SCIENCE SLAM: Wissenschaft, die Laune macht
Einmal im Monat treffen sich junge Forscher im SO36 zur Wissenschafts-Schlacht. Ihr Ziel: das Publikum unterhalten und trotzdem neue Erkenntnisse vermitteln.
Der Raum platzt aus allen Nähten. Selbst auf dem Boden sitzen die Leute. Stefan Bestmann, Professor für Sozialforschung, steht auf der Bühne und spricht über die funktionale Differenzierung sozialer Arbeit. Einige der rund 500 ZuhörerInnen halten Flaschen in der Hand. Sie lachen. Bestmann lacht mit. Denn es ist kein Hörsaal, in dem er doziert, es ist das SO36 in Kreuzberg. Die Leute sind in den Club gekommen, um den monatlichen Science Slam zu erleben. Bestmann gibt den Auftakt zur Wissenschaftsschlacht bei Bier und guter Laune.
"Es geht um die andere Art der Wissensvermittlung", sagt Gregor Büning. Seit Februar 2010 veranstaltet der 38-jährige Umweltingenieur den Science Slam an jedem ersten Montag im Monat in Berlin. Erfunden wurde die Wissensschlacht 2006 in Darmstadt, heute gibt es sie in fast allen großen Städten. Ähnlich einem Poetry Slam treten dabei NachwuchswissenschaftlerInnen gegeneinander an. Ziel ist es, Forschungsergebnisse in nur zehn Minuten auf verständliche und unterhaltsame Weise zu präsentieren. "Hier gilt einhundert Prozent eigene Forschung", betont Büning. Die Themen sind breit gefächert, ob Natur-, Sozial- oder Geisteswissenschaft ist egal. Jeder kann auftreten, von der Studentin bis zum Doktor.
Bestmann ist als Professor nur der "featured scientist". Sein Vortrag geht nicht in die Wertung ein. Stattdessen soll er dem Publikum einen lockeren Einstieg bieten und den Slammern im Wettbewerb die Last des Ersten von den Schultern nehmen. Als er fertig ist, jubelt das Publikum. Die Sanduhr zeigt, dass Bestmann seinen Vortrag innerhalb der zehn Minuten geschafft hat. Der Wettkampf kann starten.
Benedikt Dercks betritt die Bühne. Zweimal hat er schon an einem Science Slam teilgenommen. "Ich hoffe, es wird genauso witzig wie sonst auch", sagt er vor seinem Auftritt. "Es soll den Leuten Spaß machen und mir auch." In Bochum promoviert der 27-Jährige gerade zum Thema Mikrodestillation. "Ich will endlich wieder Frauen kennenlernen", sagt er. Deshalb sei er hier.
Wenn man von Mikrodestillation spreche, ginge das schlecht. "Bei ,Mikro' lachen die meisten Frauen, bei ,Destillation' hören sie nicht mehr zu." Passend zu dieser Herangehensweise an das Thema steht Dercks Vortrag unter dem Titel "Zählt die Größe oder die Technik?". Das Publikum lacht. Der Slammer erklärt die Vorteile winziger Destillationsapparaturen: "Jetzt kann ich endlich in meiner Jackentasche Schnaps brennen und den Flachmann zu Hause lassen." Mit einer Formel beendet er seine zehn Minuten. Beifall beim Publikum.
Als nächster ist Luis Costa dran, er spricht über den Anstieg des Meeresspiegels als Folge des Klimawandels und was dies für die Küsten Europas bedeutet. Auch Costa promoviert gerade - am Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam. Seinen Vortrag hält er auf Englisch. Jahrhunderte habe ein Liebesverhältnis geherrscht zwischen den Küstenstädten und den Meeren, sagt Costa. Dieses werde jedoch gerade erschüttert, würden doch die Städte immer größer und der Meeresspiegel immer höher. Bis 2050 werde der Meeresspiegel um 40 Zentimeter steigen, erklärt Costa. Ein veranschaulichender Vergleich darf nicht fehlen: 40 Zentimeter entsprechen zwei Maß Bier. Deshalb müsse man das Wachstum der Städte besser planen. Die Schlussfolgerung: "Keep coasts free. Make love, not houses." Küsten freihalten und Liebe machen statt Häuser - auch ihm ist der Applaus sicher.
Kurze Pause. Anschließend betritt Christopher Kyba die Bühne. Der 33-jährige Teilchenphysiker kommt aus Kanada, hat in den USA promoviert und ist nun wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin. Es ist sein erstes Mal bei einem Science Slam. Sein Thema ist die Lichtverschmutzung. Nachts werde das Licht der Städte vom Himmel reflektiert, erklärt Kyba, das habe Folgen für die Menschen. Schließlich steuere das Hormon Melatonin den Tag-Nacht-Rhythmus des menschlichen Körpers. Zugleich beuge es Krebs vor. Dazu müsse es nachts aber auch richtig dunkel sein. Moderne Straßen, die das Licht nicht mehr nach oben strahlen, seien eine denkbare Lösung. Wieder jubelt das Publikum.
Anna von Pippich darf als vierte Teilnehmerin den Wettbewerb beschließen. "Ich hoffe, die Leute verstehen meinen Vortrag", sagt die promovierte Mathematikerin vorher. Ihr Vortrag sei eine der möglichen Anwendungen des Forschungsthemas ihrer Arbeitsgruppe an der Humboldt-Universität. Sie spricht über Kryptografie. Titel des Vortrags: "Die Brezel als Garant für zukünftige Datensicherheit". Von Pippich beginnt, Formeln zu erklären. "Ich denke, das kriegen wir alle hin", sagt sie ins Publikum. Die Leute lachen skeptisch. Mit mathematischen Kurven erklärt sie dann, wie man Botschaften sicher verschlüsselt und dass dies bereits in Handys funktioniere.
Wie auch bei Poetry Slams üblich, darf das Publikum nun den Sieger bestimmen - per Applausabstimmung. "Dazu haben wir ein Schallmessgerät auf der Bühne, um auch das ein bisschen wissenschaftlich zu gestalten", sagt Veranstalter Büning. Nacheinander ruft Moderator Marc Zeugner die Namen der Teilnehmer auf. Jedes Mal Pfiffe, Schreie und lautes Klatschen.
Dann verkündet er das Ergebnis. Mit 100,4 Dezibel gewinnt Christopher Kyba, der Lichtsmog-Experte. Stolz hält er seinen Preis nach oben: ein Paar Boxhandschuhe und einen Büchergutschein. "Das war eine Überraschung", sagt der Sieger. Bestimmt werde er noch mal an einem Science Slam teilnehmen. "Und die Boxhandschuhe hänge ich in mein Büro."
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