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Fragwürdige SäuglingsnahrungNur "nach dem Vorbild" der Natur

Muttermilchersatznahrung ist nicht so gut, wie die Hersteller das in der Werbung suggerieren. Zweifelhafte Gesundheitsversprechen rufen nun Kinderärzte auf den Plan.

Kritischer Säugling: Was da wohl in der Flasche ist? Bild: dapd

Wer heute Säuglingsmilch kaufen will, der sieht sich mit einer Fülle an Produkten konfrontiert. Auf den Verpackungen buhlen einerseits Aufschriften wie "Nach dem Vorbild Muttermilch" oder "mit Forschern entwickelt" um die Gunst der jungen Eltern. Zudem suggerieren kryptische Fachbezeichnungen wie "LCP" oder "Bifidus", dass in Sachen Babynahrung garantiert alles wissenschaftlich zugeht.

Auch bei den Internetauftritten oder der Werbung für Print und TV verfolgt man diese Strategie – schließlich ist der Markt für Babynahrung hart umkämpft und sind die verunsicherten Eltern nur über eine glaubwürdige Vermarktung zu ködern.

Diese Marketingstrategie ist nun jedoch ins Visier von Ärzte- und Hebammenverbänden geraten. Im Deutschen Ärzteblatt kritisierten die Mediziner kürzlich gemeinsam mit der Nationalen Stillkommission am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), dass die Vermarktung der Produkte gegen den Kodex der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und gegen deutsches und europäisches Recht verstoße. Denn die Formulierungen auf Verpackungen, in Werbespots und auf Internetseiten suggerierten, dass die Ersatznahrung sehr nah an das Vorbild Muttermilch herankomme.

So liest man etwa auf den Internetseiten der Firma Hipp, dass das neue Produkt "Combiotik pre" auf Grund der einzigartigen Kombination aus Probiotika und Präbiotika dem Vorbild Muttermilch noch einen Schritt näher gekommen sei.

"Das verstößt gegen geltendes Recht", meint Berthold Koletzko, Ernährungsexperte der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Denn es ist laut Diätverordnung verboten, die Eigenschaften von Flaschennahrungen zu idealisieren und den Eindruck einer Gleichwertigkeit mit dem Stillen zu erwecken.

Verfahren gegen Hipp

Bei Hipp will man sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Dafür hat der Diätverband, in dem die Hersteller von Kindernahrung Nestlé (Alete), Danone (Milupa) und Hipp (Bebevita) organisiert sind, eine Stellungnahme veröffentlicht. Dort liest man etwa: "Die Formulierung 'nach dem Vorbild der Muttermilch' bezweckt bereits dem Grunde nach keine Suggestion der Gleichwertigkeit".

Bei den zuständigen Behörden sieht man dies jedoch ganz anders: Zumindest das Landratsamt Pfaffenhofen (Bayern) hat wegen dieser Formulierung gegen die Firma Hipp kürzlich ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.

Auch sachlich sei die Werbung falsch und eine Verbrauchertäuschung, meint Koletzko. "Die Zusammensetzung der Produkte ist der Muttermilch keineswegs ähnlich." Probiotika sind spezielle Bakterienkulturen wie Laktobazillen, die vermutlich die menschliche Darmflora und damit etwa das Immunsystem beeinflussen.

In der Muttermilch hat man eine große Vielzahl an unterschiedlichen Bakterienstämmen gefunden, während in Babynahrung nur ein oder zwei Stämme zur Anwendung kommen."Aber gerade die Vielfalt der bakteriellen Exposition dürfte für die Prägung des kindlichen Immunsystems wichtig sein", meint Koletzko.

Zu den Prebiotika zählen Mehrfachzucker (Oligosaccharide) wie etwa das Inulin oder Ballaststoffe. Auch sie sollen helfen, das kindliche Darmmilieu günstig zu beeinflussen. Hier gilt das Gleiche: Eine große Vielfalt sehr komplexer Oligosaccharide kommt in der Muttermilch vor, mehr als 150 unterschiedliche hat man bislang gefunden.

Nur simple Mehrfachzucker

In Tütenmilch finden sich jedoch nur ein oder zwei vergleichsweise simple Mehrfachzucker. Probiotika und Prebiotika werden mittlerweile fast allen Säuglingsmilch-Produkten zugesetzt, weil sie vor Durchfallerkrankungen und Allergien schützen sollen. Eine aktuelle Stellungnahme der "European Society for Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition" hält einen klinisch relevanten Vorteil von Pro- und Prebiotika für gesunde Kinder aber nicht für belegt.

