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Wohnen und LebenArme an den Rand gedrängt

Die Innenstadt wird zum Refugium für Betuchte, sozial Schwache müssen abwandern. Das belegen aktuelle Zahlen der Wohnungsunternehmen.

Randlage: Plattenbauten in Marzahn Bild: ap

Wer arm ist, muss sich aus attraktiven Innenstadtlagen verabschieden - diese viel diskutierte These ist jetzt mit umfassenden Daten zu Einkommen, Mietpreisen und Armut belegt. Ausgerechnet der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), der stets vor Panikmache auf dem Wohnungsmarkt warnt, veröffentlichte am Dienstag entsprechendes Zahlenmaterial auf der Basis von 900.000 Mietverträgen. Daraus geht hervor, dass die Zahl der Hartz-IV-Empfänger in Stadtrandlagen steigt, während sie in Bezirken wie Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg abnimmt. Gleichzeitig erreichen die Neuvermietungspreise in Friedrichshain-Kreuzberg Rekordwerte und liegen mit 6 Euro/qm an zweithöchster Stelle in Berlin.

Trotzdem vermeidet der BBU, der 359 Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften vertritt, hartnäckig den Begriff "Verdrängung". Lediglich "Suchbewegungen" will der Vermieterverband erkennen. Das sieht der Chef des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, anders: "Arbeitslosengeld-II-Empfänger finden keine Wohnungen mehr. Wer da nicht von Verdrängung spricht, betreibt Schönfärberei", sagte er der taz. Zwischen 2006 und 2010 sank die Zahl der Hartz-IV-Haushalte in den Trendkiezen Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Kreuzberg und Nord-Neukölln teils um mehr als drei Prozent. In der Köllnischen Heide und im Märkischen Viertel, aber auch in Reinickendorf, Charlottenburg-Nord, Siemensstadt und am nordöstlichen Stadtrand stieg diese Zahl.

Am billigsten: Marzahn

Die höchsten Neuvertragsmieten erzielten die BBU-Mitgliedsunternehmen 2010 in Charlottenburg-Wilmersdorf, dort wurden im Schnitt 6,21 Euro/qm fällig (+3,8 Prozent). Nach Friedrichshain-Kreuzberg mit 6 Euro (+4,5 Prozent) folgten Steglitz-Zehlendorf (5,83 Euro) und Pankow (5,82 Euro). Am billigsten wohnten Umzügler in Marzahn-Hellersdorf mit 4,78 Euro/qm. Im Berliner Durchschnitt stiegen die Neuvermietungspreise um 4,2 Prozent auf 5,48 Euro/qm, das liegt über dem Mietspiegel. Die Bestandsmieten legten berlinweit um 2,3 Prozent zu - sie lagen mit 4,92 Euro/qm 29 Cent unter dem Mietspiegel.

Dabei haben die Menschen gerade dort am wenigsten Geld, wo Wohnungen bei Neuvermietung mit am teuersten geworden sind: in Friedrichshain-Kreuzberg. Das mittlere monatliche Haushaltsnettoeinkommen lag 2010 bei 1.400 Euro - die Steglitz-Zehlendorfer bekamen über 500 Euro mehr auf ihr Konto. Auf diese Diskrepanz angesprochen, wich die BBU-Vorsitzende Maren Kern aus. Sie verwies darauf, dass Sanierungen eben deutlich höhere Mieten nach sich zögen. "Anders ist das nicht zu machen."

Überhaupt bewertete Kern die Daten als nicht alarmierend. Sie sieht genügend Trends, die einer großflächigen Verdrängung widersprächen. So sei erwiesen, dass Familien ins Grüne zögen - nicht nur in die klassischen Gegenden, sondern auch nach Marzahn-Hellersdorf. Kern bewertete den vom Land angekündigten Stadtentwicklungsplan Wohnen positiv. Er zeige, dass der Senat das Thema ernst nehme. Gleichzeitig forderte die BBU-Chefin das Land erneut auf, die Wohnungszahlungen und -beschränkungen für Hartz-IV-Empfänger nach oben anzupassen.

In diesem Punkt stimmt der Mieterverein zu. Allerdings warnt sein Vorsitzender Wild den BBU davor, Verdrängung zu verharmlosen. In Lichtenberg etwa zeige sich schon, dass früher günstige Wohngegenden aufgewertet und ärmere Menschen abgedrängt würden. "Wenn sich das fortsetzt, gibt es auch in den jetzigen Zufluchtsorten bald keine Wohnungen mehr."

