind zu fast 70 Prozent Holsteiner Friesians, schwarz-weiß gescheckte Milka-Kühe - und faszinierenderweise sind zu jeder Zeit nicht mehr als gerade mal fünf Zuchtbullen für ihre Existenz verantwortlich.

Endzeitliche Vorstellung

"Auf einen Bullen kommen pro Jahr 10.000 Kühe, die künstlich befruchtet wurden", sagt Mahlmann. "Kannst du dir vorstellen, was das für die genetische Vielfalt bedeutet?" Die Kühe sind alle miteinander verwandt. "Lass bloß eine weitere Seuche kommen - und sie sind alle gleichzeitig tot."

So endzeitlich diese Vorstellung ist, so einfach wäre die Vorbeugung: "Alle Nutztiere, die auf den Arche-Warder-Weiden stehen, fressen heimisches Futter, sind an das heimische Klima gewöhnt, sind genügsam und robust." Also nix mit Superseuchen und Jahrhundertkrankheiten. Den meisten Besuchern, sagt Mahlmann, sei gar nicht bewusst, dass das Aussterben der Nutztierrassen erst vor kurzem anfing. "Noch vor 50 bis 70 Jahren standen alle Tiere, die wir hier haben, auch regulär auf den Weiden."

Fett kam aus der Mode

Das Ende der Arche-Warder-Tiere kam, weil das Fleisch plötzlich mager sein musste und billig. Knud Mahlmann stellt einen Zusammenhang zu den Menschen in den Städten her, die sich kaum noch bewegten. Rassen wie das Bunte Bentheimer Schwein mit seinem fetten Fleisch und seinen geringen Ferkelwürfen wurden durch ertragreichere mit magererem Fleisch ersetzt.

Mahlmann weiß das, denn die Arche Warder hat sich nicht nur der Erhaltung bedrohter Nutztierrassen verschrieben, sondern auch deren Erforschung. So vergleicht man die Zellenanzahl in Eutern von alten Kuhsorten mit der von Holsteiner Friesians, um Rückschlüsse auf die Anfälligkeit für Mastitis zu ziehen, eine schmerzhaften Euterentzündung, an der 15 bis 17 Prozent der Kühe leiden. Die betroffenen Tiere haben nicht nur chronische Schmerzen, die Milch riecht auch übel.

Tierliebhaber mögen nun vielleicht empört aufschreien: "Kein Wunder bei den Bedingungen!" - wobei auch Biomilch aus entzündeten Eutern stammen kann. Letztlich ist es die wissenschaftlich fundierte, tierärztlich begleitete Studie, die bewirkt, dass wieder friedlich grasende Angler Rinder mit ihren genetisch starken Eutern zum Einsatz kommen.

Weitläufig erstrecken sich Weiden der Arche Warder, auf ihnen grasen stark behörnte Kühe, sie stammen aus England, passend zum trüben Regenhimmel. Knud Mahlmanns Augen leuchten auf, während er auf die englischen Parkrinder zugeht. Sie tragen in sich tatsächlich noch Gene des Auerochsen, der 1627 ausstarb.

So nahe kommt dem Urvater der Kuh genetisch nicht einmal das Heckrind, das Rindersteckenpferd des ehemaligen Münchner Zoodirektors Heinz Heck und seines Bruders Lutz: Den beiden gelang es in den 1930er Jahren, einen solchen Auerochsen nachzuzüchten. Dem Aussehen nach lassen sich ausgestorbene Arten wiedererwecken, genetisch nie.

Umschlagsplatz für Gene

Der Tierpark, den Greenpeace Ende 2003 übernahm, ist auch ein Umschlagsplatz. Einmal im Jahr versteigert er die Nachzucht - unter der Bedingung, dass die Käufer ihrerseits die Tiere für die Zucht zur Verfügung stellen. Die Arten, die es zu bewahren gilt, hat Greenpeace selber ausgesucht. Es sind auch Zugereiste darunter, etwa die ungarische Lockengans, die nicht fliegen kann, dafür aber schön aussieht.

Oder das chinesische Faltenschwein: Vor lauter Falten ist es fast blind, aber es zählt zu den fruchtbarsten Schweinen der Welt. Noch haben die Schüler und jungen Besucher des Parks diese blinde Ferkellegemaschine nicht entdeckt - wie auch. Genauso wenig erfahren die normalen Besucher über die Parkrinder oder die hehren Ziele der Gründer des Parks. Ins rekonstruierte Steinzeitdorf können sie rennen, wo ein paar Jakobsschafe mühsam in Gattern gehalten werden - denn sie können hoch springen. Aber kein Schild klärt so ausführlich auf, wie Tierpfleger Mahlmann es kann.

Ob die Kinder wohl andere Essgewohnheiten entwickeln werden? Ob sie im Supermarkt in andere oder gar keine Regale greifen werden? Knud Mahlmann ist skeptisch. Vielleicht werden sie in Hofläden Wurst von Rinderrassen finden, denen sie im Park schon mal begegnet sind. Das wäre doch schon was.

Tierpark Arche Warder: geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr, Langwedeler Weg 11, 24646 Warde, 043 29 / 913 40,

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!