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Ehemaliger NBA-Profi über Homophobie"Wörter sind nicht das Problem"

John Amaechi musste als Basketballprofi sein Schwulsein verheimlichen. Heute kämpft er gegen Diskriminierung und spricht über die Ignoranz von Institutionen und Fans.

John Amaechi wurde im Oktober 2011 von Prinz Charles die "Officer of the British Empire Medal" verliehen. Bild: reuters
Jens Uthoff
Interview von Jens Uthoff

taz: Herr Amaechi, was mussten Sie sich alles anhören, seit Sie Ihr Schwulsein öffentlich gemacht haben?

John Amaechi: Ich zähle diese schlimmen Aussagen nicht. Aber ich spüre immer noch, was gesagt wurde - und mehr als nur einmal gesagt wurde. Viele Reaktionen kamen per E-Mail, weil die meisten einem ihre Meinung nicht direkt ins Gesicht sagten.

Wo spüren Sie Homophobie und Diskriminierung noch?

Was ausgesprochen wird, ist nur das Symptom des Dilemmas. Die Diskriminierung ist nicht zu Ende, wenn die Leute aufhören, homophobe Aussagen zu treffen. Wörter sind nicht das Problem.

Auch rassistische Einstellungen manifestieren sich immer wieder: Wenn etwa Schwarze immer noch schlechter bezahlt werden. Oder wenn sie vor Gericht nicht gleich behandelt werden. Darin zeigt sich der allgegenwärtige Rassismus. Wenn man die Ignoranz der Institutionen betrachtet, kommt man dem Problem schon näher.

Konnten Sie diesbezüglich schon eine Veränderung ausmachen in den großen amerikanischen Sportligen?

Ich kann nur für die National Basketball Association (NBA) sprechen, da sind aber schon Fortschritte zu erkennen. Die NBA hat homosexuelle Sportler in die Non-discrimination language aufgenommen. Vorher waren homophobe Beschimpfungen legal. In anderen Sportarten ist der Weg zu Gleichbehandlung noch sehr weit: Fußball und American Football gehören dazu.

Sie haben die jüngsten rassistischen Ausfälle in der englischen Premier League - Luis Suárez, John Terry - aus nächster Nähe betrachtet. Da sah es ja so aus, als ob …

… wir 1958 haben. An der britischen Liga sieht man, wie wenig Fortschritt es zum Teil immer noch im Fußball gibt. In England dachte man noch vor zwei Jahren, es gäbe nicht das geringste Problem mit Rassismus. Man war zuletzt nicht mehr wachsam.

Sind die Mechanismen der Diskriminierung in den westlichen Ländern vergleichbar?

Das Verhältnis von Spielern und Fans ist sehr ähnlich. Das hat viel mit Fanatismus zu tun. Das Level des Fanatismus ist in den meisten Ländern gar nicht so hoch. Aber wo mächtige Leute fanatisch und reaktionär sind wie im Fußball, wo an den wichtigen Positionen in der Fifa oder auch in den nationalen Ligen jahrelang dieselben - männlichen - Leute sitzen, wird es gefährlich. Man braucht sich nur die Funktionäre in der britischen Football Association anzuschauen: Nicht ein Schwarzer dabei, nicht eine Frau.

Wie unterscheidet sich da der Profi- vom Amateurbereich?

John Amaechi

Der 41-jährige Brite war bis 2003 Basketballprofi in der NBA. Kurz vor Erscheinen seiner Autobiografie "Man in the middle" outete sich John Amaechi als homosexuell. Nach seiner Sportkarriere zog er nach Manchester und studierte Psychologie. In diesen Tagen ist er Gast des DFB-Sportforums in Honnef, wo unter dem Titel "Vor dem Ball sind alle gleich - sexuelle Identitäten im Fußball" vor allem über den Amateursport diskutiert wird.

Im Profibereich nimmt die Diskriminierung direkt Einfluss auf das Spiel selbst, vielleicht auch darauf, welche Spieler man verpflichtet und welche nicht. Im Amateurbereich hält es erst mal Personengruppen vom Sport fern - das betrifft nicht nur Homosexuelle, das betrifft Frauen, die "harte" Sportarten ausüben wollen.

Das betrifft etwa bei den Heterojungs auch Spätentwickler in den Teeniejahren. Es hält Leute vom Sport ab, weil die Umgebung da so feindselig ist. Man muss dafür sorgen, dass alle jungen Leute sich willkommen fühlen in den Vereinen, Klubs und Schulen.

Folgt der Sport immer noch einer männlichen Grammatik, trägt er archaische Züge?

Sport ist erst einmal eine antiintellektuelle Betätigung: emotional, analphabetisch. Aber an den Einzelnen gerichtet muss das natürlich auch ein Appell sein, nicht zu früh aufzugeben. Denken Sie an Dirk Nowitzki: Als der anfing zu spielen, war er dünn, schmächtig - er passte einfach nicht zum Bild des athletischen Basketballers. Zum Glück hat er gekämpft.

Ist der Sport gegenüber anderen Gesellschaftsbereichen zurück?

