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Abschiebung"Es fehlte am guten Willen"

Die Dokumentation "Wadim" porträtiert einen jungen Mann, der in Hamburg aufwuchs, abgeschoben wurde - und sich vor den Zug warf. Ein Gespräch mit Wadims Betreuer anlässlich der Premiere.

Nach seiner Abschiebung nach Riga irrte er durch Europa: Wadim vor dem Louvre in Paris. Bild: PIER 53 Filmproduktion
Interview von Knut Henkel

taz: Herr Mazurkiewicz, in dem Dokumentarfilm "Wadim" über den Tod eines jungen Mannes, der in Deutschland aufwuchs, aber nach Lettland abgeschoben wurde, sind auch Sie zu sehen. Warum?

Mieczyslaw Mazurkiewicz: Ich kann den Tod von Wadim K. nicht akzeptieren. Der Mensch ist das Wertvollste, was wir haben, in Deutschland, in Lettland, überall. Das Beispiel von Wadim K. zeigt, wie man damit nicht umgeht, und deshalb habe ich dem Interview zugestimmt.

Besonders auffällig in dem Film ist, dass sich die Sozialarbeiter, Lehrer, Arbeitgeber alle an Wadim erinnern.

Wadim hatte eine sehr positive Ausstrahlung. Er hatte Lebenskraft, strotzte vor Energie, war jung und probierte sich aus. Er befand sich in diesem Zeitraum, den man nie vergisst und er erinnerte mich an meine eigenen Kinder. Nur hat man ihm diese schönsten Jahre, diese Jahre der Unbekümmertheit einfach weggenommen. Man hat sie ihm geklaut. Wenn ich das Schicksal von Wadim mit dem meiner Kinder vergleiche, dann sehe ich eine gewaltige Diskrepanz. Wadim hatte aufgrund seines Aufenthaltsstatus nicht die gleiche Chance, man hat ihn zu einem Menschen zweiter Klasse gemacht.

2005 hat die Hamburger Ausländerbehörde Wadim als einzigen seiner Familie nach Lettland abgeschoben - seine kranken Eltern und sein minderjähriger Bruder blieben. Ist das der Grund, dass er sich fünf Jahre später in Hamburg vor die S-Bahn geworfen hat?

Man kann sehr leicht menschliches Leben vernichten. Wadim war ein wertvoller Mensch, der leben, der arbeiten und seine kranken Eltern unterstützen wollte. Das hat man ihm verweigert. Wann immer er illegal in Hamburg war, hat er gesehen, was seine Eltern haben, was sein Bruder hat und was er hatte - nicht mehr als einen kleinen Rucksack. Sein Bruder durfte letztlich studieren, während er ohne Perspektive als Hilfsarbeiter in Riga arbeiten musste.

Warum wurde Wadim überhaupt abgeschoben? Der Bescheid war zehn Jahre alt!

Es fehlte am guten Willen. Die Hamburger Behörden waren nicht verpflichtet, den Bescheid des Bundesamtes von 1995 auszuführen. Sie haben es aber getan, obwohl die Familie sich da längst eingelebt und eine neue Heimat gefunden hatte. Es ist doch bezeichnend, dass die Eltern 2007 letztlich eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erhalten haben.

Mieczyslaw Mazurkiewicz

59, Rechtsanwalt, ist als Sohn eines polnischen Vaters und einer deutschen Mutter in Danzig aufgewachsen und gehört zur ersten Generation der Solidarnosc. Der Menschenrechtler lebt seit 24 Jahren in Deutschland, seit zwölf Jahren ist er gesetzlicher Betreuer von Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei übernimmt er als Jurist auch deren rechtliche Vertretung. Die Familie von Wadim hat er elf Jahre lang betreut.

Warum nicht früher?

Diese Frage können nur die zuständigen Behörden beantworten.

Sie haben die Familie im Film als eine Familie von Opfern bezeichnet. Opfer von wem?

Von inhumanen Entscheidungsträgern. Die haben, obwohl es juristische Anträge gab, den Fall neu zu prüfen, entschieden, die Abschiebung zu vollstrecken. Zu einem Zeitpunkt, als Wadim noch vier Monate zur Beendigung seiner Lehre fehlten.

Wadim war sechs Jahre alt, als die Familie nach Hamburg kam. Warum hat man einem 18-jährigen nicht wenigstens die Chance gegeben, die Lehre zu beenden?

