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Kommentar WeissrusslandZum Abschuss freigegeben

Bereits die Verkündung des Urteils gegen die Todeskandidaten mobilisierte 270.000 Personen in Belarus. Die Exekution der beiden Männer könnte noch größere Auswirkungen haben.

W er noch gehofft hatte, der Staatspräsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, würde mit den Todeskandidaten Dmitri Konowalow und Wladislaw Kowaljow ein Einsehen haben, sieht sich leider eines Besseren belehrt. Mit seiner Weigerung, von der Möglichkeit der Begnadigung Gebrauch zu machen, hat Lukaschenko beide im wahrsten Wortsinne zum Abschuss freigegeben.

Vielleicht wurden die Männer, deren Verantwortung für mehrere Anschläge das Gericht nicht einmal im Ansatz nachweisen konnte, bereits hingerichtet. Den Zeitpunkt der Tötung im staatlichen Auftrag geheim zu halten und die Angehörigen der Verurteilten im Unklaren zu lassen – auch das hat in Belarus Methode und offenbart einmal mehr den menschenverachtenden Charakter dieses Regimes.

Alles dies passiert nicht auf einem entfernten Kontinent, sondern mitten in Europa, also quasi vor der Haustür. Dieser Umstand macht in erschreckender Weise deutlich, dass der Westen weder ein passendes Rezept im Umgang mit derartiges Regimes hat noch über ein Instrumentarium verfügt, um dem wahnwitzigen Treiben Lukaschenkos Einhalt zu gebieten. Es werden Resolutionen verfasst und Einreise-Sanktionen gegen führende Vertreter des Systems verhängt. Doch diese Mittel taugen offensichtlich nicht dazu, die Staatsmacht zu beeindrucken. Die hat es mittlerweile offensichtlich ja nicht einmal mehr nötig, Gefangene als Faustpfand einzusetzen, um Brüssel Zugeständnisse abzutrotzen.

Dennoch: Minsk sollte gewarnt sein. Bereits die Verkündung des Urteils mobilisierte 270.000 Personen in Belarus, sich mit ihrer Unterschrift für die Verurteilten einzusetzen. Deren drohende oder schon erfolgte Exekution dürfte dazu führen, dass sich noch mehr Menschen von dem Regime abwenden und ihrem Unmut auch Ausdruck verleihen. Und so könnte sich die jüngste Entscheidung des selbsternannten Diktators Lukaschenko als Bumerang erweisen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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5 Kommentare

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  • M
    menschenfreund

    18.03.2012 10:59 Uhr

    von Peter Bitterli:

     

    @ "menschenfreund":

     

    Schönen Gruß von Herrn Putin: Haben Sie schön gemacht!Offenbar waren Sie längere Zeit weit weg, sonst hätten Sie mitbekommen, daß der sowjetische Pseudosozialismuns in der SU nur deshalb abgeschafft wurde, weil im "Kapitalismus" (russicher Prägung) die Nomenklatura noch reicher werden kann.

  • PB
    Peter Bitterli

    @ "menschenfreund": "Böse Zungen behaupten, daß Herr Putin "seine Leute" nach Weißrußland schickt, um "gute alte sowjetische Traditionen" wieder in Gedächtnis und damit in die Praxis zurück zu bringen." Vollkommener Schwachsinn, den Bestrebungen der russischen nRegierung diametral entgegenlaufend; mit den Fakten nicht ansatzweise kongruent. Gerade als menschenfreund sollten Sie bösen Zungen misstrauen.

  • M
    menschenfreund

    Wes Geistes Kind Staatspräsident von Belarus, Alexander Lukaschenko ist, ist hinlänglich bekannt. Böse Zungen behaupten, daß Herr Putin "seine Leute" nach Weißrußland schickt, um "gute alte sowjetische Traditionen" wieder in Gedächtnis und damit in die Praxis zurück zu bringen.

    Ansonsten: "Todesstrafe" gleich ob durch "ordentliche Gerichtsverfahren" oder durch "Lukaschenkos" angewiesen, sind Mord. Immer und überall.

  • S
    Suryo

    "Belarus" - der neueste Trend seit "Myanmar". Es heißt - und zwar sogar wortwörtlich! - auf deutsch Weißrussland. Oder heißt es hier demnächst auch Aljazair, Bharat und Eire?

  • VN
    Verena Nadorst

    "Menschenverachtenden Charakter dieses Regimes" - das ist natürlich schön gesagt, aus dem Nest eines politisch-ökonomischen Systems heraus, an dessen vorverlagerten Außengrenzen jährliche Tausende ums Leben kommen; das andere europäische Volkswirtschaften durch seine Wirtschaftspolitik in den Bankrott stüzt, und hundertausende Betroffene in Verzweiflung; dessen globale Ausbeutungsmaschine Millionen, nein Milliarden Menschen in absoluter Armut halten lässt, um den eigenen Reichtum zu festigen.

     

    Mal abgesehen davon, dass mir "Luka" alles andere als am Herzen liegt: Was wird passieren, wenn das Regime in Belarus irgendwann zerfällt oder gestürzt wird? Was wird ihm folgen? - Nun, jede/r mit Fähigkeit zu ein paar klaren Gedanken weiß: Ein neoliberales Regime wäre die Folge, zur Freude aller, die davon profitieren können, und zu Lasten all jener Alten, Strahlenkranken und Armen, die im rest-sozialistischen System Belarus' wenigstens noch mit dem Lebensnotwendigen versorgt werden: Brot, Dach, medizinische Versorgung.