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Rapper MC Textor über HipHop im "Alter""So ein Orchester ist ein Brett"

Die Qualität, 45 Jahre alt zu sein, hat bisher noch niemand in den HipHop eingebracht. Henrik von Holtum, heute 37, ist dafür ein aussichtsreicher Kandidat.

Textor rechts, Quasimodo links. Bild: promo
Nina Apin
Interview von Nina Apin

taz: Herr von Holtum, Sie haben sich 2007 von Ihrer Band Kinderzimmer Productions verabschiedet. Und vom Musikgeschäft - mit einem wütenden Manifest in der taz. Wo stehen Sie heute?

Henrik von Holtum: Die Schwerpunkte haben sich verschoben. HipHop hat mich über 20 Jahre beschäftigt, die wird man nicht so einfach los. Ob das ein Fluch oder ein Segen ist, weiß ich noch nicht. Es gibt jedenfalls Dinge, die ich nicht ablegen sollte: Sprechen über Beats zum Beispiel. Nur an der Frage, wie rum man die Basecaps zu tragen hat, bin ich nicht mehr interessiert.

Hat Sie das je interessiert? Ihr Partner Quasi Modo und Sie haben doch immer mit der Szene gefremdelt …

Henrik von Holtum alias MC Textor

37, lebt in Berlin. Als MC Textor war er zusammen mit Sascha Klammt (DJ Quasi Modo) Teil des Ulmer HipHop-Duos Kinderzimmer Productions. Nach 13 Jahren und sieben Studioalben löste sich die Formation 2007 auf. Textor veröffentlichte damals in der taz das "Manifest eines Rappers", eine Abrechnung mit der Rapszene und der Musikindustrie. 2008 gaben Kinderzimmer Productions ein Abschlusskonzert im Dortmunder Konzerthaus. Ein Mitschnitt dieses Unplugged-Konzertes wurde 2009 veröffentlicht.

Nach dem Ende von Kinderzimmer Productions gründet MC Textor zusammen mit Holger Renz das Singer-Songwriter-Projekt Textor & Renz. Ihr Debütalbum "A chair is not a chair a house is not a home" erschien Anfang 2011.

Auf Initiative des österreichischen Radiosenders FM4 erarbeiteten Kinderzimmer Productions zusammen mit dem Radio-Symphonieorchester des Österreichischen Rundfunks an einer Neuinterpretation ihrer Stücke: Die Uraufführung von "Gegen den Strich" fand live vor Publikum im Großen Rundfunksendesaal in Wien statt. Den Mitschnitt dieses Konzerts veröffentlicht das Münchner Label Trikont, das auch die ersten beiden Kinderzimmer-Alben auf Vinyl wieder auflegt.

"Gegen den Strich". Live mit dem Radio-Symphonieorchester Wien (RSO) des ORF, erscheint heute bei Trikont/Indigo

Wir haben nie gefremdelt, die Szene hat mit uns gefremdelt! Wir haben HipHop immer so verstanden, dass es nur sehr wenige Konstruktionsprinzipien gibt, die funktionieren wie eine DNA. Die Kappen haben wir auch getragen, aber darüber hinaus nach einem originellen eigenen Weg gesucht. Das hat uns nicht viele Freunde gebracht.

Mit Ihrem aktuellen Projekt Textor und Renz wandeln Sie auf Singer-Songwriter-Pfaden. Das gerade veröffentlichte Album von Kinderzimmer Productions wurde mit dem Radiosymphonieorchester Wien aufgenommen. Sind Sie noch Rapper?

Für mich bestand da nie ein Zweifel. Die vermeintlichen stilistischen Sprünge sind für mich Teil eines persönlichen roten Fadens. Der läuft mal kreuz, mal quer, aber insgesamt ist es schlüssig, was ich tue. Mein nächstes Projekt wird akustisch, aber orientiert sich an dem, was ich gelernt habe: Loops, Repetition, Direktheit. Das sind Qualitäten, die ich sowohl an Singer-Songwriter- als auch bei HipHop-Alben schätze.

Ihr neues und auch die ersten beiden Kinderzimmer-Alben erscheinen jetzt beim Münchner Label Trikont. Wie kam es zur Zusammenarbeit?

Wir haben nach unserer Auflösung überlegt, was wir mit dem Backkatalog machen sollen. Weil damals alle an die Zukunft der CD geglaubt haben, besitzen wir die Vinylrechte an all unseren Alben. Bis heute kommen Anfragen - mit Trikont gibt es ein Label, bei dem wir uns mit diesem historischen Paket gut aufgehoben fühlen.

Das HipHop-Duo Kinderzimmer Productions als historische Randerscheinung neben Bayern-Barden wie Hans Söllner?

Zugegeben, mit 20 wären wir nicht dort gelandet. Damals war man total erpicht darauf, in welcher Garage man parkt. Aber die Erfahrung, die wir im Musikgeschäft gemacht haben, ist, dass es diese angebliche Reinheit der Dinge nicht gibt. Man findet sich auf Festivals im Backstagebereich neben einer Darkwave Band. Soll man jetzt nicht mit denen reden? Das Bedürfnis, die Sachen sauber zu halten, ist absurd. So funktioniert Musikmachen nicht mehr. Beim herrschenden Mangel an Infrastruktur und Aufmerksamkeit müssen alle, die von ihrer Musik leben, zusammenhalten.

Dass die Balance von Aufwand und Entlohnung nicht stimmt, war einer der Gründe, mit denen Sie 2007 die Auflösung begründet haben. Von was leben Sie jetzt?

