Video der Woche: For God's Shake
Jahrhundertelang hat sich das Christentum dem Tanz verweigert. Doch Freikirchen brachten Gezappel in europäische Kirchen. Das hätten sie besser nicht gemacht.
Der Christ brauchte den Tanz bisher nicht, um sich Gott nahe zu fühlen. Der Islam hat seine Derwische, Buddhisten und Hindus ihre Tempeltänze, viele Naturreligionen kennen ausschließlich ekstatische Gebete. Die Christenheit aber verzichtete darauf, in "transzendenten Tendenzen zu dancen" . Und zwar konsequent von Anfang an: in der Bibel beispielsweise wird kaum getanzt, und wenn dann doch jemand die Hüften schwingt, verliert am Ende ein Gerechter seinen Kopf. Sagen wir, wie bei Salomé und Johannes dem Täufer.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lief es nicht besonders gut für die europäische Kirche, das Interesse war über die Jahrhunderte deutlich geschwunden. Auf dem evangelischen Kirchentag in Düsseldorf 1973 fanden sich kümmerliche 15000 verlorene Seelen ein. Also galt es, das Veranstaltungskonzept zu überarbeiten. So erfand man eine neue Partyreihe mit dem etwas sperrigem Namen "Liturgische Nacht", eine Mischung aus Pop-Festival und Abendmahlsgottesdienst.
In die gleiche Zeit fällt der Siegeszug der evangelikalen Freikirchen, die sich von den sehr viel hedonistischeren Spielarten des Hochamtes aus den USA und Südamerika anstecken ließen. Statt des viel zu abstrakten Herrgotts wird da viel lieber Jesus abgefeiert. Da hat man wenigstens ein Konterfei zur Verfügung, das man auf T-Shirts drucken kann - so etwas braucht man in der Popmoderne.
Empfohlener externer Inhalt
Ziel: Kollektiver Selbstmord
Dass die Verpoppung des Glaubens kurz vor ihrem Abschluss steht, daran kann kein Zweifel bestehen. Vor allem nach diesem Video nicht, das seit einer Woche die Netzgemeinde in den kollektiven Selbstmord zu treiben versucht. "Der Jesus Tanz" heißt es, ursprünglich auf bibel.tv produziert, und es hat alles, was einen Hit ausmacht.
Als da wären: ein Text, der nicht mehr als sieben Worte umfasst, und der trotzdem intelligenter wirkt, wenn man ihn rückwärts abspielt. Ein übermotivierter Sänger, der beim Singen häufiger die Augen zusammenkneift als Marc Anthony. Zwei Backgroundtänzerinnen aus dem örtlichen Salsa-Grundkurs mit dem Bewegungstalent eines Schaufelbaggers. Ein Tanz, den ursprünglich Detlef D! Soost choreographierte, als er bei einem Feuerwehrfest nach dem siebten Bier nicht mehr aus einer Hüpfburg herausfand. Und, ganz wichtig: ein gelber Gürtel.
Fertig ist es, das menschenverachtende Machwerk zur Feier Gottes. Der berühmte Theologe Heinz Zahrnt soll einmal gesagt haben, das Reich Gottes lasse sich nicht ertanzen. Nach dem Video ist man gewillt hinzuzufügen: Aber die Hölle hoffentlich schon.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen
Prozess zum Messerangriff in England
Schauriger Triumph für Rechte
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Rückgabe von Kulturgütern
Nofretete will zurück nach Hause
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott
Tarifverhandlungen bei Volkswagen
VW macht weiterhin Gewinn