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20 Kommentare

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  • B
    Benito

    Städte sind in erster Linie dazu da um die Wirtschaft anzukurbeln ,die bedürfnisse der Menschen kommen in der Kapitalistischen Stadtentwicklung höchstens auf Platz drei .

    Nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung wird heutzutage benötigt um dieses Land am Laufen zu halten ,dank Rationalisierung .

    Aber die wenigsten wissen sinnfol ihre Freizeit zu nutzen ,z.B. Volksentscheide starten für Wohnen als Grundrecht .

  • AO
    Asi ohne Niveau

    Geschichte verkehrt herum: Normalerweise müßte sich das Gelumpe erstmal Hütten am Stadtrand bauen, aber die klauen ja nicht nur Wohnraum, die klauen auch Jobs.

     

    Demnächst dann mit dem Auto direkt vom "Kiez" auf die Bahn und die Wäsche zu Mama fahren.

    "Wie New York" sein wollen, sich aber dann über Schlaglöcher aufregen.

    Wie die Bauern, die sich SUV-Trecker kaufen und dann rumheulen, weil die Parkhäuser zu eng sind.

    Richtig spannend wird es dann für die zugereiste Pisse, wenn das Pack, das sie vertrieben haben sich dann in den Vorstädten organisiert und in ihre alten Kieze auf Raubtour kommt.

    Happy Überfall - besser als Omis allemal!

  • Y
    Yadgar

    Für mein Genossenschafts-Wohnklo (24,3 m²) in Köln-Niehl zahle ich auch 6 Euro/m²... für Kölner Verhältnisse ist das traumhaft billig! Allerdings ist die Haustechnik aus den 60er Jahren, und für eine Hammond B3 mit 122er Leslie reicht der Platz auch nicht... trotzdem bleibe ich hier wohnen, ich denke ja gar nicht daran, mir was Größeres ans Bein zu binden!

  • EW
    Eva Willig

    Wie wär's denn, wenn Ihr mal das deformierte SGB II lesen würdet, dort wird vorgeschrieben, dass die soziale Mischung eines Gebiets erhalten bleiben soll. Außerdem ist geregelt, wie der Mittelwert eruiert werden soll, unter Einbeziehung des Leerstands in verschiedenen Kategorien. Leerstandsermittlung beim alten wie beim neuen Senat -Fehlanzeige.

    Seit über einem Jahr herrscht in Berlin beim Wohnen Armer Richterrecht!!! Leider wird das noch eine Weile anhalten.

  • AF
    Arno Fitz

    Alles schön und gut, was hier in den Kommentaren so geschrieben wird. Blöd ist halt nur, dass man Leuten nicht vorschreiben kann, wo sie nach einer Wohnung suchen sollen. Wenn alle, die sich über 100 Interessenten bei billigen Wohnungen in der Innenstadt beschweren, am Stadtrand suchen würden, dann wäre die Situation entspannter. Oder anders ausgedrückt: Wenn sich die Wohnungssuchenden gleichmäßig über die ganze Stadt verteilen würden, wäre allen geholfen, auch denen, die bereits wohnen. Tun sie aber nicht. Und viele von Euch, die sich hier beschweren, tun es auch nicht. Vielleicht fragt sich der ein oder andere mal, ob die steigenden Mieten und knappen Wohnungsangebote nicht ein hausgemachtes Problem sind.

  • T
    Tim

    Dass es billige und teure Viertel gibt, ist doch normal. In jeder Stadt und auch in Landkreisen. Die Frage ist doch: Warum ist ein Stadtteil attraktiv? Und wie kann man andere Stadtteile attraktiver machen, um den Zuzugsdruck gleichmässiger zu verteilen. Teurer wird es eh. Das Problem in Berlin ist, dass es kein echte Stadtplanung gibt. War bisher kaum nötig und konnte sich auf kurzfristige Lösung von Problemen und visonäre Planungen beschränken. Dazu kommen noch die uninteressierten Vermieter. Denen nur wichtig ist, dass die Miete reinkommt. Was in ihrem Haus passiert ist egal. Ferienwohnungen, Unter-Unter-Zwischenmiete, Quasi-Leerstand, weil es sich Leute leisten, einige Tausend Euro/Jahr Miete, für einen Koffer in Berlin auszugeben (eine Wohnung in Berlin zu haben, kommt bei Small-Talk-Tischgesprächen besonders im internationalen Geschäftsumfeld derzeit sehr gut an - besser als die langweilige Yacht).

