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Andreas Rüttenauer wollte DFB-Chef werdenMännerwelt ohne Demokratie

Andreas Rüttenauer hat noch einmal alles gegeben – gegen einen Verband, der nicht einmal das Verteilen von Flugblättern ertragen kann.

Auch in der Stunde der Niederlage eine Bella Figura: Andreas Rüttenauer am Freitag auf dem DFB-Bundestag. Bild: Timo Reuter

FRANKFURT taz | Schon am Donnerstag war angerichtet worden in dem Nobelhotel am Frankfurter Flughafen, das der Deutsche Fußball-Bund für seinen Wahlbundestag ausgesucht hatte. Wolfgang Niersbach sah sich lächelnd um und war sich sicher, dass es ein Heimspiel werden würde. Alles war bereit für seine Wahl zum Präsidenten des Deutschen Fußballbundes. Die Namensschilder für die Vorstandsmitglieder standen am Freitag, als die Delegierten eintrafen, längst auf ihrem Platz.

Auch für die Ehrengäste waren besondere Plätze reserviert. Uwe Seeler, der Ehrenspielführer der Nationalmannschaft und langjähriger Vertreter für Produkte mit den drei Streifen, wurde neben Adidas-Chef Herbert Hainer platziert. Auf dessen linker Seite war für Bundestrainer Joachim Löw reserviert. „Mehr als ein eindeutiger Hinweis darauf, dass der Fußball fest in der Hand bestimmter Konzerne ist“, meinte Andreas Rüttenauer, der Gegenkandidat von Niersbach.

Rüttenauer suchte indes vergeblich sein Namensschild im Festsaal. Wundern musste er sich darüber nicht. Er hatte, obwohl seit fünf Wochen bekannt war, dass er das Amt an der DFB-Spitze anstrebt, nicht einmal eine Einladung erhalten.

Begegnung der Kontrahenten

Anderthalb Stunden vor Eröffnung des außerordentlichen DFB-Bundestages war er bereits im Hotel, um seine letzte Chance zu nutzen. „Vielleicht stellt jemand einen Antrag, die Wahl zu verschieben, so dass ich doch noch nominiert werden kann“, lautete seine kleine Hoffnung. Hans-Jürgen Bartsch, der Vize-Präsident des Berliner Fußballverbands nährte zunächst diese Hoffnung: „Man kann ja auch gegen Wolfgang Niersbach stimmen“, meinte er bei Betreten des Versammlungsortes. In der Tat wurden im Nebenraum des Versammlungsaal nicht nur grüne Stimmkarten mit dem Wort „Ja“ verteilt. Auch rote Karten lagen aus. „Die sind ja nicht so gern gesehen im Fußball“, meinte der 44-jährige Rüttenauer, nachdem er im Foyer des Hotels noch einmal vergeblich versucht hatte, die Stimmung zu seinen Gunsten zu drehen.

An den Stehtischen, an denen sich die Delegierten aus dem Profi- und Amateurbereich mit dem, das sie sich vom reichlich bestückten Buffet auf den Teller gepackt hatten, vor der Abstimmung stärkten, wurde vor allem über aktuelle Ereignisse in der Bundesliga gesprochen. Dabei war eines offensichtlich: Der deutsche Fußball ist eine Männerwelt. Wer unter all den meist grauen Herrenköpfen nach Frauen Ausschau hielt, musste ganz genau hinsehen. Viele waren nicht da.

Wolfgang Niersbach bereitete sich derweil hinter den Kulissen auf seinen großen Tag vor. Nur einmal schaute er noch kurz aus einer Tür. Als er jedoch bemerkte, dass sein Gegenkandidat mit ausgestrecktem Arm auf ihn zuging, schloss sich sofort die Tür. Eher verstört reagierten viele der Anwesenden, als Rüttenauer ihnen sein Wahlprogramm, das „Manifest des deutschen Fußballs 2020“, unter die Nase hielt. Dass der Wahlberliner dem DFB darin ein erhebliches Demokratiedefizit attestiert, dafür hatte der Präsident des Berliner Fußballverbandes Bernd Schultz sogar Verständnis. „Das mag von außen so erscheinen“, sagte er. Die Strukturen seien selbst erschaffen. Demnach könnten sie also auch verändert werden. „Wir müssen abwarten, was zu tun ist.“

