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Die Uni feiert GeburtstagFriede, Freude, Geburtstag

Mit einem Festakt beging die Universität ihr 40-jähriges Bestehen - in großer Einigkeit: Zum Glück ist das gründlich schief gegangen, was 1971 gewollt wurde

Von links: Jürgen Timm, Uni-Rektor von 1982 bis 2002, und Gründungsrektor Thomas von der Vring Bild: Klaus Wolschner

40 Jahre Universität Bremen - das Datum zwingt offenbar zu Festakt und Feier-Laune. Aber was wäre zu feiern? Immerhin die Tatsache an sich, dass es diese Universität nun seit 40 Jahren gibt. Gestern gab es deshalb eine Feierstunde in der Oberen Rathaushalle, zu der neben den politischen RepräsentantInnen auch viele der alten Kämpen der Universitätsgründung gekommen waren. Die Beteiligung der heutigen Universitäts-Personals indes war eher dürftig. Die Ingenieur- und NaturwissenschaftlerInnen, die heute das Profil der Uni bestimmen, haben offenbar bei dem Gedanken an die Gründung vor 40 Jahren nichts zu feiern, aber auch die gesellschaftskritischen Geister waren mit kaum mehr als zwei Dutzend protestierenden Studierenden vertreten. So blieb es dem - sozialdemokratischen - Asta-Vorsitzenden überlassen, zu erläutern, dass das Etikett "rote Kaderschmiede" ja eigentlich so übel gar nicht sei. Die Honoratioren klatschen höflich dazu.

Vor der Feierstunde hatte ein Geografie-Professor im Sinne einer öffentlichen Vorlesung vor dem Rathaus über die regionalwirtschaftliche Bedeutung der Universität gesprochen. Anders als bei einer Frittenbude bewegt eine Universität eben nicht nur Kaufkraft, sondern lockt auch qualifiziertes Personal. Die Lautsprecheranlage reichte für kaum mehr als 100 erwartete Zuhörer. Offenbar gibt es an der Universität niemanden mehr, den es zu einem Festvortrag gedrängt hätte, den anschließend nachzulesen sich lohnen würde.

Die Geschichte der 40 Jahre zu interpretieren blieb so dem aktuellen Rektor Wilfried Müller überlassen. Was ist geblieben von einer Universität, deren Gründungsrektor die Wissenschaft an den Interessen der Arbeiter ausrichten wollte und sich in einem Vertrag mit der Arbeiterkammer dazu verpflichtete? Eine Kultur flacher Hierarchien, lobt Müller, und eine interdisziplinäre Forschung, die sich drängenden Fragen der Zeit widmet. Unter dem Rektor Jürgen Timm wurde die Wende vollzogen hin zu einer Regionaluniversität, sie hat damit erhalten, was ihr am Anfang fehlte: Akzeptanz in der Stadt, der Wirtschaft, der wissenschaftlichen Community.

Auf diese Basis nun treibt der derzeitige Rektor Müller - der selbst einst ein Kritiker der Wende war - nun die Ankennung der Bremer Universität in der so genannten Exzellenz-Initiative voran. Immerhin ist diese Uni heute nach der Vorauswahl eine von nur sieben, die um drei neu zu vergebende Exzellenz-Plätze mit konkurrieren darf.

Das Uni-Jubiläum hat dazu geführt, dass immerhin zwei Bücher erschienen sind, die die Universitätsgeschichte nachzeichnen. Peter Meier-Hüsing hat für den Temmen-Verlag auf 250 Seiten eine Menge Material zusammengetragen und in oft lockerem Ton ausgebreitet.

Das Buchprojekt des Donat-Verlages "Tradition Reform" beschränkt sich auf die ersten 30 Jahre und analysiert die Wende der Universität sehr viel genauer. Autorin Birte Gräfing beschreibt ausführlich die Idee des "forschenden Lernens", das in der Form eines "Projektstudiums" stattfinden sollte - und bei der Bologna-Verschulung des Studiums unter die Räder geriet.

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6 Kommentare

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  • C
    Claudio
  • P
    Petra

    Leider wird in der derzeitigen Berichterstattung über die Universität Bremen vergessen, dass sie als Lehrerbildungsuniversität gegründet wurde, und dass mit ihren Strukturmerkmalen Interdisziplinarität, Praxisbezug und Orientierung an der Lebenswirklichkeit der Menschen eine Antwort auf die von Picht bereits Ende der 60er Jahre konstatierte "Bildungskatastrophe" in Deutschland gegeben werden sollte.

