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Porträt Hartmut SemkenBerlins neuer Oberpirat

Auf dem Parteitag der Piraten wurde Hartmut Semken mit 53,3 Prozent der Stimmen zum neuen Vorsitzenden gewählt. Für ihn ist das surreal.

Fehlstart: Berlins Chef-Pirat Hartmut Semken. Bild: dpa

Er fühle sich wie "ein Dalí", twitterte Hartmut Semken, nachdem er am Samstag zum Oberpiraten in Berlin gewählt wurde: "Photorealistisch, aber surreal". Fast wäre es nicht so weit gekommen.

Im Jahr 2010, gesteht er in seiner Bewerbungsrede, habe er den Austrittsantrag schon unterschrieben gehabt – und doch nicht abgeschickt. Damals habe er Strukturen in der Piratenpartei vermisst, wisse aber heute, dass die gar nicht nötig sind.

Seit Samstag ist der Fastaussteiger neuer Vorsitzender der Berliner Piraten. 53,3 Prozent der Stimmen bekam der 45-Jährige auf dem ersten Parteitag nach dem Einzug ins Abgeordnetenhaus im September 2011. Erst am Wahltag hatte sich Semken für die Kandidatur entschieden, nachdem Amtsinhaber Gerhard Anger überraschend wegen "emotionaler Überlastung" nicht wieder antrat. Im Vergleich mit den drei Mitbewerbern trat Semken am eloquentesten auf – und mit weißem Hemd und gestutztem Bart am konventionellsten.

Semken wurde in Niedersachsen als Sohn einer Krankengymnastin und eines Landwirts geboren und zog mit acht Jahren nach Berlin. Seit 2009 ist der Ingenieur Parteimitglied und engagierte sich als Technikbeauftragter und im Bundesschiedsgericht.

Semken behagt nicht allen

Er versprach am bisherigen Kurs des Landesvorsitzes festzuhalten: verwalten und moderieren statt politischer Vorgaben. Seine Wahl indes behagte nicht allen Piraten. Manche fragten, ob Semken psychisch überhaupt in der Lage sei, das Amt auszufüllen.

Semken betonte, er habe gelernt, ausgleichend für die Partei zu wirken. Nach seiner Wahl aber zog er gleich den Ärger etlicher Piraten auf sich, weil er dem Tagesspiegel sagte, von der Arbeit der Berliner Piratenfraktion nicht begeistert zu sein. Das provozierte Protest.

Keinen halben Tag später ruderte Semken zurück. Er entschuldigte sich für seine Bemerkungen. Um mit seiner nächsten Bemerkung zugleich erneut anzuecken. "Ich habe einfach den Eindruck, dass manchmal das ein oder andere Ego wichtiger ist als die politische Arbeit." Auf mehr Gegenliebe dürfte Semken bei seinem obersten politischen Ziel stoßen: Er will die Piraten 2013 im Bundestag sehen.

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3 Kommentare

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  • I
    iBot

    Ja, 53,5% bei vier Kandidaten ist wirklich verheerend. Sollte sofort wieder zurücktreten und die Piraten müssen jetzt ganz schnell einsehen, dass Gegenkandidaten bei Wahlen zu unschönen Zahlen unterhalb der 90% führen und daher nicht zugelassen werden dürfen.

  • F
    Fritz

    Ganz toll, Hartmut hat immer Recht!

  • P
    peter

    "Ich habe einfach den Eindruck, dass manchmal das ein oder andere Ego wichtiger ist als die politische Arbeit."

     

    Das ist der erste vernünftige Satz, den ich seit Langem von den Piraten höre. In der Tat deckt sich dies mit meinen Eindrücken, wenn ich die Reden der Abgeordneten in Berlin verfolge.

     

    53,5% ist allerdings ein verheerendes Ergebnis. Jede andere Partei würde jetzt in eine tiefe Krise stürzen und nach Veränderungen streben, die Piraten werden aber wohl eher einmal mehr ihr "Anders-sein" feiern...