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Der Umgang mit dem Nazi-Terror"Die Angst vor Anschlägen bleibt"

Das Ausmaß der rassistischen Mordserie sei vielen noch nicht bewusst, findet Barbara John. Sie kümmert sich als Ombudsfrau um Opfer-Angehörige.

Auf dem rechten Auge blind? Jahrelang konnten die Behörden keinen rechtsextremistischen Hintergrund der Mordserie erkennen. Bild: dapd
Interview von S. am Orde und W. Schmidt

taz: Frau John, Sie sind Ombudsfrau für die Angehörigen der Opfer der Zwickauer Neonazi-Terrorzelle: Hätten Sie es noch vor wenigen Monaten für möglich gehalten, dass es eines solchen Postens bedarf?

Barbara John: Nein, natürlich nicht. Und das Schlimme ist ja, dass in all den Jahren niemand dem Verdacht nachging, dass es sich bei dieser Mordserie um rechtsextreme Verbrechen handeln könnte.

Die Polizei sagt: Wir haben in alle Richtungen ermittelt.

Wenn es denn so gewesen wäre! Die Polizei hat fast ausschließlich in eine Richtung ermittelt: "Ausländerkriminalität". Das war ihre wichtigste Option. Das erste Mordopfer, Enver Simsek, wurde deshalb verdächtigt, neben Blumen vom Großhandel in Amsterdam wahrscheinlich auch noch Drogen zu importieren. Bei den anderen Opfern gab es ähnliche Verdächtigungen. Die Sicherheitsbehörden sind in die Familien hineingegangen und haben Fragen über Fragen gestellt, um vermeintliche Beziehungen zwischen Tätern und Opfern herauszukitzeln. Aber: immer dieselbe Waffe, immer Einwanderer, keine harte Spur in die Mafia- oder Drogenszene. Da hätten doch alle Glocken läuten müssen!

Wie erklären Sie sich, dass genau das nicht passiert ist?

Polizisten werden auf die Arbeit in einer Einwanderungsgesellschaft immer noch nicht vorbereitet. Sie erleben Migranten vor allem als Tatverdächtige. In ihrem privaten Umfeld und auch bei der Polizei sind Einwanderer noch immer die Ausnahme.

dpa
Im Interview: 

BARBARA JOHN, 74, ist seit Dezember im Auftrag der Bundesregierung Ombudsfrau für die Opfer der Zwickauer Terrorzelle und ihre Angehörigen. Mitarbeiter hat die CDU-Politikerin in dieser Funktion nicht. Sie macht die Arbeit von ihrem Büro beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin aus, dessen Vorsitzende sie ist. Von 1981 bis 2003 war John Ausländerbeauftragte des Berliner Senats.

Sie haben inzwischen mit fast 70 Angehörigen der Opfer Kontakt aufgenommen. Was sagen die über die jahrelangen Falschverdächtigungen?

Für sie war das eine furchtbar belastende Situation. Dadurch sind meistens die kleinen sozialen Netze, die für Einwanderer besonders wichtig sind, zerstört worden. Nachbarn und Bekannte haben gesagt: So wie die Polizei die in die Mangel nimmt, wird da schon was dran sein. Auch innerhalb der Familien kam es manchmal zu Streit, zu Trennungen.

Was genau können Sie für die Familien jetzt tun?

Als Erstes habe ich den Angehörigen, deren Väter, Brüder oder Männer ermordet wurden, einen Brief geschrieben, genauso den Opfern, die die Anschläge der rechtsextremen Terroristen in Köln überlebt haben. Damit sie überhaupt wissen, dass es mich gibt und sie mich jederzeit erreichen können. Dann habe ich ihnen einen Fragebogen geschickt, um herauszufinden, was sie jetzt und heute konkret brauchen.

Was waren die Antworten?

Manche benötigen eine psychologische Betreuung, andere machen sich Sorgen, wie sie ihre Anwaltskosten bezahlen können. Schulden haben sich angehäuft. Die Ausbildung von Kindern ist aus Geldmangel gefährdet. Es gibt Probleme bei der Einbürgerung. Ich bekomme aber auch sehr persönliche Briefe, in denen Angst und Verzweiflung geäußert werden.

Obwohl die Täter gefunden wurden, bleibt die Angst?

Ja, sie haben weiter Angst, auch um ihre Kinder. Ich frage mich, wie sich die Angehörigen ein Stück weit aus ihrer Opferrolle befreien und wieder aktiv werden könnten im Geschehen. Und ich glaube, dass die Einbeziehung in die Aufklärung ihnen dabei helfen würde.

Wie meinen Sie das?

