Vukovar, 20 Jahre nach der Zerstörung: Die Mühsal mit der Toleranz
Wie kann das klappen, Serben und Kroaten in einer Stadt? Die einst zerstörten Fassaden mögen erneuert sein, doch das Leben ist es nicht, sagt der Mechaniker Zvonko.
VUKOVAR taz | Es war ein beschauliches Leben in der an der Donau gelegenen Barockstadt. Die damals fast 50.000 Menschen umfassende Bevölkerung von Vukovar setzte sich aus Kroaten, Serben, aber auch aus Ungarn und vielen anderen Minderheiten zusammen, die im sozialistischen Jugoslawien des Josip Broz, genannt Tito, friedlich zusammenlebten.
Die aus dem 18. Jahrhundert stammenden Häuserzeilen waren schon damals ein Anziehungspunkt für viele Touristen, das Schloss Eltz war eine große Attraktion, der Hafen ein Anlegepunkt für Donautouren. Außerdem war Vukovar mit dem Nachbarort Borovo Selo ein Zentrum der Leder- und Textilindustrie. Es herrschte Vollbeschäftigung.
Doch dann brach das Inferno herein. Nach drei Monaten Krieg wurde Mitte November 1991 Vukovar von den Serben eingenommen.
Bei einem Besuch 1996 zeigte sich das ganze Ausmaß der Zerstörung. Von der Innenstadt waren nur Ruinen übrig. Massive Steinmauern waren unter dem Dauerbeschuss von Maschinengewehren und Granaten zerbröselt, viele größere Gebäude dem Erdboden gleichgemacht. Welch surreales Bild, das sich im Kopf festgesetzt hat.
Es ist ein seltsam berührendes Gefühl, 20 Jahre nach der Eroberung der Stadt durch serbische Truppen wieder nach Vukovar zu fahren. Die Ortsnamen hier in Ostslawonien klingen vertraut, Vinkovci, das 14 Kilometer entfernte Nachbarstädtchen, Osijek, eine Großstadt, 28 Kilometer nordwestlich gelegen.
Die Stadt war bei Kriegsbeginn 1991 eine der reichsten Gemeinden Jugoslawiens. Entsprechend attraktiv war sie für nationalistische serbische Milizen, die sich durch Plünderungen finanzierten.
Vukovar und die kroatischen Region Slawonien waren bis 1918 Teil Österreich-Ungarns und hatten eine für das Habsburgerreich typische ethnisch gemischte Bevölkerung. Nach der Vertreibung der Deutschen 1945 siedelten sich zudem viele orthodoxe Serben und Montenegriner in und um Vukovar an, was den multiethischen und multireligiösen Mix noch verstärkte.
Den Wahlsieg der nationalistischen Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft HDZ von 1991 empfanden viele nichtkroatische Bewohner als Bedrohung. Ängste vor einer Wiederholung der Massenmorde des mit Hitlerdeutschland verbündeten faschistischen Ustascha-Regimes (1941-45) wurden von den im benachbarten Serbien herrschenden Nationalisten ausgenutzt, um die Situation in Slawonien zu eskalieren. (rr)
Auch diese Städte wurden von den serbischen Truppen beschossen. Tausende von Flüchtlingen aus Vukovar waren damals hierhergeflohen. Angstvolle, traumatisierte Menschen waren sie, bis sie in andere Teile Kroatiens oder ins Ausland weitergeleitet wurden.
Mehrere Tausend Erschossene
Heute sollen wieder 28.000 Menschen in der Stadt zusammenleben, mindestens ein Drittel Serben. Wie kann das klappen, nach allem, was geschehen ist? Immerhin wurden ja damals mehrere Tausend, vor allem Kroaten, im Kugelhagel getötet, Hunderte regelrecht hingerichtet, noch heute gibt es 306 Vermisste.
Der Mord an den 262 Patienten des Krankenhauses hatte damals die Welt erschüttert. Wie gehen die Einwohner heute mit den Geschehnissen von damals um? Gibt es eine Bewältigung der Vergangenheit?