Das war eine dumme, unmenschliche Entscheidung, die zur Folge hatte, dass er beruflich in Lettland keine Chance hatte. Mit einer abgeschlossenen Lehre wäre das eventuell anders gewesen. Der Abschluss hätte vielleicht anerkannt werden können. Theoretisch gab es aber auch eine zweite Option - die der Rückkehr nach Hamburg. Wadim hätte hier seine Ausbildung beenden können, denn die Schule hätte ihn erneut aufgenommen. Doch die Verantwortlichen in der Behörde waren nicht bereit, die Abschiebeentscheidung rückgängig zu machen und das Einreiseverbot aufzuheben. Das wäre durchaus möglich gewesen.

Wadim hatte also weder hier noch in Lettland eine Chance - dank der Hamburger Behörden?

Hier sollte er obendrein noch die Abschiebekosten von 4.200 Euro zurückerstatten. In Lettland hatte er als Mensch mit russischen Wurzeln, aber ohne irgendwelche Papiere, keine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Man darf Russen einfach nicht zu Letten schicken, denn dort gelten sie aufgrund der Geschichte als Besatzer. Wadim landete zwischen allen Stühlen. Er war de facto staatenlos, de jure hat man ihm und seiner Familie allerdings diesen Status nicht zugebilligt.

Dank dem Abkommen vom 1998.

Ja, in diesem unmoralischen Abkommen steckt das ganze Übel. Warum hat sich ein kleines Land wie Lettland 1998 bereit erklärt, alle ehemaligen Bürger der Sowjetunion aus Deutschland aufzunehmen? Aus Liebe zu diesen Menschen? Lettland hat sich in diesem Abkommen zu nichts verpflichtet, nur zur Übernahme. Das heißt, das Ziel war, dass diese Menschen weiterfahren - nach Armenien, nach Aserbaidschan, in die Ukraine oder sonst wohin. In Lettland hatten die Menschen nichts zu erwarten, und dafür ist Wadim auch ein Beispiel.

Heute können einige Jugendliche, die mit einer Duldung in Hamburg leben, ihre Ausbildung machen - dafür hat die Handelskammer angesichts sinkender Azubi- Zahlen gesorgt.

Hätte man Wadim eine solche Chance gegeben, hätte er sicherlich einen Job, vielleicht ein Kind. Vielleicht würde er wie sein jüngerer Bruder studieren. Er würde dieser Gesellschaft etwas zurückgeben. Diese Familie wollte sich hier integrieren, sie wollten arbeiten, und ich werde den Selbstmord von Wadim nie akzeptieren - er war sinnlos.

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12 Kommentare

 / 
  • V
    Val

    Ich finde die Dokumentation über Wadim ist eine sehr erschütternde Geschichte über eine Familie die mit Hoffnungen hier her gekommen ist und gnadenlos gescheitert ist. Man hat es eindeutig gesehen, wie sehr vor allem die Mutter sich bemüht hatte, die ganze Familie hierher zu integrieren. Man beachte -Vor allem Ihr guteds Deutsch, obwohl sie nicht einmal arbeiten gehen konnte, und sich hier dadurch wirklich am gesellschaftlichen Leben teilnehmen konnte. ICh kenne Fälle von Deutschen Staatsbügern mit Migrationshintergrund, die schon seit über 20 Jahren hier leben, und ihr Deutsch reicht nicht einmal aus um zum Arzt zu gehen. Ist doch klar dass man psychisch krank wird, wenn man tag aus, tag ein nur dazu verdammt ist, daheim sinnlos rumzuhocken!man hat Ihnen ja nicht einmal die chance gegeben etwas an der Misere zu ändern! Was mich auch total erschüttert hat, waren die dinge, die die Beamten zu Wadim gesagt haben, während der Abschiebung! Sie werden ihm die Nase blutig schlagen, und ihn wie ein Paket zu schnüren und nach Lettland verschicken! Zu einem KInd, das gerade ansehen musste, wie sich seine Mutter die Pulsadern aufgeschnitten hat! Einfach unmenschlich, erschreckend und schockierend!!! sowas muss doch nicht sein! meine Beileid an die Familie und den Bruder!!! Man hat euch gar keine wirkliche Chance gegeben!

  • H
    Heike

    Ich bin fassungslos und wünsche mir, dass Wadim, wo auch immer er jetzt ist, eine Heimat findet, irgendwo.

     

    Im Nachspann war ein Kommentar von Wadims Bruder zu lesen, der sinngemäß sagte...dieser Film wird kurz Mitleid auslösen und dann wird jeder wieder an sich denken. Ich hoffe, er behält damit nicht recht.

