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Kommentar FDPLiberale sind einsam

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler behauptet, die FDP gehe gestärkt ins neue Jahr. Er hat jeden Bezug zur Realität verloren - anders als Kanzlerin Merkel.

W enn etwas überraschend gut läuft und man trotzdem nicht aus dem Tal der Tränen herausfindet, dann stehen die Chancen schlecht, dass überhaupt ein Ausweg gefunden wird. Umso mehr, wenn der Herumirrende nicht einmal merkt, dass er sich dort befindet.

Diesen Eindruck erweckt der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler. Er scheint der Ansicht zu sein, der Ausgang des Mitgliederentscheids seiner Partei habe alle Probleme beseitigt. Von Geschlossenheit spricht er, und er behauptet, die FDP gehe gestärkt ins neue Jahr. Sollte er das tatsächlich glauben, dann hat er jeden Bezug zur Realität verloren. Wenn er das hingegen nicht glaubt, sondern einfach Phrasen absondert, dann unterschätzt er die Intelligenz der Öffentlichkeit.

Es geht doch nicht nur um Pannen und Ungeschicklichkeiten. Gewiss, der Mitgliederentscheid war schlecht organisiert, und vielleicht war das sogar ein Trick der Parteiführung, mit dem die Aussichten auf das gewünschte Ergebnis verbessert werden sollten. So etwas verärgert jede Basis. Die Tatsache, dass Philipp Rösler darüber hinaus den Mitgliederentscheid vorzeitig für gescheitert erklärte, lässt sich nicht als Anfängerfehler bezeichnen - das wäre allzu wohlwollend. Es war schlicht unbegreiflich. Auch wenn er sein Verhalten jetzt bedauert.

taz

ist politische Korrespondentin der taz.

Dennoch aber ließe sich all das durchstehen, hätte die Krise der FDP nicht viel tiefer liegende Ursachen. Erstmals seit ihrer Gründung 1948 wird ernsthaft infrage gestellt, ob die Partei überhaupt noch gebraucht wird. In diesem Zusammenhang ist jedoch die Forderung töricht, der Parteivorsitzende müsse endlich liefern. Niemand kann etwas liefern, worüber er nicht verfügt. Nichts deutet darauf hin, dass Rösler voll tiefer innerer Überzeugung für einen bestimmten Kurs streitet. Inhaltlich beliebig wirkt er. Und jung, natürlich. Aber Jugend allein ist auf Dauer kein Programm.

Der Liberalismus hat in Deutschland eine große Tradition. Für diese Tradition scheint sich derzeit kaum jemand weniger zu interessieren als die Führung der FDP. Menschenrechte? Freiheit des Individuums? Wie altmodisch. Der Platz im Parteienspektrum ist vakant. Das - und nicht der Mitgliederentscheid - bedroht die Liberalen in ihrer Existenz.

Aufatmen darf immerhin die Kanzlerin. Inhaltlichen Widerspruch des Koalitionspartners muss sie jetzt noch weniger fürchten als zuvor. Angela Merkel kann durchregieren - wenn sie denn will und kann.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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8 Kommentare

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  • J
    JoHnny

    werte bettina gaus,

    wo kein realitätsbezug ist, kann sogar die

    kanzlerin denselben nicht verlieren. oder?

    mfg

  • NF
    Norbert F. Schaaf

    Dr. Philipp Rösler (Noch-Minister für Wirtschaft) könnte nach Neujahr und Dreikönig einen Brennholzverleih eröffnen – Slogan: „Wir liefern solange Vorrat reicht“.

  • A
    Anna

    Naja, inhaltliche Beliebigkeit kann aber auch nicht das Problem sein, damit sind doch schon viele erfolgreich geworden;

    allen voran Merkel.

     

    Inhaltliche Beliebigkeit ist genau das, was deutsche Wähler wollen und was sie zuverlässig belohnen.

     

    Vielleicht ist das Problem der Wähler mit der FDP vielmehr die inhaltliche Konsequenz.

    Sie standen vor der letzten Bundestagswahl für nichts als Steuersenkungen und sie stehen jetzt für nichts als Steuersendkungen.

    Damals war das 13 % der STimmen wert, heute ist es 3% der Stimmen wert.

    Wer sie da nicht alle beeinander hat, ist daher allen voran das Wahlvolk.

     

    Und man komme mir nicht mit Lerneffekt, dass Steuersenkungen Quatsch sind, das hat auch vor drei Jahren schon jeder gewusst.

  • J
    JürgenG

    Die geschätzte Frau Gaus erwähnt hier en passant, dass eine neue -liberale- Partei ein Thema sein könnte. Sie ist!

