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Acta in DeutschlandEntscheidend ist das Kleingedruckte

Acta wird in Deutschland vorerst nicht unterzeichnet, doch der Protest reißt nicht ab. Neue Formulierungen könnten die Einschränkung von Grundrechten verschleiern.

So könnte Acta aussehen: Protest in München. Bild: dapd

BERLIN taz | Acta ist nicht mehr das Monster, das es einmal war. Einst sollte das geheim ausgehandelte, umstrittene Handelsabkommen die Freiheit im Netz deutlich einschränken. So hätten die Netzanbieter für ihre Nutzer haftbar gemacht und Nutzer nach einem Fehlverhalten der Internetzugang gesperrt werden können.

Vieles hat sich mittlerweile verändert. Nach Protesten über die Geheimhaltung, nachdem vorläufige Versionen von Acta unter anderem durch Wikileaks – nur die erste Version wurde von Wikileaks veröffentlicht – bekannt wurden, wurde Ende 2010 auch eine offizielle Endfassung öffentlich. Die einst offen drakonischen Formulierungen sind mit vielen Konjunktiven windelweich umgearbeitet worden.

Dennoch reißt der Protest nicht ab: In Polen und Tschechien haben Netzaktivisten ihre Regierungen in die Defensive gezwungen. Beide Länder setzten die Ratifizierung des Abkommens zunächst aus. In Deutschland wendet sich neben Netzaktivisten, der Piratenpartei und den Grünen auch die Spitze der Jungen Union gegen Acta. An einem bundesweiten Protesttag nahmen 100.000 Menschen teil, die Bundesregierung verzichtete vorerst auf eine Unterzeichnung.

Ärmere Länder unter Druck gesetzt

Für den grünen EU-Abgeordneten Jan Albrecht verschleiern eben die weichen Formulierungen des Abkommens eine gefährliche Richtungsentscheidung. Früher hieß es, Rechteinhaber dürften auch gegen zwischengeschaltete Drittparteien vorgehen – also gegen Netzanbieter. "Heute steht in Acta, die Unterzeichner dürfen die Zusammenarbeit zwischen Netzanbietern und Rechteinhabern fördern – so etwas schreibt man nicht, ohne Hintergedanken", kritisiert Albrecht.

Das Problem: Wer es Regierungen erlaubt, unter Berücksichtigung von Gesetzen zur Meinungsfreiheit und Datenschutz Netzanbieter für ihre Nutzer haftbar zu machen, verpflichtet die Regierungen zwar zu nichts – schließt das aber auch nicht aus. Das heißt, wenn eine Regierung will, kann sie es dennoch machen.

In Deutschland wird sich wohl wenig ändern – dazu sind Datenschutz, Privatsphäre und Meinungsfreiheit zu stark verankert - aber ärmere Länder können einfacher unter Druck gesetzt werden, wesentliche Grundrechte zugunsten von Wirtschaftsinteressen zu missachten.

"Hilfssheriffs einzelner Interessengruppen"?

Doch auch in Deutschland kann es Probleme geben, so Albrecht: "Bei Abkommen zwischen solchen Rechteinhabern und Netzanbietern geht es um viel Geld." Auch der prominente Blogger und Netzaktivist Markus Beckedahl befürchtet eine Privatisierung der Abwägung zwischen Grundrechten und Verwertungsrechten. "Eine freiwillige Selbstkontrolle führt in der Regel zu weniger Freiheit, als wenn Gerichte die Kontrolle ausüben."

Daran scheint die deutsche Internetindustrie bisher noch kein Interesse zu haben: Der Branchenverband eco, der auch große Netzanbieter wie 1und1 und Kabel Deutschland repräsentiert, lässt auf Nachfrage ausrichten: "Die deutschen Provider werden sich aber nicht zu Hilfssheriffs einzelner Interessengruppen unter Umgehung rechtsstaatlicher Verfahren machen lassen."

In einer ganzen Reihe anderer Fälle ermutigt Acta im Zweifel eher gegen die Verdächtigten zu entscheiden: Generische Medizin könnte konfisziert werden; Programme, mit denen es unter anderem möglich wäre, Kopierschutz zu umgehen, sollen verboten werden – egal was es noch für andere Anwendungsmöglichkeiten gäbe; die Rechner von mutmaßlichen Schwarzkopierern können auf Verdacht beschlagnahmt werden; auch wer eine Schwarzkopie empfängt und nicht einmal selbst erstellt, kann haftbar gemacht werden.