     

    H.

  • M
    Marion

    Ich bin erschüttert, sprachlos, schlaflos, weil es nicht mehr raparabel ist. Die Familie ist kaputt, die Trauer Teil das Alltags. Mein Gott! Zusehen zu müssen, wie liebevolle aufrechte Menschen langsam seelisch zerfressen, gedemütigt werden, welches Potenzial da zertreten wird. Fallen gelassen in der so 'gefeierten' Zivilisation, einfach nicht existent. Ich schäme mich so dafür und es zerreist mir das Herz. Unsere 'Werte' sind nichts wert. Meine Gedanken/Tränen sind bei seinen Eltern, seiner Mutter, seinem Bruder. Mein Herz weint mit Viktoria und Sergej

  • U
    Ursula

    Wir brauchen endlich eine gescheite Einwanderungspolitik und ein vernünftiges Asylrecht. Es kann doch nicht sein , dass man Asylbewerber jahrelang, manchmal sogar jahrzehntelang mit einer Entscheidung hinhält, viele davon integrieren und sozialisieren sich hier in der Zwischenzeit trotz der widrigen Umstände und dann schiebt man diese Menschen hinterhältig, nachts um zwei Uhr(damit es ja nicht allzu viele mitbekommen), ab in ein Land , das sie nicht mal kennen und dessen Sprache sie nicht sprechen. Das ist nicht nur psychische Folter, sondern auch volkswirtschaftlicher Unsinn, was der deutsche Staat hier betreibt.

    Ehrlich gesagt erschließt es sich mir auch nicht, wie ein Staatenloser wie Wadim überhaupt abgeschoben werden konnte, Abkommen zwischen D und Lettland hin oder her. Was für eine menschliche Tragödie! Wadim hat auf jedem der gezeigten Bilder im Film gelächelt, trotz seiner Situation, bemerkenswert . Ich bin wirklich bestürzt über das Handeln der Ausländerbehörde. Ist das rechtsstaatlich? Mein Aufrichtiges Beileid für die Familie von Wadim. Ich hoffe , dass sein Bruder ein besseres Schicksal hat.

  • L
    leser

    Zum Film bzw. Schicksal des jungen Mannes: Ja, die Schreibtischtäter, die stets korrekten Beamten. Ich muß spontan an das Aushängeschild dieses Systems mit namen Sarrazin denken. Widerwärtig und menschenverachtend. Dessen sollte man sich dringend erinnern, wenn der Beamtenbund beim nächsten Mal die kehrseitige Puderdicke erhöhen will.

  • B
    Besserwessi

    "man hat ihn zu einem Menschen zweiter Klasse gemacht. "

     

    Ich wuerde sogar noch weiter gehen, und behaupten,

    man hat ihn zu einem Menschen dritter Klasse gemacht.

     

    Zweiter KLasse, so muessen sich die "Migranten aka "Suedlaender" fuehlen.

  • P
    Pandabär

    In der Einleitung steht "anlässlich der Premiere". Mir ist nicht ganz klar, welche und so, nachdem der Film schon vor Wochen im Nachtprogramm des WDR lief. (Ich würde ihn gerne noch einmal sehen, daher die Frage.)

  • A
    anke

    Jeder Selbstmord ist sinnlos - aus Sicht derjenigen, die zurück bleiben.

  • L
    leser

    Zum Film bzw. Schicksal des jungen Mannes: Ja, die Schreibtischtäter, die stets korrekten Beamten. Ich muß spontan an das Aushängeschild dieses Systems mit namen Sarrazin denken. Widerwärtig und menschenverachtend. Dessen sollte man sich dringend erinnern, wenn der Beamtenbund beim nächsten Mal die kehrseitige Puderdicke erhöhen will.

  • B
    Besserwessi

    "man hat ihn zu einem Menschen zweiter Klasse gemacht. "

     

    Ich wuerde sogar noch weiter gehen, und behaupten,

    man hat ihn zu einem Menschen dritter Klasse gemacht.

     

    Zweiter KLasse, so muessen sich die "Migranten aka "Suedlaender" fuehlen.

  • P
    Pandabär

    In der Einleitung steht "anlässlich der Premiere". Mir ist nicht ganz klar, welche und so, nachdem der Film schon vor Wochen im Nachtprogramm des WDR lief. (Ich würde ihn gerne noch einmal sehen, daher die Frage.)

  • A
    anke

    Jeder Selbstmord ist sinnlos - aus Sicht derjenigen, die zurück bleiben.