Viele Angehörige erklären, dass sie von den Behörden über den Stand der Ermittlungen nicht informiert werden. Sie möchten das aber unbedingt. Hier muss eine machbare Form gefunden werden. Außerdem gehört es zur Aufklärung, darzustellen, wie weit sich die Ermittler damals bei den Familien verrannt haben.

Seit bekannt wurde, dass die Morde von einer rechten Terrortruppe verübt wurden, gab es keine Lichterketten, keine Großdemos. Warum nicht?

In das Bewusstsein vieler Menschen sind Tragweite und Ausmaß der rassistischen Verbrechen noch nicht eingesickert. Sie liegen Jahre zurück, nicht mal die Sicherheitsapparate konnten aufklären, es scheint ja dann nicht so bedeutsam gewesen zu sein. Fatal. Die Reaktion wäre mit Sicherheit anders gewesen, wenn es sich bei der Mordserie um zehn deutsche Politiker oder Unternehmer gehandelt hätte.

Aus einem Fonds bekommen die Opferangehörigen nun 5.000 bis 10.000 Euro Entschädigung. Genügt das?

Ein Menschenleben ist nicht zu ersetzen. Aber wenn jeder Passagier des verunglückten Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" nun 11.000 Euro als Entschädigung bekommen soll, zeigt das eine krasse Unverhältnismäßigkeit. Schon vor Jahren mussten die Familien hohe Kosten bestreiten, für die Beerdigung, die Überführung, den Lebensunterhalt, weil der Ernährer plötzlich wegfiel. Heute für Anwälte, die für sie tätig sind. Viele stürzten materiell ins Elend, weil der Ernährer der Familie ermordet wurde. Mit Geld Schäden zu mindern, ist nun wirklich das Mindeste, was zu tun ist. Übrigens sind die Angehörigen in diesem Punkt sehr zurückhaltend.

Im Bundestag gibt es nun einen Untersuchungsausschuss, am Mittwoch soll außerdem noch eine Bund-Länder-Kommission eingesetzt werden. Was erwarten Sie von diesen Gremien?

Ich würde eine andere Form der Aufklärung bevorzugen, die auch die gesellschaftlichen Hintergründe beleuchtet.

Wie würde das aussehen?

In England wurde 1993 ein junger dunkelhäutiger Mann erstochen, Stephen Lawrence. Fünf Jahre später wurde die Macpherson-Kommission ins Leben gerufen, die vollkommen unabhängig von parteipolitischen Färbungen einen Bericht erarbeitete. Darin wurde festgestellt, dass Scotland Yard bei den Ermittlungen auf dem rechten Auge blind war. Und es wurden Empfehlungen abgegeben, wie institutioneller Rassismus nicht nur in den Sicherheitsbehörden bekämpft werden kann, sondern in der Gesellschaft insgesamt. Auch für Deutschland wäre ein solches unabhängiges Gremium besser, das nicht nur Pannen im Getriebe untersucht, sondern den Blick schärft, wie weit wir noch zurückliegen bei den Mindesstandards für eine moderne Einwanderungsgesellschaft.

In zwei Wochen wird es eine zentrale Trauerfeier in Berlin geben. Was kann ein solches Gedenken noch leisten?

Für die Angehörigen ist wichtig, dass ihr guter Ruf, ihre persönliche Ehre und die der Opfer öffentlich betont und wiederhergestellt werden. Für uns als Gesellschaft ist bedeutsam, dass wir das widerfahrene Unrecht, den Verlust an Menschenleben, das Leid der Familien mitempfinden.

Braucht es auch einen Ort der Erinnerung?

An allen zehn Tatorten sollte es Gedenkorte geben, das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die Bayern kennen meinen Vorschlag schon. Vorbei und vergessen: das wäre die Fortsetzung von Gleichgültigkeit.

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8 Kommentare

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  • A
    AntiFunt

    @blind

     

    Stimmt, immerhin ein Siebzehntel der Opfer der Anschläge von Madrid.

     

    Da muss sich doch noch mehr politisches Kapital draus schlagen lassen.

     

    @Zensor

     

    Danke fürs durchlassen.

  • S
    Stormchaser

    @ drui:

     

    Im Zusammenhang sollte man mit Begriffen wie "lächerlich" sehr, sehr vorsichtig umgehen.

     

    Der deutsche Staat hat sich entschieden, Opfern von Straftaten weitgehend schutz- und anspruchslos zu halten.

    - Zitat Opferschutzgesetz: "Ein Schmerzensgeld wid nicht gezahlt. Sach- und Vermögensschäden werden ebenfalls grundsätzlich nicht ersetzt."