Eine Richtungsentscheidung

Erhärtet sich der Verdacht nicht, hat der Verdächtigte zeitweise den Zugriff auf seinen Besitz verloren; erhärtet er sich doch, steht im Abkommen nur, dass die Ansprüche, die Rechteinhaber stellen, berücksichtigt werden sollen. "Acta ist eine Richtungsentscheidung, die einseitig die Rechteinhaber bevorzugt", kritisiert Beckedahl. "Das Urheberrecht wird so repressiv ausgelegt, dass die Gefahr besteht, dass die Menschen bald überhaupt kein Verständnis mehr für Urheberrechte haben."

Im deutschen Justizministerium will man das Abkommen nicht bewerten. "Es wird sich an der deutschen Rechtslage nichts ändern", sagt ein Sprecher. Ob man ein Abkommen, das nichts ändere, für notwendig halte? "Die EU-Kommission war bei den Verhandlungen federführend. Die Bundesregierung war lediglich Beobachterin."

Noch ist unklar, wie es mit Acta weitergeht, doch die Befürworter wackeln, meint der EU-Abgeordnete Jan Albrecht: "Es ist realistisch, dass das EU-Parlament Acta ablehnt."

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16 Kommentare

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  • 9
    99%

    Merkwürdig: Mit den negativen Folgen der "Globalisierung" sollen wir Menschen uns abfinden müssen (Firmensteuern versickern über Ländergrenzen, Arbeitsplätze wandern, wohin die Unternehmen wollen - der "Markt" ist ja schließlich ggrenzenlos frei(ggesetzt worden))

    Nur für die 99% Menschen haben sich die Grenzen nicht verändert - wir müssen uns gängeln lassen, unsere Daten werden gesammelt, wir werden zugespammt und wie Konsumer-Nutzvieh gehalten. Und wenn "wir" davon profitieren wollen, dass die Märkte ja so frei und grenzenlos geworden sind- dann muss dem ja ein Riegel vorgeschoben werden.

     

    Da wir "alle" das Internet "geschenkt bekommen haben, sollten "wir" auch die Bestimmer sein - und keine interessengeleitete, nicht-legitimierte Einzelgruppe.

    Dass die Grünen hier versuchen sich an die Spitze der Beweggung zu setzen (mit ihren unüberhörbaren inhaltlichen Einschränkungen bzgl. des anti ACTA Protests) sollten wir verhindern. Sie dürfen mitspielen, wenn sie wollen: But that's about it!

    Und die Piraten haben bei der Demo in Hamburg jedenfalls keine gute Figur gemacht. O-Ton: "Ich trage hier nur die Fahne" und (sinngemäß)auf eine inhaltliche Frage zur Acta-Diskussion: "Da mußt Du die Veranstalter fragen...."

    Über so viel Sachverstand und Engagement war ich doch mildly astonished bei einer steuergeldlich unterstützten Partei!

     

    Auf Parteien also werden wir uns hier - mal wieder- nicht verlassen können!

     

    (Was mich mal wieder zu der Frage verleitet, warum wir uns die dann eigentlich "leisten"?)

  • FR
    Frederick Richte

    Der Artikel stellt sehr richtig fest:

     

    "Das Problem: Wer es Regierungen erlaubt, unter Berücksichtigung von Gesetzen zur Meinungsfreiheit und Datenschutz Netzanbieter für ihre Nutzer haftbar zu machen, verpflichtet die Regierungen zwar zu nichts – schließt das aber auch nicht aus. Das heißt, wenn eine Regierung will, kann sie es dennoch machen."

     

    Der Punkt ist: Jede Regierung konnte auch vorher schon - ohne jedes ACTA-Abkommen - die Providerhaftungsregeln verschärfen. Die Befeuerer der aktuellen Aufregung handeln entweder ignorant oder politisch motiviert.

     

    Übrigens: Die Musikindustrie verdient an den Konzerten der Künstler nichts - die werden nämlich nicht von Tonträgerherstellern, sondern von Konzertverantaltern ausgerichtet. Die Künstler verdienen natürlich an beidem - sie brauchen bloß eine Plattenfirma, damit jemand ihre Werke kennenlernt und dann zum Konzert geht....