    Über eine etwaige neue Partei wurde in letzter Zeit in Zusammenhang mit den Knallchargen Olaf Henkel und Guttemberg fabuliert, aber da ginge es allenfalls um das "Abfischen" einiger Wählerstimmen, und zwar -mit Verlaub- nicht gerade der qualifiziertesten.

    Was aber ist mit der liberalen Position à la Hirsch, Baum, Scheel, Hamm-Brücher und vermutlich auch immer noch Leutheusser-Schnarrenberger? Hier ist eine wirkliche Leerstelle entstanden und die schreit nach einer Parteigründung, und zwar nach einer mit echtem Wählerpotential. Die Presse sollte dafür werben!

  • H
    Hasso

    Der "Hans Hermann Thielke" der FDP wird wohl bald verschwinden. Der Mann ist doch eine Zumutung, weil man ihn nicht ernst nehmen kann. Wenn schon ein Mann mit einer gewissen Intelligenz - Lindner-(wenn man davon in der FDP überhaupt sprechen Kann) "das Handtuch wirft" dann ist das allein schon verdächtig. Aber die Merkel-wie bekannt- will davon nichts merken, weil sie ja gern Leute um sich rum hat, die sich ihr anpassen.

  • F
    Falmine

    "Jugend allein ist noch kein Programm." Das sagt doch alles. FDP ade!

    Die Grünen sollten gewarnt sein ...

  • M
    Momo

    Angesichts der lobbyistengetriebenen FDP-Politik kann man es nur begrüßen, daß diese Partei geschwächt ins Jahr 2012 starten wird. Ein "Durchregieren" Merkels wäre jedoch als sehr bedenklich einzustufen. Denn Merkel hat die Ursachen der Finanzkrise im Allgemeinen und der Krise innerhalb der Eurozone im Speziellen noch immer nicht verstanden. Oder, weitaus schlimmer: Sie möchte diese Ursachen gar nicht erst verstehen. Sie praktiziert stattdessen lieber die Methode "Haltet den Dieb".

     

    Seit vorgestern kann man sogar im Handelsblatt nachlesen, was von Merkel und ihren Hintermännern und -frauen hartnäckig geleugnet wird:

     

    "Euro-Krise: Deutschland bringt Europa aus dem Gleichgewicht"

    http://www.handelsblatt.com/politik/international/deutschland-bringt-europa-aus-dem-gleichgewicht/5960474.html?p5960474=all

     

    Im Beitrag des Handelsblatt-Redakteurs heißt es ganz unmissverständlich:

     

    "Nicht Staatsschulden, sondern Ungleichgewichte haben die Krise verursacht".

     

    Siehe hierzu auch den lesenswerten NachDenkSeiten-Beitrag "Allmählich dämmert es … Hoffentlich geht noch vor dem Abgrund ein Licht auf".

    http://www.nachdenkseiten.de/?p=11621#more-11621

  • GI
    gestärkt ins neue Jahr

    Da sieht man mal, wer die deutsche Wirtschaft vertritt. Wer BWLer hasst, sollte Fun-Apps und Fun-Weihnachts-Postkarten (BMW-Quandt und Rösler, Siemens-Löscher und Döpfner usw.) versenden und sie damit nerven.

    Leider haben Piraten und Sozialvereine und alle guten Organisationen keine freien Werbeflächen für gegenseitige Werbung. Da würde man dann solche Bilder vom Daimler-Chef mit Rösler o.ä. in Verbindung bringen bis Daimler aufgibt und sich irgendwas einfallen lässt um nicht ständig mit FDP in Verbindung gebracht zu werden. Wie so oft sind Piraten lieber irgendwas am machen wovon wir dann Bilder zu sehen kriegen werden statt knallhart den Gegner zu ächten.

     

    Putin und alle anderen reden auch größer als was dahinter steckt. Und an Schröders Interview beim Wahlverlust "mit mir werden sie sicher nicht Bundeskanzlerin"(oder so ähnlich) kann sich hier auch noch jeder erinnern.

     

    Ich habe schon langsam die Vermutung, das manche Länder Durchdummen. Das es zuerst die Spitze erreicht anstatt die Handlanger, überrascht mich schon. Was ein Glück das die FDP die Partei der echten Elite-Leister, BMW-Fahrer und Boni-Banker ist.

     

    Leider gilt wie bei von und zu Guttenberg: Zu früh gefreut ist bald bereut.

    Wenn die taz ein anonymes Internet-Melde-System hätte, könnte man zu Informationen über die FDP auffordern damit die sich dann auflösen. Alles was über Politiker negatives berichtet wird, hätte man schon früher haben können. Doch keine Presse hat Interesse... .

    Gewerkschaften und Linke sind leider auch nicht interessiert :-(