piwik no script img

Kommentar AfghanistanMission Eigensicherung

Kommentar von Thomas Ruttig

Der Kommandant bezeichnet den Abzug als falsch. Die Flucht aus Talokan steht für die Versäumnisse der Bundeswehr und die Fehler der deutschen Afghanistanpolitik.

Z ugegeben, der Bundeswehrtrupp, der wegen der eskalierenden Proteste gegen eine Koranverbrennung vorzeitig aus dem afghanischen Talokan abgezogen wurde, sollte das Lager ohnehin räumen. Strategisch macht der Rückzug also keinen großen Unterschied. Trotzdem ist er als Symbol nicht zu unterschätzen.

Der Fall zeigt, dass die Bundeswehr auf den Vormarsch der Taliban in Nordafghanistan auf eine Weise reagiert, die alles, was nicht militärischer Eigensicherung dient, in den Hintergrund drängt. Bloß keine deutschen Opfer, lautet die Devise. Das ist wenig erstaunlich, denn immer mehr Politiker zweifeln am Sinn der "Mission Afghanistan". Die Bundeswehr hat schon mehrfach, wenn es vor den Stützpunkten zu heiß wurde oder Hilfsorganisationen um Schutz baten, ihre Türen verbarrikadiert. Das Argument, die Truppe sei in Afghanistan stationiert, "um Wiederaufbau und Entwicklung zu ermöglichen", wird so ad absurdum geführt.

Gleiches gilt für die offizielle Marschrichtung, Deutschland müsse sich mit Blick auf den militärischen Abzug bis 2014 stärker zivil betätigen. Deutsche Aufbauhelfer gibt es in Talokan – immerhin einer der zehn größten Städte Afghanistans - kaum noch. Doch bisher konnten zumindest noch afghanische Organisationen am Tor des deutschen Lagers klopfen und Projekthilfe erbitten. Anders als die festungsartig gesicherten Stützpunkte der Deutschen in Kundus und Masar-i-Scharif war es zugänglich.

archiv
THOMAS RUTTIG

ist Kodirektor des unabhängigen Thinktanks Afghanistan Analysts Network (Kabul/Berlin).

Zudem straft der deutsche Rückzug aus Talokan die Behauptung Lügen, die Bundeswehr würde in Afghanistan etwas gegen den Terrorismus tun. Nicht nur dass sich trotz ihrer Präsenz in den letzten Jahren alle möglichen Dschihadisten in der Nordprovinz Tachar festgesetzt haben, in der die deutschen Soldaten genau das verhindern sollten. Nun büßt sie auch noch die Möglichkeit ein, die Militanten wenigstens aus der Nähe zu beobachten.

Der Kommandant der deutschen Truppe von Talokan hat den Abzug im Fernsehen als falsch bezeichnet. Er habe aber seine Befehle. Die kommen aus Berlin und haben längst mehr mit politischer Eigensicherung als mit den Bedürfnissen der Afghanen zu tun. Die Flucht aus Talokan – sie mag strategisch keinen Unterschied mehr machen, aber sie steht stellvertretend für die Versäumnisse der Bundeswehr und die Fehler der deutschen Afghanistanpolitik.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • D
    drubi

    Wenn wir ehrlich wären, müssten wir zugeben, dass wir schon lange keine politische Strategie mehr für die Bundeswehr haben. Sie ist nur noch dazu da, Rüstungsgeräte vorzuführen, die wir exportieren wollen. Die Politik hat darüber hinaus keinerlei Konzept ausser Kosteneinsparung. Die Presse hat sich einen scheinheiligen Pazifismus längst schon so zu eigen gemacht, dass sie eigentlich gar nicht mehr weiss was sie ausser Skandalisierungen noch über Bundeswehr und NATO schreiben soll. Wir mögen von einer eingebildet hohen moralischen Warte auf andere Länder als militaristisch herabschauen. Im Unterschied zu uns, haben die allerdings gut ausgebildete und gut ausgestattete Streitkräfte und werden deshalb auch in kritischen Situationen respektiert, in denen man unsere Jungs nur noch rennen sehen kann. Was eher nicht das Problem der Bundeswehr sondern unserer politischen Debatten über ihren Zweck ist. Verständlicherweise geht das unseren Verbündeten zunehmend auf den Senkel: eine der größten und erfolgreichsten Volkswirtschaften lässt mit schöner Regelmäßigkeit seine Verbündeten die Kohlen aus dem Feuer holen. Das muss irgendwann auf uns zurückfallen. Kritisch daran ist, dass der Abbau von Kosten im Verteidigungsbudget bisher immer nur zur Senkung der Unternehmenssteuern eingesetzt wurde. Sollte je wieder die Notwendigkeit entstehen, mehr in Verteidigung investieren zu müssen, werden all die Superpatrioten von Wirtschaftsexperten und anderen mächtigen Lobbies wieder aus ihren Löchern kriechen, und von ALLEN Opfer verlangen.