     

    Viele Neu-Berliner schwärmen von der geilsten Stadt Europas und dem NY Deutschlands. Wenn das mit NY auch für die Mieten und Stadtplanung gilt, wird in 15 Jahren innerhalb des S-Bahn-Rings und in den anderen schon heute bevorzugten Stadtteilen Mittelklassentristess und Reichenghetto herrschen. Wer da nicht reinpasst findet sich in den Großsiedlungen, in Brandenburg oder am Stadtrand wieder. Hörts sich irreal an, weil es keine deutschen Vorbilder gibt - aber es gibt auch keine deutschen Städte mit soviel Veränderungsdynamik.

  • E
    egal

    @ Claudi:Überlege doch mal bitte, Berlin ist eine Stadt mit einem grossen Zuwachs.Die Leute kommen doch nicht von Zehlendorf nach Neukölln oder Steglitz , sondern z. B. aus den anderen Bundesländern oder auch aus dem Ausland.Das Eine bedingt doch dann das Andere.Die meisten Leute, die nach Berlin kommen, haben ja ne Arbeit, weil die Firma hier hingezogen ist oder so.Natürlich entsteht aus einer Knappheit auch eine Verdrängung, das ist doch einfach logisch.

  • RL
    Red Lope

    Vermutlich wird sich das bald ändern - nämlich dann, wenn die Krise voll zuschlägt. Dann gehen die kreditfinanzierten Vermieter/Heuschrecken reihenweise pleite und die Mieten gehen runter und die "Betuchten" fliehen aufs Land. In den Städten herrscht dann der Mob.

     

    Außerdem - "Sozial" schwach sind die Armen wohl nicht alle, Sondern finanziell schwach.

  • E
    @erftstadtboy

    Für Bestandsmieter sind deine Erfahrungen bei der Wohnungssuche nicht relevant. Die haben alte Mietverträge, bei denen die Kaltmiete je nach dem, wie lange sie schon in der Wohnung leben, mehr oder weniger stark unter dem Durchschnitt von 6 EUR liegt. Die Preise, die du gesehen hast, sind die für Neuvermietung. Klar, dass die viel höher als der Mietspiegel sind.

  • E
    erftstadtboy

    erstaunlich, wie hier über alles mögliche geurteilt wird, ohne anscheinend selbst betroffen zu sein.

    6Euro/kalt ist ein durchschnittswert, der sich nicht mit meinen aktuellen erfahrungen deckt. viele angebote liegen darüber. ich habe mich nach wohnungen in nuekölln (nicht zentral, nähe s-bahnring) und kreuzberg umgesehen , ergebnis: ab 6euro kalt/qm in neukölln. in kreuzberg bekommt man eigentlich nichts mehr unter 8eu/qm, oft noch drüber.

    bei den vereinzelten günstigeren preisen: über 100 interessenten, da ist immer einer dabei, der ein gutes gehalt/superbonität nachweisen kann. keine chance.

    für familien ist das der horror. und an den rand ziehen bringts nicht, denn da wohnen die freunde nicht, die ab und zu baby sitten, einem ab und zu im alltag unterstützen. das muss man dort also wieder bezahlen, aber von welchem geld?

    die preise bleiben ja jetzt auch nicht stehen, sie werden sich innerhalb der kommenden 10jahre an westdeutsche städte angleichen. allein schon um die renditerwartungen der investoren zu erfüllen. was wiederum dem berliner binnenkonsum schaden wird (weniger geld für konsum, denn die einkommen steigen nicht), da immobiliengewinne aus der region abfliessen.

    in städten wie hamburg verdienen die menschen wesentlich mehr. und es gibt weniger arbeitslose. das ist also nicht vegleichbr.

    nur weil es irgendwo schlechter ist, heisst das nicht, dass es hier gut ist. man sollte sich wehren, BEVOR es zu spät ist.

    wohin verdrängung am ende führt, kann man in paris sehr gut beabachten.