     

    Gruß, Richter

  • G
    Geo

    Ja die Akzeptanz Geld für digitale Produkte auszugeben wird immer geringer, wenn einem gekaufte Produkte nicht mehr wirklich gehören. Vgl. z.B Starcraft II...

    Und das man bei manchen Spielen dauernd online sein muss, damit man ausgespäht werden kann ist einfach unerhört...wird aber bestimmt bald in der Autoindustrie Schule machen.

     

    Da hat eine Industrie glatt 20 Jahre geschlafen...

     

    Das Gejamemr der Musikindustrie hat ja auch wirklich keine Grundlage, wenn man mal die drastisch gestiegenen Konzertpreise betrachtet. Aber das finde ich ok. So ein Erlebnis ist ja nicht beliebig tauschbar und hinterlässt mitunter einen lebenslangen Eindruck.

  • W
    wgewrge5thrttre

    Das Urheberrecht ist nicht für das digitale Zeitalter gemacht. Die Zeiten, in denen man Filme , Musik etc auf runden Plastikscheibchen im Laden gekauft hat sind schon sehr lange vorbei. Ist das bei den verantwortlichen Schwachköpfen eigentlich immer noch nicht angekommen ?!

     

    PS. Wer durch Kopierschutz, Installationslimit, Onlineregistrierung & CO. seine Kunden wie potentielle Verbrecher behandelt, brauch sich über den Rückgang von Verkäufen wohl nicht zu wundern !

     

    Wenn ich mir legal was laden möchte bekomm ich irgendeinen von spyware versuchten Dreck, welcher nicht richtig funktioniert. Hört endlich auf zu heulen, dass wir nicht mehr in den 8ogern leben. Bastelt lieber an zuverlässige Dienste mit ansprechender AUswahl an Medien und lasst den Registrierungsdreck weg. Dann klappts auch wieder mit dem Umsatz...

  • S
    someone

    acta muss gestoppt werden.

    allein schon das trotz europaweiter proteste weiter darüber geredet wird ist schon ein schlechtes zeichen. außerdem haben die lobbyisten und die firmen, die dafür sind sowieso genug geld.

    hier wird nur der arme noch ärmer gemacht und ein grund gegeben eine junge aufstrebende generation zu kontrollieren und manipulieren.

    wenn man einen volksentscheid machen würde wären vermutlich viel mehr als 50% dagegen und das was hier abläuft ist keine demokratie mehr.

  • H
    herbert

    Entscheidend ist das nicht Gedruckte!

    Die LINKE hatte schon zum Stand der ACTA-Verhandlungen in Mexico eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt und sich schon damals klar gegen ACTA positioniert.

     

    Das die LINKE nicht in der Riege der ACTA-Gegner erwähnt wurde, mag bezeichned für die grüne Brille der Taz sein, das dafür die Junge Union genannt wird ist jedoch eine echte Provokation.

     

    Unvergessen sind hingegen die vielen Enthaltungen der Grünen im Bundestag zu den Internetsperren und ihr Abstimmungsverhalten im Europaparlament zum Bankdatenabkommen SWIFT.

  • D
    @demoteilnehmer

    Viel schlimmer fand ich ja noch die "Wir sind hier, wir sind lau, weil ihr uns die Pornos klaut" Rufe, nicht weil ich ein Problem mit der Forderung habe, sondern weil es das wichtige Anliegen komplett ins Lächerliche zieht. Und das jeder Depp mit seiner Kamera TeilnehmerInnen fotografiert und gefilmt hat. Furchtbar.

  • JK
    Juergen K.

    Das ist also so, im Internetverkehr,

     

    dass auf Mautpflichtigen Strassen und Betriebsgeländen ("Hier gilt die Strassenverkehrsordnung")

     

    der Private Mautberechtigte oder der Firmeneigentümer

     

    den Führerschein abnehmen darf,

     

    oder in den Knast muss,

    wenn ein Verbrecher die Stassen benutzt.

     

     

    Wen wird es dann wundern, wenn das nicht auch kommt ?!

  • D
    demoteilnehmer

    Die niedrige Teilnehmerzahl in Berlin war beschämend, dass "Acta ist Scheisse"- Parolen Gegröhle von einigen Leuten hat dazu noch die nötige Fussballstadion Stimmung verbreitet.

