piwik no script img

Führungsstreit bei den Berliner GrünenDem linken Flügel eine Stube

Nach dem missratenen Senatswahlkampf ist bei Berlins Grünen ist ein offener Flügelkampf ausgebrochen. Auch Reinhard Bütikofer kartet öffentlich nach.

Alte Rivalen: Reinhard Bütikofer und Renate Künast. Bild: dpa

BERLIN taz | Natürlich mache sie dem Berliner Landesverband keinerlei Vorgaben, erklärte die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth pflichtschuldig. Doch kam sie am Montag nicht umhin, den Krach um die Berliner Fraktionsführung als "Fehlstart" in die neue Legislaturperiode zu bezeichnen. Nun komme es darauf an, dass sich in der Fraktion im Abgeordnetenhaus "die unterschiedlichen Flügel zu Hause fühlen können".

Ob Roth damit Partei ergriffen hat für den linken Fraktionsflügel, der Anspruch auf einen der beiden Fraktionschefposten reklamierte, ließ sie offen. Seit Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nach der Wahl im September die Möglichkeit einer rot-grünen Koalition aufkündigte, stecken die Berliner Grünen in einem erstaunlich offenen Führungsstreit.

Dass dieser nur die Folge eines zu schlechten Wahlergebnisses war, welches Folge eines misslungenen Wahlkampfs war, darauf wies am Wochenende Roths ehemaliger Ko-Parteichef Reinhard Bütikofer hin. In einer auf seiner Webseite publizierten Wahlanalyse griff Bütikofer, der seit 2009 im Europaparlament sitzt, mit Wonne seine alte Gegnerin innerhalb des Realoflügels, Renate Künast, an. Der ganz auf sie zugeschnittene Wahlkampf mit unklaren Koalitionsaussagen sei von einer "Mischung aus Selbstüberschätzung und Fahrlässigkeit" geprägt gewesen, schreibt Bütikofer.

Während die Bundespartei zu diesem Thema in Deckung gegangen ist, weist Bütikofer darauf hin, dass die Auseinandersetzung zwischen Rot und Grün in Berlin "von nationaler Bedeutung" sei: Wowereits mangelnde Fairness rühre daher, dass die Grünen stärker seien als früher und also ernster genommen würden. Deshalb sei es "geradezu lächerlich", solches SPD-Verhalten "jetzt durch rot-grüne Lagerromantik zu belohnen".

Linke loben Ober-Realo Bütikofer

Solche Romantik konnte die selbsterklärte Romantikerin Roth jedoch nirgends erkennen. Die Grünen sollten sich "um ein konstruktives, aber nicht abhängiges Verhältnis zur SPD" bemühen, sagte Roth – "so habe ich Reinhard verstanden".

Im Berliner Landesverband bekam der Oberrealo Bütikofer ausgerechnet vom linken Flügel Lob. "In Bütikofers Papier steht viel Richtiges drin", sagte Dirk Behrendt, führender Kopf des linken, aufständischen Fraktionsflügels. Behrendt wäre in der vergangenen Woche gern neuer Fraktionschef geworden, unterlag jedoch im zweiten Wahlgang mit 13 zu 15 Stimmen dem Amtsinhaber Volker Ratzmann.

Am Dienstag kommt die Berliner Fraktion erneut zusammen. Dann steht die nach dem Eklat vertagte Wahl der vier Fraktionsvizes an. Die Parteiführung ist bemüht, Schärfe aus der Debatte zu nehmen. Der linke Flügel könne die drei Stellvertreter vorschlagen, sagte die Landesvorsitzende Bettina Jarasch. Das müsse nicht sofort sein. Behrendt rät aber "unter den gegebenen Umständen" allen Linken von einer Kandidatur ab.

Derzeit ist nur so viel klar: beide Seiten reden nicht miteinander. Und nicht einmal darüber besteht Einvernehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • R
    rheinelbe

    Die Bio-Bürokraten

     

    Die Grünen sind nicht einfach nur eine politische Partei wie andere auch - nein! - weit gefehlt! Sie sind natürlich mehr. Sie sind eine Verei nigung von Menschen, die wissen, wie andere Menschen zu leben haben! Und darum sind die Grünen berechtigt, ja geradezu geistig-moralisch verpflichtet, Vorschriften zu machen. Mit einem klaren Wort: Die Grünen sind eine Gängelungsorganisation, eine Zeigefinger-Vereinigung über wiegend im Öffentlichen Dienst Beschäftigter. Diese oft lebenslang verbeamteten Bürokraten wissen ganz genau, was zu tun ist - von anderen Menschen. Und deswegen brauchen wir immer mehr teure Bürokratie: Zum Wohle aller, und weil die Welt dadurch besser wird, z.B. bio. Das sei unser Mantra. Und diese Zusatz-Bürokratie kostet immer mehr Geld und läßt sich immer etwas Neues einfallen "zum Wohle der Bürger". und dafür, ja genau dafür stehen die Grünen: Für eine hochmoralische Bürokratie-Welt umfassender Dienstvorschriften und Weisungen, die keiner bezahlen kann und die niemand braucht. Aber in deren Namen wir Bürger immer stärker überwacht werden. Denn der Kontrollzwang des Kleinbürgers gehört einfach immer dazu.

     

     

    ----------------------------------------

     

    J. Ditfurth sagt es treffend

    http://www.youtube.com/watch?v=r7Fm5FRx4MQ

     

     

     

    Über die Wähler der Grünen:

    Eine sozial ignorante Mittelschicht, die Öko tut...

    Einerseits den Sozialstaat weghauen, andererseits die Folgen der eigenen Politik missachten.

     

    Dabei beruft sie sich auch auf wissenschaftliche aktuelle Arbeiten.

    Sehr erhellend und treffend.

  • R
    reblek

    Toll, dieser Bütikofer, reißt schon Wochen nach der Wahl das Maul weit auf. Vorher ist ihm nichts eingefallen. Wahrscheinlich redet er sich jetzt auf Parteisolidarität raus. Aber getretener Quark wird breit, nicht stark. Dass solche Leute an der Spitze der sogenannten Grünen stehen, ist nicht die Lösung, sondern das Problem.