    - Jeder Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegenüber dem Täter muss auf dem (langwierigen) zivilen Rechtsweg eingeklagt werden, Prozesskostenhilfe wird nur in Ausnahmefällen gewährt.

    - Das Adhäsionsverfahren (Strafprozess gegen den Täter bei gleichzeitiger Verhandlung über Schadensersatz bzw. Schmerzensgeld für das Opfer), welches dem Opfer Mühe, Zeit und Geld spart und eine Zahlung sicherstellt (da es z.B. als Bewährungsauflage festgeschrieben werden kann), findet in nicht eimal 4% aller Strafverfahren Anwendung.

     

    Die maximale Geldleistung, die das Opferschutzgesetz beim Tod eines nahen Angehörigen gewährt, liegt bei 5996 Euro (nachzulesen im Opferschutzgesetz, § 3a Abs. 3). Wenn Sie 10000 Euro schon als lächerlich empfinden, wie müssen sich dann erst die Angehörigen von Opfern "normaler" Tötungsdelikte fühlen...

  • B
    blind

    "Das Ausmaß der rassistischen Mordserie sei vielen noch nicht bewusst, findet Barbara John."

     

    natürlich ist das vielen nicht bewusst.könnte auch an der deutschen presse liegen, die das thema mal zwei wochen pflichtschuldig behandelt uns sich dann lieber wieder einem wulff etc. zuwendet.wo bleibt der aufschrei?wo sind die unbequemen journalisten die der sache auf den grund gehen?(vielleicht noch ein paar bei der taz.aber sonst...?)

    einfach nur stumpf,dieses land....

  • K
    Karl

    Lächerlich,

     

    über die Klärung der Motivlage der mutmaßlichen Täter hat immer noch ein Gericht zu entscheiden.

     

    Nicht die fragwürdige Einschätzung von Frau John!

     

    Passenderweise wird in dem inhaltslosen Geschwätz auch gleich jede Möglichkeit der aktiven Beteiligung von Teilen des Staatsapparates an den Rand der Aufmrksamkeit gedrückt.

     

    Weil "man hat vielleicht ja nichts bemerkt"...aber aktive Gestaltung durch Förderung und sonstige Unterstützung von Rechtsextremisten, das kann es ja garnicht geben?

     

    Denn diese bewährte Rezept gabs ja immer nur gegenüber "Linken", oder?

     

    Bei der Zeit hätte ich eine so kritiklose Befrgung ja noch verstanden.......

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • D
    drui

    Man könnte ja einen Opfer-Sonderfonds einrichten, um diese lächerlichen Entschädigungen aufzustocken. Diverse NPD-Funktionäre, die sich hönisch äußern, rechte Demonstranten, die Paulchen Panther-Musik spielen und andere straffälli gewordene rechte Hohlköpfe sollten da reichlich einzahlen. Und den Versagern vom Verfassungsschutz könnte auch ein Teil des Gehaltes umgeleitet werden, sozusagen als Mißerfolgs-Malus.

  • T
    tommy

    "Fünf Jahre später wurde die Macpherson-Kommission ins Leben gerufen, die vollkommen unabhängig von parteipolitischen Färbungen einen Bericht erarbeitete"

     

    Schön, dass man erfährt, wohin die Reise gehen und in welcher Form die NSU-Morde politisch genutzt werden sollen. Schön auch zu sehen, wie weit linksgrünes Gedankengut in Bezug auf Einwanderung bereits in die Union eingesickert ist, wenn CDU-Vertreter ganz unbefangen Kampfbegriffe der multikulturellen Linken wie "institutioneller Rassismus" verwenden oder von angeblicher Entfernung von "Mindeststandards für ein modernes Einwanderungsland" faseln.

    Eigentlich wäre es an der Zeit, dass CDU und Grüne fusionieren; die politische Führung rekrutiert sich ja in beiden Fällen aus verzogenenen Bürgerkindern und in vielen Themen (nicht nur Einwanderung, auch Staatsgläubigkeit, Außenpolitik etc.) besteht ja ohnehin eine immer weiter zunehmende Konvergenz. Die CDU soll endlich sterben und den Platz freimachen für eine demokratische, aber rechtskonservative Partei, die den Interessen ihrer Wähler Gehör verschafft und sich nicht primär am Zeitgeist und dominantem Mediendiskurs orientiert.

  • P
    PeterPan

    Angst ist eine Krankheit!

  • B
    broxx

    Lichterketten? Wozu? Gab´s auch schon mal Lichterketten für die deutschen Opfer moslemischer Gewalt? Oder sind mehr als hundert tote Deutsche im Jahr nicht so schlimm? Müssen wir diese Art der Bereicherung aushalten wie Frau Böhmer mal sagte?