Banken zwischen Ruinen
Es ist schon dunkel geworden. Nach dem Ortsschild Vukovar tauchen hell erleuchtete Lagerhallen auf, eine moderne Fabrikhalle wird eingerahmt von Tankstellen mit ihren grellen Leuchtreklamen. Die ersten Wohnhäuser machen einen schmucken Eindruck, renovierte Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten.
Im noblen Hotel Lav drängen sich in dem goldgelb gehalten Speiseraum an den farblich abgestimmten Tischen Menschen, die aus aller Welt am vergangenen Freitag zum 20. Jahrestag in die Stadt geströmt sind. Manche der schließlich doch erkennbaren Ruinen sind umrahmt von den Neubauten österreichischer Banken, ein Einkaufszentrum mit modernen Geschäften ist entstanden.
Doch der alte Charme der Stadt, der sogar noch in den Ruinen zu erahnen war, ist verschwunden. Schließlich taucht am Donaustrand die Kneipe Vrsika auf, wo einige Männer an der Bar dem auch in Kroatien eingeführten Rauchverbot trotzen. Der exzellente slawonische Weißwein löst die Zungen der eher zurückhaltenden mittelalten Männer.
Neue Fassaden
Der Mechaniker Zvonko sieht für sich selbst keine Zukunft in der Stadt. "Die Fassaden mögen erneuert sein, doch das Leben ist es nicht." Arbeit sei schwer zu finden, viele neu gegründete Betriebe sind wieder pleitegegangen. Mirko ist total enttäuscht: Er war 1996 aus Deutschland, wo er eine gute Arbeitsstelle hatte, in die Stadt zurückgekommen, um sie aufzubauen. Jetzt ist er arbeitslos und ohne Perspektive.
"Die Jobs erhalten oftmals die Speichellecker der rechten politischen Parteien aus dem Umland, aus Vinkovci und Osijek. Die Phrasen unserer nationalen Politiker über Vukovar als Symbol des Heimatkrieges kann ich nicht mehr hören." Vlado, der acht Monate Gefangener in einem serbischen Lager war, ist immer noch verstört. "Mit den Serben habe ich keine Kommunikation." Auch Zvonko nicht. Er hat damals zwei seiner Brüder bei den Kämpfen verloren. Hass aber empfänden sie nicht, sagen beide.
30 Prozent Serben
Wahrscheinlich weit mehr als 30 Prozent der 28.000 Menschen, die jetzt wieder die Stadt bewohnen, sind Serben. Sie waren nach dem Krieg hiergeblieben, weil damals, anders als in der Krajina - der Grenzregion im Westen Kroatiens, die kroatische Truppen 1995 zurückerobert hatten, wobei die serbische Bevölkerung geflohen war -, dieses Grenzgebiet zu Serbien zunächst von den Vereinten Nationen verwaltet und dann 1997 "geordnet" an Kroatien zurückgegeben worden war. Nur ein Teil der serbischen Bevölkerung ist nach dem Krieg nach Serbien gegangen.
Doch seither leben die beiden Gemeinschaften, die zurückgekehrten Kroaten und die Serben, nebeneinanderher, Kontakte gibt es nur sporadisch. Es gibt zwar keine besonderen Viertel, keine Teilung, wie sie die herzegowinische Stadt Mostar erleidet, doch die Menschen gehen sich in der Regel aus dem Weg.
Getrennte Klassen
"Ich grüße zwar meine Nachbarn, wir sprechen über Alltägliches, aber über den Krieg sprechen wir nicht", sagt die 50-jährige Lehrerin Maria, die als ehemaliger Flüchtling in die Stadt zurückgekehrt ist. "Wie steht es um die Kontakte zwischen Jugendlichen?" "Ich unterrichte kroatische und serbische Kinder in meiner Klasse, da klappt es ganz gut, doch die meisten Kinder sind separiert, es gibt rein kroatische und serbische Klassen."