"Es gibt zwar Hinweise auf positive Wirkungen, aber welcher Bakterienstamm etwa in welcher Dosierung über welchen Zeitraum eingenommen werden sollte, ist unklar", sagt Christian Braegger vom Universitätsspital in Zürich und Erstautor der Studie. Weil die meisten Studien industriefinanziert seien, mahnen die europäischen Wissenschaftler unabhängige Studien an.

Einige Hersteller setzen der Säuglingsnahrung mittlerweile auch langkettige, ungesättigte Fettsäuren (LCP) zu, weil diese auch in der Muttermilch vorliegen würden. LCP sind Omega-3-Fettsäuren, die laut dem Forschungsinstitut für Kinderernährung von vielen Experten als vorteilhaft für die Gehirnentwicklung und die Sehfähigkeit beim Säugling angesehen werden. Allerdings sind die Studienergebnisse zwar vielversprechend, aber ebenfalls nicht eindeutig.

"Fest steht: Ohne die Industrieforschung hätten wir heute nicht so gute Muttermilchersatzprodukte. Aber wie diese seit einiger Zeit beworben werden, geht eindeutig zu weit", meint Hildegard Przyrembel, ehemaliges Mitglied der Nationalen Stillkommission. Die Werbung für Muttermilchersatznahrung ist so streng geregelt, weil Mütter in der sensiblen Phase nach der Geburt nicht dazu verleitet werden sollen, frühzeitig abzustillen.

Neben Werbespots, die eine stillende Mutter zeigen, monierten die Kinderärzte um Berthold Koletzko auch, dass immer noch kostenlose Proben von Säuglingsnahrung an Ärzte und Hebammen verteilt werden, obwohl dies seit 30 Jahren untersagt ist.

In einer Studie aus dem Jahr 2008 hatte der Wissenschaftler Ken Rosenberg vom Gesundheitsministerium in Oregon belegt, dass Mütter früher zur Babyflasche griffen, wenn sie in der Klinik solche Proben erhalten hatten. Als Skandal bezeichnet der Münchner Wissenschaftler Koletzko den aktuellen Trend in der Vermarktung von Babynahrung "weil die Hersteller dies wider besseres Wissen tun".

Auch in Entwicklungsländern wird der WHO-Kodex teilweise ignoriert – mit verheerenden Folgen: Die Kinder sterben, weil das Wasser vor Ort, mit dem das Milchpulver angerührt wird, oft unhygienisch ist. Erst im Mai dieses Jahres hat die Unicef die Werbung für Muttermilchersatznahrung in vielen Entwicklungsländern als grob fahrlässig bezeichnet. Die weltweit agierenden Babynahrungshersteller wie Nestlé, Pfizer-Wyeth und Danone-Nutricia-Milupa seien damit mitschuldig am Tod von jährlich 1,5 Millionen Kindern.

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4 Kommentare

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  • MK
    Mira Kaiser

    Ich finde es nur schade, dass Müttern, die nicht stillen können (auch wenn das nicht so viele sind) noch ein schlechtes Gewissen eingeredet wird. Ich würde so gerne stillen, es geht aber leider nicht und jedes Mal komme ich mir total schlecht vor, obwohl ich ja nichts dafür kann.

  • M
    Marlene

    Für mich war und ist Kunstmilch - wie ich die Säuglingsnahrung nenne - seit jeher ein viertklassiges Produkt, um das Kind satt zu bekommen. Mehr nicht.

     

    Ich hatte meiner Tochter sehr lange das Beste geben, was mein Körper produzierte.

     

    Mir stößt jedes Mal sauer auf, wenn unerfahrene Mütter suggeriert bekommen "nach dem Abstillen (ja wann denn?) müsse das Kind vor den bösen Keimen mit (überflüssiger) Folgemilch" ernährt werden.

     

    So nach dem Motto "schön, dass Sie gestillt haben. Aber jetzt nach 6 Monaten taugt Ihre Milch nichts mehr".

     

    Unsere Gesellschaft ist oft so, dass es ein dickes Fell braucht, stillt man länger als die empfohlene Stillzeit.

     

    Ich wünschte mir, dass gerade Kinderärzte - die sich ja um die Gesundheit der Kinder kümmern (sollten) - bei Still- oder besser Laktationsberater - Nachhilfeunterricht nehmen würden. Denn noch zu viele Mütter glauben dem Herrn Doktor / der Frau Doktorin zu viele Dinge, die definitiv falsch sind.