In den meisten westlichen Ländern hat sich ein liberales Denken durchgesetzt: männlich oder weiblich, hetero oder homo, schwarz oder weiß - solange du gesellschaftlich etwas beisteuerst, etwas leistest, ist es den Leuten egal. Der Sport bleibt in der Tat zurück, da setzt sich das Traditionelle, das Hierarchische durch. Damit meine ich nicht, dass die gesellschaftlichen Probleme verschwunden wären, aber im Sport konzentrieren sie sich.

Lag in Ihrer aktiven Karriere immer ein Schatten auf Ihren Erfolgen?

Ich hatte ja zum Glück meine Familie, meine Freunde, sogar einige Mitspieler. Der enge Freundeskreis wusste alles von mir, nur die Öffentlichkeit nicht. Aber ich fühlte mich einsam im Profisport - dort habe ich meine Arbeit gemacht, aber persönliche Dinge fanden dort keinen Platz.

Warum gelingt es nicht, dass aktive homosexuelle Spieler und Spielerinnen in den Profiligen ein Netzwerk gegen Homophobie bilden - und so Stereotypen in Fankreisen entgegentreten?

Die Frage muss eher lauten, warum die Ligen es nicht geschafft haben, eine solche Atmosphäre herzustellen, die das ermöglicht. Die Verantwortlichen auf den entscheidenden Positionen sagen, das müsse von den Fans ausgehen. Solange man dort die Verantwortung wegschiebt, schützt man Sexismus, Rassismus und Homophobie, solange ändert sich nichts.

Wie wird es diesbezüglich in zwanzig Jahren aussehen?

Nicht die Zeit wird das zeigen, sondern die Personen. Wenn es verantwortungsvolle Führungspersönlichkeiten im Sport gibt, die den Wandel wollen, kann das ziemlich schnell gehen. Sogar so schnell, dass unsere Unterhaltung in zehn Jahren überhaupt nicht mehr interessant wäre. Aber - so traurig das ist - wenn dem nicht der Fall ist, diskutieren wir die gleichen Fragen in zwanzig Jahren noch mal.

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1 Kommentar

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  • A
    anke

    Kann mir bitte endlich mal irgend jemand erklären, was genau das sein soll, eine "verantwortungsvolle Führungspersönlichkeit?

     

    Woran erkenne ich so jemanden? Sieht ein solcher Mensch eher wie Silvester Stallone aus oder eher wie Mary Poppins? Ist er gar eine Mischung aus beidem? Und wie genau wird er dafür sorgen, dass ganz schnell alles ganz gut wird im Sport, in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kultur, im Bildungswesen, in der Verwaltung und auch sonst überall? Wird er die Schwachen (ver-)trösten, wie Mutter Theresa es getan hat? Wird er die bösen Buben ganz allein verhauen, wie ein großer Bruder mit Migrationshintergrund? Oder wird er, Herr-der-Ringe-like, ein Heer Opfermütiger um sich scharen, die um der Sache willen sich selbst nicht schonen und notfalls für ihren Führer sterben? Wird er die Bösen austricksen? Bestechen? Ihnen was vorsingen? Und was wird er tun, wenn die bösen Jungs sich von ihrer Verwirrung erholen und zurück schlagen? Mit Fäusten und Raketen, mit Lug und Trug, mit Geld und Gold? Wenn sie sich nichts vorsingen lassen wollen? Wenn sie ein Rollback starten? Und was, wenn sie genau das nicht tun? Werden verantwortungsvolle Führungspersönlichkeiten dann in zwanzig, dreißig Jahren noch davon erzählen, dass es mal eine Zeit gab, in der alles ganz anders war? Wie werden sie sich verhalten, wenn man ihnen sagt: Halts Maul, Rentner? Werden sie dann mit 65 oder 75 noch einmal in den Ring steigen? So, wie 007 es tut - mit einem Gesicht, das um kein einziges Jahr gealtert sondern lediglich ersetzt worden ist? Und welchen Erfolg werden sie dann haben bei den Nachgewachsenen, die Recken von einst, die zu ihrer Zeit alles über alles wussten?

     

    Ich fürchte, man könnte eine "verantwortungsvolle Führungspersönlichkeit" neben mir aufs Sofa setzen, und ich würde es nicht merken. Vermutlich habe ich einfach viel zu wenig Fantasie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Führung die Lösung ist. Ich glaube noch immer ans Sich-selber-führen. Und das, fürchte ich, lernt man nicht, indem man sich auf Helden verlässt. Das lernt man, indem man Fehler macht, sie als solche erkennt und selbst korrigiert. Oder mit den Folgen lebt. Allenfalls noch, indem man anderen beim Fehlermachen zuschaut - und die Sache anschließend besser macht. Und zwar nicht nur im Stadion sondern auch sonst überall. Rund um die Uhr und lebenslänglich. Wer als Sportler mehr sein will als ein Idol, der sollte das eigentlich wissen.

     

    Worte sind nicht das Problem? Das mag sein. Manche Worte machen es einem aber auch nicht eben leicht. "Verantwortungsvolle" und "Führungspersönlichkeit" sind zwei von diesen Worten.