Demokratie? „Nur ein Schlagwort“

Andere konnten mit dem Begriff Demokratisierung weitaus weniger anfangen. Für Hans-Joachim Watzke, den Vorstandsvorsitzenden von Borussia Dortmund, ist Demokratie ohnehin nicht mehr als ein „schönes Schlagwort“. Von einem Defizit in dieser Hinsicht mochte er nichts wissen und für den Kandidaten Rüttenauer hatte er ohnehin keine Sympathie. Watzke war „total mit Niersbach einverstanden“. Für Karl-Heinz Rummenigge, den Präsidenten des FC Bayern München, ist der Verband geradezu vorbildlich organisiert. „Wenn alle Verbände so demokratisch organisiert wären wie der DFB, dann wäre die Fußballwelt ein großes Stück besser.“ Als ihn Rüttenauer in ein Gespräch über die Verfasstheit des DFB verwickeln wollte, wandte sich der als Loden-Kalle bekannte Bayern-Boss ostentativ ab, und begrüßte den Uefa-Generalsekretär Gianni Infantino überschwänglich, so als wäre er ein guter, alter Spezi aus der Münchner Bussi-Gesellschaft. „Ciao Gianni“, rief er so laut, dass es niemand im riesigen Foyer des Hotels überhören konnte.

An anderen Stehtischen waren die Delegierten, vor allem die aus dem Amateurbereich, weniger abweisend. Auch die früheren Spieler Oliver Kreuzer und Burkhard Reich interessierten sich für das von Rüttenauer verteilte Manifest. Während Reich sich in Ruhe das Flugblatt durchlas, bemerkte Kreuzer anerkennend: „Er hat doch vor dem DFB übernachtet.“ Dann fragte er etwas unsicher: „Steht er heute denn zur Wahl?“ Auf die Gegenfrage, ob Kreuzer Rüttenauer wählen würde, musste er lange überlegen. Er schüttelte zwar den Kopf, aber seine Augen funkelten.

Solche Szenen konnten den DFB-Oberen nicht gefallen. Es dauerte nicht lange, da baute sich sich ein zwei Meter großer Mann aus dem Medienstab des Verbandes vor Rüttenauer auf. „Ich muss Sie bitten, keine Flugblätter zu verteilen“, mahnte er mit ruhiger, aber bestimmter Stimme. Dass er es ernst meinte, wurde deutlich, als er Rüttenauer dazu aufforderte, ihm die Papiere auszuhändigen. „Das werde ich natürlich nicht machen“, erwiderte dieser und verwies auf das Interesse derjenigen, denen er sein Papier in die Hand gedrückt hatte.

„Besser hätte der DFB gar nicht unter Beweis stellen können, was er von Demokratie hält“, kommentierte Rüttenauer und sprach von Zensur. Wie um ihn zu unterstützen, wandte sich in diesem Moment Jens Todt, der Manager des VfL Bochum, an Rüttenauer und bat ihn um ein Exemplar des Manifests 2020. Doch Zeit, das Papier durchzulesen, fand Todt nicht mehr. Ein Gong ertönte. Die Delegierten wurden in den Saal gerufen. Dessen Türen schlossen sich. Der Rest war Niersbach.

Ein paar Stunden später meldeten die Agenturen: „Eil! Wolfgang Niersbach einstimmig zum DFB-Präsidenten gewählt.“

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7 Kommentare

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  • K
    kroete

    Das Wesen von Demokratie hat sich dem Zeitgeist angepasst, dessen Macht vom Geld ausgeht.

    Attribute, die man von Wahlen in totalitären Regimen kennt, beschreiben jetzt immer öfter Urnengänge bei uns.

    Herzlichen Glückwunsch Herr Niersbach!

    Auch Sie sind alternativlos und einstimmig gewählt worden, was irgendwie vorher schon bestimmt worden war, suchte man doch eine Persönlichkeit, die in den alten Bahnen des einst ebenso gewählten Herrn Dr. Zwanziger weitermacht.

    Zumindest hat der neue DFB - Präsident dem Ex - Bundespräsidenten moralisch eine Nasenlänge voraus, verzichtet er doch auf eine hohe Ausgleichszahlung, obwohl sein ehrenamtliches Salär vergleichsweise poplig ausfällt.

    Vielleicht wollte Herr Rüttenauer beim DFB endlich seiner journalistischen Entlohnung bei der taz entkommen, die erschreckend gering auszufallen scheint.