"Ja, das stimmt, es gibt ein Neben-, aber kaum ein Miteinander", meint auch Dragan Pepic vom Center for Peace in Vukovar. Der knapp 60-jährige Serbe ist Altbürger und engagiert sich jetzt in dieser Nichtregierungsorganisation. "Die Aufarbeitung ist so schwierig, weil der Konflikt zwischen Kroaten und Serben in eine länger zurückliegende Vergangenheit weist." Im Zweiten Weltkrieg hat die mit Hitler verbündete kroatische Ustascha viele Serben in Vukovar ermordet. "Auch diese Zeit ist noch nicht aufgearbeitet."
Seine Organisation unterstütze Menschen aus beiden Lagern, um Recht vor den Gerichten zu erhalten. "Die Gesetze zum Schutze der Minderheiten sind perfekt, da hat die EU mit Kroatien gut verhandelt, doch das ist Papier." In der Wirklichkeit würden Serben nach wie vor benachteiligt. Die Arbeit erhielten bisher vor allem Kroaten aus dem Umland. Serben hätten es noch schwerer als die kroatischen Altbürger. "Auch die Jugendlichen. Viele gehen weg, Vukovar hat seit 2001 sogar 4.000 Menschen durch Abwanderung verloren."
Juristische Aufarbeitung
Aber ist das der wirkliche Grund für die Zurückhaltung beider Lager? Juristisch wird ja immerhin aufgearbeitet. Branimir Glavas, der einstmals "starke Mann" der Kroaten der Region und politische Scharfmacher aus dem benachbarten Osijek, wurde wegen Kriegsverbrechen von kroatischen Gerichten 2006 und 2007 zu zehn Jahren Haft verurteilt, seine Immunität als Abgeordneter aufgehoben.
Die Regierungspartei HDZ hat ihn aus ihren Reihen ausgeschlossen. Glavas floh nach Bosnien und Herzegowina, doch das nützte nicht, er sitzt jetzt dort im Gefängnis. Andererseits standen drei militärische Kommandeure der Serben in Den Haag vor Gericht, mehr als 60 andere Fälle serbischer Kriegsverbrechen wurden vor kroatischen und serbischen Gerichten verhandelt.
Die beiden Lager tun sich dennoch schwer, über die Verbrechen der eigenen Nation zu sprechen. Kroaten klagen die serbischen Verbrechen während des letzten Krieges an, Serben tendieren dagegen dazu, diese Zeit auszublenden und über den Zweiten Weltkrieg zu reden.
Die Ärztin Vesna Bosanac, die Leiterin des Krankenhauses von vor 20 Jahren, deren Patienten vor ihren Augen abtransportiert und ermordet worden waren, ist bis heute auf ihrem Posten geblieben. Sie erklärt, sie habe nie gedacht, dass alle Serben Schuld an den Verbrechen haben, "aber sie sollten sich mit der Wahrheit auseinandersetzen". Niemand könne sich aus der Verantwortung stehlen.
Ein freundlicher Bürgermeister
Vukovar fällt trotz seiner bedrückenden Geschichte politisch angenehm aus dem Rahmen der Region.Während in Osijek die neue gegründete Partei von Glavas, die radikal-nationalistische Kroatische Demokratische Gemeinschaft Slawoniens und der Baranja (HDSSB), den Ton angibt, bilden in Vukovar die Sozialdemokraten der SDP die stärkste Fraktion, weit vor der bisherigen kroatischen Regierungspartei HDZ und der serbischen Nationalpartei SDSS.
Der Sozialdemokrat Zeljko Sabo wurde 2009 in einer Direktwahl zum Bürgermeister gewählt, auch viele Serben gaben ihm ihre Stimmen. Der freundliche und dynamische Bürgermeister redet nicht um den heißen Brei. Eine gesellschaftliche Diskussion über die Vergangenheit, eine Versöhnung ist bisher zwar nicht so zustande gekommen, wie er es gern hätte.
Und auch Jobs für alle gibt es noch nicht. Aber: "Nur wenn wir in Frieden und Toleranz zusammenleben, können wir erfolgreich die Stadt und ihre Wirtschaft weiterentwickeln", betont er. Sind Versöhnung und wirtschaftliche Entwicklung also zwei Seiten einer Medaille?
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