     

    Dass die taz hier die Grünen hypen will, ist ja normal, aber wichtiger wären 20000 bis 30000 Teilnehmer gewesen. Berlin ist eingelullt, Deutschland das Land der Schläfer und Lenker.

  • J
    jenny

    Die ganze Tendenz zur Überwachung u. Begrenzung der

     

    NET-Freiheit arbeitet nur in die Hände von Grossfirmen

     

    die ihren "kontent-Schrott" teuer verhökern wollen,

     

    gleichzeitig wird Tür u. Tor geöffnet wür eine all-

    Überwachung a la "Orwell" ,

     

    Konzerne u. Regierungen spielen sich gegenseitig die

     

    "Datenbälle" zu zur Systemerhaltung !

     

    Es bleibt zu hoffen, dass die Piratenpartei dadurch noch ordentlich in den 2 steeligen Bereich zulegt,

     

    den die Grünen haben das Thema verschlafen u. der spd ist mit ihrer allgegenwärtigen "Regelungswut"

    nicht zu trauen !

  • T
    Tobias

    Hallo TAZ? Recherche? Die Linkspartei hat ebenso zu den ACTA-Protesten mit aufgerufen. Linke-Mitglieder gingen ebenso wie viele andere Menschen auf die Straßen, um gegen ACTA zu demonstrieren. In Berlin fielen mir die Piraten- und Linkspartei dadurch auf, dass sie eben nicht versucht haben, die Demo für sich zu vereinnahmen. Im Gegensatz dazu versuchten genau das die Grünen, indem sie Fahnenträger um den Lautsprecherwagen am Neptunbrunnen herum für die Fotografen positionierten. Das stößt sauer auf.

  • J
    Jens

    Linkspartei hat ebenso zu den ACTA-Protesten aufgerufen und Linke-Mitglieder waren auf den Demos präsent. Angenehm fielen mir am Samstag die Piraten- und Linkspartei in Berlin auf, da sie nicht versucht haben, die bunte und vielfältige Demo zu vereinnahmen. Nur die Grünen mussten sicht mit auffällig für die Fotographen verteilten Fahnenträgern hervor tun.

  • K
    KFR

    "Es wird sich an der deutschen Rechtslage nichts ändern", klaro, die Server stehen ja auch im Ausland, nicht zuständig, Legislative und Judikative längst an die EU sozialisiert.

     

    Übrigens sind davon alle Bereiche mit Copy-Rights und Patenten ( siehe auch Pharma, Gen-tec etc ) Gebrauchsmustern und die perversen "Ähnlichkeits-Prozesse" ( siehe ein flaches rechteckiges Objekt mit abgerundeten Kanten ) betroffen.

  • V
    vorp

    "Das Urheberrecht wird so repressiv ausgelegt, dass die Gefahr besteht, dass die Menschen bald überhaupt kein Verständnis mehr für Urheberrechte haben."

     

    sollte das tatsächlich eintreten, dann hätte acta doch ein gutes gehabt. frei nach proudhon: urheberrecht ist diebstahl!

  • J
    jblghrn

    "Die EU-Kommission war bei den Verhandlungen federführend. Die Bundesregierung war lediglich Beobachterin."

     

    Wie dumm ist unsere Bundesregierung eigentlich? Und was heißt "Beobachterin"? Hat sie beim "Beobachten" geschlafen oder die falschen, nämlich die ACTA-Interessen innerlich vertreten und ist erst durch die bundesdeutschen Bürgerproteste aufgewacht und aufgeschreckt worden?

  • L
    leser

    "Die EU-Kommission war bei den Verhandlungen federführend. Die Bundesregierung war lediglich Beobachterin."

     

    Die oberste Juristin für "geistiges Eigentum" in dieser EU-Kommission heißt Maria Martin-Prat. Sie wechselte problemlos von der EU zur IFPI und wieder zurück. In ihrer Zeit als (offizielle) Lobbyistin für die Copyright-Industrie hat sie u.a. gegen die Privatkopie gekämpft. Und sie ist sicher nicht die einzige zweifelhafte Person in dieser Kommission.

     

    Ich würde mir wünschen, dass dieser offensichtliche Sumpf aus Lobbyinteressen und Korruption tiefer untersucht und thematisiert wird.