  • PS
    Philipp Sandermann

    Es ist sicher richtig, dass Muttermilch die beste Nahrung für Säuglinge ist. Gleichwohl kann einem manchmal übel werden, wenn man sich die ideologische Schärfe ansieht, mit der hier für ein unbedingtes Stillen solange wie möglich eingetreten wird. Gerade wenn dies dann den entscheidenden Müttern bedingungslos aufoktroyiert wird. Ob das dazu führt, dass in Extrembeispielen manche Mütter ihre Kinder bis zum Alter von 8 Jahren stillen wollen und auch glauben dies zu müssen, sei hier mal dahingestellt. Aber der Druck dem Mütter in Fragen des Stillens in den lketzten Jahrzehnten gerade von sog. "alternativer" Seite ausgesetzt sind ist schon erschreckend. Zur Frage der Konzernverantwortung: Natürlich ist es falsch, wenn Produkte unverhältnismäßig beworben werden und dem Verbraucher suggerieren, etwas bieten zu können was nicht Realität, sondern ein ideales Fernziel ist. Gleichzeitig sollte sich auch die Gegenseite der extremen Stillbefürworter von Zeit zu Zeit fragen, mit welcher Schärfe und Grundsätzlichkeit hier argumentiert wird. Bspw. schon mal an die zahlreichen Mütter gedacht, die auf Medikamenteneinnahme angewiesen sind und deswegen lieber Ersatznahrung geben als medikamentös durchwirkte Muttermilch? Oder auch mal bedacht, in welches konservative Horn man stößt, wenn man Mütter partout unter Druck setzt unbedingt solange zu stillen wie möglich - und damit auch die Mutter-Kind-Dyade ideologisch bis zum Exzess überhöht (oftmals übrigens auch zu Lasten der Vater-Kind-Dyade, denn Väter mit Kindern, die ab einem gewissen Alter - bspw. ab 3 Monaten - Flaschennahrung erhalten, können sehr viel unabhängiger voll erziehungsverantwortlich mit den Kleinen agieren als wenn man alle 3-4 Stunden zu Mama muss). Auch dies hat eine politische Dimension, und ganz so einfach wie oft suggeriert, ist die Sache dabei leider nicht. Deshalb bitte mehr Differenziertheit und weniger Pauschal(ver)urteil(ungen) bei diesem Thema! Auf Müttern, Kindern und 9individuell-familialen Entscheidungen rumgehackt wird nämlich ohnehin schon genug. Um dessen gewahr zu werden muss man nur mal mit einem weinenden Kind in den Bus einsteigen und sich die dortigen Blicke, Kommentare und "Ratschläge" zu Gemüte führen.

  • SW
    Sabine Weick

    Muttermilch ist die optimale Ernährung für den Säugling. Große Industriekonzerne, Wissenschaftler und die Agrarlobby versuchen dennoch mit Werbung oder Forschung ständig neue Wege zu entwickeln, wie sie auch Kuhmilch für das Menschenbaby anpreisen können. Argentinische Wissenschaftler haben sogar eine Klon-Kuh „erschaffen“, die zwei menschliche Gene und damit die Fähigkeit besitzt, menschenähnliche Milch zu produzieren. PETA Deutschland e.V. kritisiert heftig, dass die Molkereiwirtschaft jährlich weit über 200 Millionen Euro für Marketingzwecke ausgibt, die Kindern und Eltern suggerieren sollen, wie gesund die Milch sei und wie gerne die Kuh ihre Milch uns Menschen anstatt ihrem eigenen Kalb gibt.

    Tatsächlich jedoch ernährt die Muttermilch den Säugling bereits mit der optimalen Nährstoffkombination. Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen sind ausschließlich mit Muttermilch ernährte Babys in späteren Jahren weniger anfällig für Übergewicht oder Allergien. Laut dem Robert Koch Institut hat Muttermilch zahlreiche Vorteile für die Gesundheit von Mutter und Kind. Sie ist richtig temperiert und hygienisch einwandfrei. Aufgrund der Vorzüge des Stillens empfiehlt die Nationale Stillkommission am Bundesinstitut für Risikoforschung den Müttern, ihre Kinder bis zu sechs Monate ausschließlich zu stillen und auch mit der Einführung der Beikost nicht sofort abzustillen. Die Muttermilch gibt es kostenlos und ganz ohne Verpackung. Gerade Mütter können gut nachvollziehen, wie schrecklich es sein muss, kurz nach der Geburt von ihrem Baby getrennt zu werden. PETA möchte daran erinnern, dass dies bei jeder industriellen Milchproduktion der Fall ist. Die Kälbchen werden entweder selbst wieder als Milchproduzent missbraucht oder kommen nach nur wenigen Monaten zum Schlachter. Mehr Informationen zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Milch und der industriellen Milchproduktion finden Sie unter www.peta.de/milch.

     

    Sabine Weick

    Ökotrophologin bei PETA Deutschland e.V.