  • RZ
    Reiner Zufall

    Das Recht auf Wohnung wird viel zu oft verwechselt mit einem Recht auf Wohnen in teuren Wohngegenden. Zur Tafel geht doch auch niemand und beschwert sich, dass es keinen Hummer gibt. Der Arbeitslose mit gesetzlicher Krankenversicherung beschwert sich bei seinem kostenfreien Krankenhausaufenthalt auch nicht, dass er kein Einzelzimmer mit Chefarztbehandlung bekommt. Komischeweise wird beim Wohnen aber immer davon ausgegangen, dass Luxus auch ohne die entsprechenden finanziellen Mittel möglich sein muss.

  • PP
    @ Peter S

    Erstens finde ich es absolut grenzwertig, dass Sie Arbeitslosigkeit als Begleiterscheinung des Islams beschreiben (Sarazin lässt grüßen).

    Zweitens ist der von Ihnen genannte Wedding das beste Beispiel dafür, dass in Berlin auch Menschen mit geringem Einkommen zentrumsnah wohnen können. Das betrifft in Mitte übrigens nicht nur den Wedding. Da muss man sich nur mal die Bevölkerungsstruktur zwischen Alex und Strausberger Platz rund um die Karl Marx Allee ansehen. Näher zum Zentrum geht fast nicht mehr.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Arme nicht künstlich in Ghettos verbrachten.ES gibt Stadtteile /Kieze im Land Berlin ,wo Menschen mit einem geringen Einkommen keine Möglichkeit haben,dort zu wohnen,wie in HJermsdorfd,Frohnau,Zehlendorf,Dahlem,Mitte,Prenz-

    lauerberg.In jedem Stadtteil sollten alle Bevöljkerungsschichten wohnen und leben können.Nur so geschieht ein Miteinander.

    Ghettos ,nur mit betuchten Bewohnern,beziehungsweise Ghettos mit geringen Einkommen sollte es in Berlin und anders wo nicht geben.

  • PS
    Peter S.

    @von @Cartouche: Zu Mitte gehört auch der Wedding, dort wohnen viele Anhänger des Islams mit den entsprechenden Begleiterscheinungen wie hoher Arbeitslosigkeit. Es gab einen großen Aufschrei am Arkonaplatz (dort, wo die "Grünen" gewählt werden), als Kinder von dort nach Wedding zur Schule sollten....

  • C
    @Cartouche

    Wie erklärst du dir dann, dass in Mitte, also einem der angesagtesten und teuersten Bezirke und wie der Name schon sagt: mittendrin, mit 15% mehr Arbeitslose leben als im Berliner Durchschnitt. Es scheint also doch für sehr viele Menschen ohne großen Geldbeutel möglich zu sein, zentrumsnah zu wohnen.

  • C
    Claudi

    Das Problem ist doch ganz offensichtlich kein Verdrängungs- sondern ein Knappheitsproblem. Wäre die Ursache eine reine Wanderungsbewegung, müssten ja dort, wo die "Reichen" herkommen viele Wohnungen frei werden. Die Ursache ist schlicht und einfach eine zu hohe Nachfrage (z.B. durch Bevölkerungszuwachs = positiv für Berlin), mit der die Schaffung von Wohnungsangebot nicht mitgehalten hat. Dass dabei von den Nachfragern bestimmte Gegenden bevorzugt werden, ist nichts außergewöhnliches und unterliegt Moden. Vor 20 Jahren war es der Speckgürtel um Berlin herum, später der Prenzlauer Berg und heute eben Friedrichshain und Neukölln.

    Wer das wahre Problem (Angebot

  • PS
    Peter S.

    Welch Flennerei in Berlin, 6,-€ pro m² als hoch zu bezeichnen. Für diesen Preis gibt es in Hamburg nicht einmal mehr Kellerwohnungen.

  • C
    Cartouche

    @Martina Lippmann:

     

    wärst Du wirklich Arbeitslos, wäre so ein Spruch gar nicht drin. Treibe nicht mit Nöten Scherz, denn ein andrer fühlt den Schmerz!

  • DM
    denk mal nach

    sozial Schwache, was ist das denn für ein begriff?

    die menschen sind nicht sozial schwach sondern einkommens schwach, da liegt der kern des problems. keene arbeit, keen jeld, keene teilhabe. ihr machts euch aber auch immer leicht.

  • ML
    Martina Lippmann

    Ich halte das für übertrieben, der Wohnungsmarkt ist nicht gerade das Vietnam der Arbeitslosen.

    Ich bin arbeitslos und ich kann mir eine Wohnung citynah leisten, zahlt doch das Arbeitsamt.