  • P
    preggel

    Wie es bei "Full Metal Jacket" so schön heißt: "You talk the talk! Do you walk the walk?" Ich war da, 2002. Ich möchte Sie, Herr Ruttig, gerne einmal "da unten" sehen! Sie implizieren in Ihrem "Artikel" Feigheit deutscher Soldaten, aber haben keine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, Freunde neben sich sterben zu sehen. Für mich sind Sie ein "Sesselpuper", der sich anmaßt, über Dinge zu urteilen, von denen er absoult keine Ahnung hat. Aber schön zu wissen, dass man auch so seinen Lebensunterhalt in der Bundesrepublik bestreiten kann.

  • M
    Marvin

    "Versäumnisse der Bundeswehr und die Fehler der deutschen Afghanistanpolitik"

     

    ...

     

    Es wird mir schlecht dabei. 10 Jahre Krieg, 10 Jahre dumme, dreckige Lügen von Terrorismusabwehr, Stabilisierung & Menschenrechte - und jetzt die gestochen scharfe Analyse, es habe "Versäumnisse der Bundeswehr" und "Fehler der deutschen Außenpolitik" gegeben?

     

    "Nichts ist gut in Afghanistan" (Margot Käßmann).

     

    Damit ist alles gesagt.

     

    (Aber natürlich - es mag sein, dass der Entwicklungshilfeminister, welcher sein Ministerium abschaffen wollte - und auf einem guten Weg ist, dies zu vollziehen, jetzt, pünktlich nach 10 Jahren Tod & Mordschlag 'was für den Frieden unternehmen wird. Das sollten wir die Hoffnung echt nicht aufgeben & uns bloooooß nicht einfach vom Acker (vom Schlachtfeld) machen! Da stehen wir definitiv in der Verantwortung die Sache jetzt sauber zu Ende zu führen!)

     

    __

    Würg!

  • M
    Mist

    Eine kolossale Geldverschwendung das ganze Procedere.Was hätte man alles mit diesem Geld machen können, was da verschwendet wurde!? Bei der Politik ist kein gesunder Menschenverstand mehr vorhanden. Das Volk sollte man abstimmen lassen-, dann gäbe es weniger Kriege und die DM hätten wir auch noch.

  • E
    egal

    "Die Flucht aus Talokan – sie mag strategisch keinen Unterschied mehr machen, aber sie steht stellvertretend für die Versäumnisse der Bundeswehr und die Fehler der deutschen Afghanistanpolitik."

     

    Der Fluchtaus Talokan wird schon bald die Flucht aus Afghanistan folgen. Darauf kann man wetten. Und sie wird von einer fein ziselierten Politlyrik begleitet werden.

    Dieser Herr Struck hätte allein, wenn er es denn wirklich für richtig hielt, die Demokratie in A. verteidigen sollen. Das wäre die einzig richtige Afghanistan-Politik gewesen. Alles andere waren Fehler. Die mit wieviel Toten bezahlt wurden?

  • P
    Pit

    Nur eins ist angesagt: Raus aus Afghanistan. Aber sofort! Und raus auch aus den anderen Ländern in denen die US-Amerikaner (und wir für sie) der Welt ihre Macht aufzeigen. Nach dem Motto, gibst du nicht freiwillig, holen wir die Freiheitskeule aus dem Arsenal des Imperialismus und erschlagen euch.

    Merkt eigentlich noch einer der JournalistInnen etwas? Oder schreiben alle nur noch gegenseitig von den Vordenkern ab?