Niederländisch-indonesische Vergangenheit: Entschuldigung nach 64 Jahren
Die Niederlande entschuldigen sich offiziell für ein 1947 von ihren Kolonialtruppen in Indonesien verübtes Massaker. Hinterbliebende hatten erfolgreich geklagt.
BERLIN taz | "Im Namen der niederländischen Regierung entschuldige ich mich für die Tragödie, die sich zugetragen hat." Dies sagte der niederländische Botschafter Tjeerd de Zwaan am vergangenen Freitag auf dem "Heldenfriedhof" des Dorfs Bolongsari im Osten Jakartas. Dort waren vor genau 64 Jahren, damals hieß der Ort noch Rawagede, fast alle männlichen Bewohner von niederländischen Soldaten massakriert worden. Nach niederländischen Angaben starben 150 Jungen und Männer, nach indonesischen bis zu 431.
Indonesien, vormals Niederländisch-Indien, hatte sich nach der Kapitulation der Japaner im Zweiten Weltkrieg am 17. August 1945 für unabhängig erklärt. Das erkannte die vorherige Kolonialmacht jedoch nicht an; sie versuchte bis 1949, die Unabhängigkeit militärisch zu verhindern.
Am Morgen des 9. Dezember 1947 fielen Zeugenaussagen zufolge mehrere hundert niederländische Soldaten auf der Suche nach einem Führer der Unabhängigkeitskämpfer in Rawagede ein. Als sie die gewünschten Auskünfte nicht bekamen, trieben sie die Männer des Dorfs zusammen, stellten sie in Reihen auf und erschossen sie. Flüchtende wurden mit Hunden gejagt und ebenfalls getötet.
Als Botschafter de Zwaan jetzt die zunächst auf Englisch gesprochene Entschuldigung auf Indonesisch wiederholte, brachen indonesischen Zeitungsberichten zufolge einige der hunderte Anwesenden in Tränen aus. Denn mit de Zwaans Entschuldigung endete für neun Witwen und einen Überlebenden ein 2005 begonnener juristischer Kampf. Andere applaudierten.
"Es gibt mir das Gefühl, dass mein Kampf für Gerechtigkeit nicht sinnlos war", sagte die 84-jährige Cawi binit Baisad, die damals ihren Mann verlor.
Entwicklungshilfe sollte Entschuldigung überflüssig machen
Im September gab ein Gericht in Den Haag erstmals den indonesischen KlägerInnen recht und verpflichte die Niederlande zu einer Entschuldigung und einer Entschädigung. Die niederländische Regierung hatte in den letzten Jahren zwar schon ihr Bedauern geäußert und versucht, das Dorf mit Entwicklungshilfe zu unterstützen - immer aber auch mit dem Ziel, eine offizielle Entschuldigung zu umgehen.
Zuvor war schon der Versuch der niederländischen Regierung, den Fall als verjährt werten zu lassen, gescheitert. Laut der Anwältin der KlägerInnen können Hinterbliebene nun mit umgerechnet etwa 20.000 Euro Entschädigung rechnen. Weitere Klagen in ähnlichen Fällen könnten jetzt folgen.
Jahrzehntelang waren weder die Niederlande, die sich in erster Linie als Kriegsopfer Nazideutschlands sehen und die von ihnen selbst in der Kolonialzeit begangenen Gräueltaten verdrängen, an einer Aufarbeitung interessiert noch Indonesien. Dessen Diktator Suharto (1967 bis 1998) normalisierte aus wirtschaftlichem Kalkül das Verhältnis zur Kolonialmacht.
Eine niederländische Entschuldigung hätte auch Suhartos Verbrechen in den Fokus gerückt. Etwa die Zerschlagung der Kommunistischen Partei 1965/66, die bis zu eine Million Todesopfer forderte, was Suharto an die Macht brachte, die Annektion Osttimors mit bis zu 200.000 Todesopfern oder die Repressionen in Aceh und Westpapua. Erst seit Suhartos Sturz gibt es in Indonesien zaghafte Ansätze der Aufarbeitung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!