    Nicht zu veregessen das Lehrerausbildungsgesetz, das von der Gleichwertigkeit der Schulstufen ausging, die Primarstufenlehrer wissenschaftlich qualifizieren und finanziell gleich stellen wollte und Gemeinschaftsschulen ohne Selektion befürwortete,

    nicht zu vergessen ein interdisziplinäres Projektstudium, das den Zusammenhang von Fach- und Erziehungswissenschaften transparent machen und moderne Unterrichtsmethoden (team teaching, Gruppenarbeit, Selbsttätigkeit) einführen wollte,

    nicht zu vergessen die Einrichtung eines Studiengangs Deutsch mit dem Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache, der auf die Förderung türkischer Einwandererkinder ausgerichtet war, nicht zu vergessen ein Studiengang Behindertenpädagogik, der schon in den 70er Jahren Inklusion als notwendige Voraussetzung für angemessene Förderung ansah, nicht zu vergessen ein Studiengang Sport, der Sport als Breitensport verstand und die Bevölkerung im Sinne lebenslangen Lernens einbeziehen wollte,

    nicht zu vergessen die Nichtabiturientenprüfung, die über Jahre Seiteneinsteigern den Weg zu einer Hochschulausbildung geöffnet hat.

    Die Universität war - vor allem was die Lehramtsausbildung anging, nicht als "Rote Kaderschmiede" gedacht und geplant. Sie war ein Lehr- und Forschungsmodell, dem es um internationalen Anschluss ging. Die Planung orientierte sich dafür an angelsächsischen Einrichtungen, in denen die Demokratisierung viel weiter fortgeschritten war als in Deutschland.

     

    Es sollte noch lange dauern, bis in Deutschland verstanden wurde, dass hier in Bezug auf die Realisierung von Chancengleicheit ein erheblicher Nachholbedarf besteht: Entsprechende Fehler z.B. in dem Festhalten an überkommenen Schulstrukturen und in der Einwanderungspolitik werden erst heute - 40 Jahre später - erkannt und zugegeben.

  • B
    Bernd

    Dieses Buch von Birte Gräfing beim Donat Verlag... hat da jemand die bibliographischen Angaben - ich kann dazu nichts finden. Oder ist das im Artikel ein Fehler?

  • C
    Claudio
  • P
    Petra

    Leider wird in der derzeitigen Berichterstattung über die Universität Bremen vergessen, dass sie als Lehrerbildungsuniversität gegründet wurde, und dass mit ihren Strukturmerkmalen Interdisziplinarität, Praxisbezug und Orientierung an der Lebenswirklichkeit der Menschen eine Antwort auf die von Picht bereits Ende der 60er Jahre konstatierte "Bildungskatastrophe" in Deutschland gegeben werden sollte.

    Nicht zu veregessen das Lehrerausbildungsgesetz, das von der Gleichwertigkeit der Schulstufen ausging, die Primarstufenlehrer wissenschaftlich qualifizieren und finanziell gleich stellen wollte und Gemeinschaftsschulen ohne Selektion befürwortete,

    nicht zu vergessen ein interdisziplinäres Projektstudium, das den Zusammenhang von Fach- und Erziehungswissenschaften transparent machen und moderne Unterrichtsmethoden (team teaching, Gruppenarbeit, Selbsttätigkeit) einführen wollte,

    nicht zu vergessen die Einrichtung eines Studiengangs Deutsch mit dem Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache, der auf die Förderung türkischer Einwandererkinder ausgerichtet war, nicht zu vergessen ein Studiengang Behindertenpädagogik, der schon in den 70er Jahren Inklusion als notwendige Voraussetzung für angemessene Förderung ansah, nicht zu vergessen ein Studiengang Sport, der Sport als Breitensport verstand und die Bevölkerung im Sinne lebenslangen Lernens einbeziehen wollte,

    nicht zu vergessen die Nichtabiturientenprüfung, die über Jahre Seiteneinsteigern den Weg zu einer Hochschulausbildung geöffnet hat.

    Die Universität war - vor allem was die Lehramtsausbildung anging, nicht als "Rote Kaderschmiede" gedacht und geplant. Sie war ein Lehr- und Forschungsmodell, dem es um internationalen Anschluss ging. Die Planung orientierte sich dafür an angelsächsischen Einrichtungen, in denen die Demokratisierung viel weiter fortgeschritten war als in Deutschland.

     

    Es sollte noch lange dauern, bis in Deutschland verstanden wurde, dass hier in Bezug auf die Realisierung von Chancengleicheit ein erheblicher Nachholbedarf besteht: Entsprechende Fehler z.B. in dem Festhalten an überkommenen Schulstrukturen und in der Einwanderungspolitik werden erst heute - 40 Jahre später - erkannt und zugegeben.

  • B
    Bernd

    Dieses Buch von Birte Gräfing beim Donat Verlag... hat da jemand die bibliographischen Angaben - ich kann dazu nichts finden. Oder ist das im Artikel ein Fehler?