    Sein Ansinnen hingegen bleibt aller Ehren wert.

  • AT
    as time goes by

    Der größte Erfolg dürfte sein, dass Rüttenauers eigentümlich anmutender Aktionismus sogar Erwähnung in der Zeit gefunden hat und erstaunlicherweise auch noch ernst genommen wurde:

    http://tinyurl.com/6nakp3b

     

    Herzlichen Glückwunsch!

    Das ist weitaus mehr, als zu erwarten war.

    Also war das ganze Spektakel ein Riesenerfolg.

  • DP
    Dr. phil. DFB

    Ach, Herr Rüttenauer.

     

    Natürlich sind Sie enttäuscht. Dafür dürfte wohl jede/jeder Verständnis haben.

     

    Stellt sich jetzt die Frage zum Umgang mit derartigen traumatischen Erlebnissen, die das Leben von Zeit zu Zeit über uns niedergehen läßt.

     

    Sie hätten die Möglichkeit, diese herbe Enttschäuschung gewinnbringend für sich zu nutzen.

     

    Wie könnten beispielsweise eine Dissertation mit dem Titel

    "Archaische Gesellschaftsformen und seine Widerspiegelung im Patriarchat des DFB im 21. Jahrhundert" anfertigen.

     

    Aufgrund Ihres erschütternd geringen taz-Einkommens erlaube ich mir, Ihnen sowohl Idee als auch den ausformulierten potentiellen Dissertationstitel gratis zur Verfügung zu stellen.

     

    Lieb, was?

  • V
    Viktor

    Das Verhalten des DFB ist vollkommen inakzeptabel. Kritiker werden einfach abgewiesen, die vorgetragene Kritik nicht erhört. Das zeigt welche Eigenschaft den Profisport befallen hat: pure Arroganz. Aber nicht nur der DFB, sondern auch andere Verbände, allen voran die FIFA, und Vereine sind davon gezeichnet. Die Kapitalisierung des Fussballs kann als Ursache angesehen werden. Natürlich standen Siege und Erfolge schon immer im Mittelpunkt, das ist Bestandteil des Profisports. Doch auch im Amateursport geht es nicht mehr um Spaß. Eine Folge dieser Entwicklung ist der Verlust der Demokratie innerhalb der Verbände. Machtmonopole müssen gesichert bleiben - es geht hierbei um viel Geld. Nicht nur für die direkt angebundenen Funktionäre, auch für Auswärtige, wie Konzerne, Wettmafiosi und Investoren. Wenn Watzke von einem "schönen Schlagwort" spricht, hat er ganz Recht. Denn tatsächlich existiert sie nicht und ist auch in keinem Fall gewollt. Als Folge daraus entfernt man sich immer weiter von den Fans des Sports und wird womöglich letztlich ganz abgehoben sein von jener Basis ohne die der Fussball nicht überleben kann. Denn die Anhänger stützen die Vereine und Verbände - ihre Emotionen lösen erst den Reiz der Rasensports in großen Stadien aus. Zum Schluss wird es vielleicht keinen Nachwuchs mehr geben, denn die Fassade der scheinbar heilen Welt brökelt. Abgedrehten und unmenschlich erscheinenden Spielern wird kein Kind mehr nacheifern - die Vorbildfunktion der Stars ist längst verloren.

  • M
    MeinName

    Und neulich in China, dieser Sack Reis - einfach umgefallen. Vielleicht der nächste Aufmacher auf taz.de?

  • M
    Michele

    Ja, man hat's nicht leicht, wenn man Präsidenten in spe hoch- bzw. niederschreiben will, nicht? Erst Gauck, jetzt Rüttenauer - wahrhaft keine guten Zeiten für die TAZ-Meinungsmachmaschine. Bleibt nur noch Klarsfeld, aber die scheint so auf verlorenem Posten zu stehen, dass sich die TAZ noch nicht mal herablässt, *irgendwas* über sie zu schreiben. Schade - hätte Denniz Y. doch endlich mal wieder das Wort "Schl***" in einem Beitrag unterbringen können.

  • H
    Helga

    Und warum will er dann da Präsident werden? Er kann doch Kreisvorsitzender des feministischen Flügels der KPD werden, wenn er kein Interesse an der Zusammenarbeit mit Männern hat. Was soll uns dieser dämliche Artikel sagen?