Es ist eine Mischung aus Jobs fürs Radio, Kompositionsaufträgen und Unterricht an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Und Touren als Gastmusiker, mit dem Instrument, das ich gelernt habe. Mein Partner Sascha Klammt alias Quasi Modo lehrt und soundtüftelt weiterhin in Ulm. Das funktioniert für beide.

Sie sind jetzt 37, ist die Abkehr vom HipHop auch eine Alterserscheinung? Bis wann kann man guten HipHop machen?

HipHop ist dann gut, wenn er eindeutig und zwingend ist. Weitermachen, solange es gut geht, ist eine Sache. Aber die Qualität, 45 Jahre alt zu sein, in den HipHop einzubringen, das hat bisher keiner geschafft. Auf dem letzten Album von Gil Scott-Heron gab es so einen Moment, wo der Klang der Stimme eine innere Haltung transportierte. Ein Moment, wo man selbst im Supermarkt innehält. Vielleicht kommt noch was.

Sie haben neben Ihrer HipHop-Karriere an der Musikhochschule studiert. Die Songs Ihrer Band stecken voller Zitate aus Jazz, Blues und Filmmusik. Woher kommt diese Prägung?

Bei meinen Eltern im Plattenschrank stand viel Jazz und Klassik. Das waren die Alben, nach denen ich für meine ersten Samples griff. Wobei ich Jazz gewissermaßen zweimal lernte. Erst zu Hause, dann auf der Hochschule. Während ich Jazz aber schon als Kind für seine wunderbare Klangästhetik liebte, hat mich die klassische Musik nie recht gepackt. Zu anämisch.

Änderte sich das auf der Hochschule?

Da änderte sich mein Respekt für den Klangkörper an sich. So ein Orchester ist ein Brett, eine wuchtige, aber durchlässige Klangerfahrung. Dagegen klingt jeder Verstärker enttäuschend. Die Lebenswelt und das Selbstverständnis von Klassikmusikern blieben mir aber immer fremd. Mein Studium und mein Leben als Teil von Kinderzimmer Productions waren immer getrennt. Man hat mich zwar bemerkt - wir hatten zu der Zeit einen Major Deal und ein Video auf Rotation. Aber Überschneidungen gab es kaum. Für mich war die Klassikwelt einfach eine mögliche Hintertür.

Mit Ihrem neuen Album "Gegen den Strich", auf dem das Radiosymphonieorchester des ORF Kinderzimmer-Tracks interpretiert, bewegen Sie sich nah an Ihrer damaligen Lebenswelt. Wäre eine Kooperation zwischen einer HipHop-Crew und einem Orchester auch früher denkbar gewesen?

Die Wiener erlebte ich zugänglicher als mein Hochschulorchester von damals. Die Zusammenarbeit war sehr unkompliziert. Aus Zeitmangel konnte aber nicht mehr als eine Annäherung stattfinden. Einen Übersetzungsprozess gab es nicht, niemand verinnerlichte unsere repetitiven Strukturen so, wie er es vielleicht mit Brahms getan hätte. Die Musiker machten ihr Skill-Set auf und holten alles raus, was sie brauchten - was super war. Aber das Äquivalent einer spätromantischen Emphase für HipHop zu finden, diese besondere Energie, das war in der Kürze der Zeit nicht möglich.

Crossover zwischen Pop und Klassik läuft immer Gefahr, in Kitsch abzurutschen. Wie gingen Sie damit um?

Ich hasse den Begriff Crossover. Sich in dieser Nachbarschaft verortet zu sehen, war für unser Orchesterprojekt eine Riesengefahr. Denn zwei Gerichte zusammenzurühren, um sich innovativ zu fühlen, ist das eine. Im Ergebnis wird man aber meist nur zwei Formen nicht gerecht. Uns ging es darum, am Ende ein Ergebnis zu haben, das über die erwartbaren Effekte hinausgeht. Das funktioniert in den seltensten Fällen. Wir sind das Risiko trotzdem eingegangen. Und waren vom Resultat erstaunt.

Sie hatten nur anderthalb Tage Probezeit, um das komplette Album einzuspielen. Wie funktioniert so was?

Ich habe mit Oliver Prechtl, der Klavier gespielt hat, die Partituren aufgeteilt. Nachdem die Instrumentierung der Loops klar war, begann die handwerkliche Arbeit: Die Einzelstimmen so zu schreiben, dass sie die Musiker lesen können. Wie laut zwei Fagotte gegen vier Hörner sind und wie mein Sprechgesang rüberkommt erfährt man aber erst beim Proben. Dafür hatten wir nur einen Tag, also fünf Stunden netto. Am Tag darauf Generalprobe, abends das Konzert. Beeindruckend war zu beobachten, wie sich die Orchester-Maschine in Bewegung setzt und loswalzt.

War das ein einmaliger Ausflug?

Bisher ja, obwohl es mich jucken würde, mal eine ganze Probenwoche zu kriegen. Aber im Klassikbetrieb ist Zeit Geld, schließlich wird da mit Tariflöhnen gearbeitet.

Wäre das gewerkschaftlich abgesicherte Orchestermusikerdasein eine Alternative zur prekären Selbstausbeutung, die den Alltag vieler Popmusiker bestimmt?

Wenn ich mir was wünschen dürfte, wäre das eine Gesellschaft, die es mir erlaubt, drei Monate arbeiten zu gehen. Und damit so viel Geld zu verdienen, dass ich in aller Ruhe ein Album produzieren und promoten kann. Momentan habe ich das Gefühl, dass die Durchlässigkeit nicht gegeben ist. Ich kann nicht mal eben drei Monate hier verschwinden, um woanders drei Monate aufzutauchen. Das wäre mir viel lieber als Kantinenzeiten und gewerkschaftliche Organisation.

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