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Mark Z. Danielewskis „Only Revolutions“Bekifft unter Flöten

Die neue Lust am Schwierigen: Mark Z. Danielewskis Weltgedicht „Only Revolutions“ schlägt im alten Europa auf. Ist das Dada-Quatsch? Oder rockt das auch?

Antirealist Mark Z. Danielewski. Bild: dapd

Mark Z. Danielewski hat einen Ruf zu verlieren. Nämlich den, nach seinem Kultbuch „House of Leaves“ (Das Haus) der Haupt-Avantgardist der amerikanischen Gegenwartsliteratur zu sein. In Deutschland hat die neue Lust am Schwierigen den Poproman beerbt und schenkt uns Bücher wie die „Abschaffung der Arten“ von Dietmar Dath. Die Zeit ist also reif für Danielewskis Zweiten, der nach immerhin sechs Jahren unter seinem Originaltitel „Only Revolutions“ jetzt in deutscher Übersetzung erscheint. Und diese, das sei gleich vorweggenommen, ist eine Heldentat. Denn Danielewski hat noch einmal nachgelegt und eine Avantgardetextur gesponnen, die selbst Fans auf eine harte Probe stellt.

Die typografischen Exzesse, die im „Haus“ den Mystery-Effekt erhöhten, überwältigen hier praktisch alles, was vom Plotte übrig blieb: Pro Doppelseite finden sich vier „Cantos“ zu je 90 Worten. Die zwei unteren sind umgekehrt gedruckt, sodass man – Achtung, Revolutions! – den Roman um seine Achse drehen und von beiden Seiten lesen muss. Im Turnus von jeweils acht Seiten.

Warum? Weil Danielewski einen „demokratischen“ Beziehungsplot entwickelt, den die beiden Teenielover Sam und Hailey aus zwei Perspektiven selbst erzählen. Falls „erzählen“ hier die richtige Bezeichnung ist. Die achtseitigen „Cantos“ sprengen nämlich jede Prosaform und zielen auf die Mutter aller Dichtungen, das Versepos ab. Entsprechend spreizen sich die Zeilen rhythmisch in gebundener Rede: „Doppelrechtslinksrechts rechtslings Sprünge mit Wings“ oder „Krassgeiler Bass, Snare & Blech, machen / dem Ständigen Kater kein Theater.“ „Al ter Schwe de“, möchte man da mit den Übersetzern sagen („fi ki pi ti“, sagt der Dichter selbst).

Aber rockt das auch, oder ist das Quatsch? Ist hier Dada wieder auferstanden? Kündigt sich das Neue Epos oder doch nur eine „krassexzentrische Nullnummer“ an?

Den amerikanischen Traum vögeln

Die Teenie-Helden jedenfalls sind „on the road“ und vögeln – cool, impertinent und mittellos – auf ihrer Fahrt entlang des „Mischischischi“ nichts Geringeres als den amerikanischen Traum: „Alle träumen den Traum, aber wir sind er.“ „Immer sechzehn“, lautet ihr Programm, wenn stilgerecht die Körperströme fließen; hier ein wenig Drastik, dort ein bisschen Ekel, wie man sie im deutschen Kontext längst in Feuchtgebieten oder Fleckenteufeln liebgewonnen hat. In „Only Revolutions“ enden multigangbang, drugs and alcohol im Krankenhaus. Dort weicht der Selbstgenuss der Helden (und des Textes) jenem bürgerlichen Realismus, der ansonsten kühn vertrieben wird: „Schmeißt jemand dieses Flittchen raus? / Hier ist doch keine Ausnüchterungszelle.“ Ganz ins Stocken kommt die Party schließlich, als den Helden das Benzin ausgeht. Es folgt die düstere Seite des Summer of Love. Man jobt verbittert und gemobbt vom Manager für ein paar Wochen im St.-Louis-Deli, fährt dann weiter und beschließt aus Programmatikschwäche („wie kommen wir aus dieser Scheißfahrt wieder raus?“) die bürgerliche Hochzeit. Diese wird mit Hilfe falscher Ausweise legalisiert, bevor die Hippiedienstfahrt tragisch endet.

Dass es hier um mehr als eine Teenieliebe geht, bezeugen freilich schon die Glossen, die in Chronikform den Rand des Fließtextes zieren: Damit wird die Lovestory zum Weltgedicht im Rahmen eines Welttheaters, das volle 200 Jahre (1863–2063) umfasst. Wo Sam und Hailey munter vögeln („ich stoße diesen Fickschmaus schneller“), findet sich zum 18. Oktober 1976 etwa folgender Eintrag: „Panzer von Chrysler. Erdbeben am Ararat, 4000 tot. – Saft! Saft! Libyen & Fiat. Tip O’Neill. Kurt Waldheim für die UNO.“

Klar, man kann das googeln. Und vielleicht verbirgt sich dort ein Kommentar, der das Geheimnis der Erzählung löst. Auf jeden Fall wird hier das Weltgedicht vom Weltgericht flankiert, denn in der Chronik lauert neben Politik und Popularkultur vor allem eines: massenhafter Tod.

Ja, diese Dichtung will bedeutsam sein. Von Whitmans „Leaves of Grass“, Pounds „Cantos“ oder Eliots „Wasteland“ bis Kerouacs „On the Road“ wird alles angeklickt, was einmal Avantgarde gewesen ist bzw. (Joyce und Beckett) auf die Urtexte der Bibel, Odyssee und Göttlichen Komödie verweist. Zu schweigen von befristeten Beziehungen wie Orpheus und Euridike (Reanimation), Tristan und Isolde (Drogen) oder Romeo und Julia (Stress mit Nahestehenden). Alles atmet Exemplarität, die durch die Großschreibung von „UnS“ (im Original noch eindeutiger: „US“) beständig ruft: Wir sind Amerika! „Der Westen entwächst dem Westen, aber wir entwachsen UnS nie.“

Consumer Culture und Natur

Die Übersetzung unterstützt den Trend zum Abendland nach Kräften, etwa wenn ein Hauch von unerwartetem Kaffeehaus die Midwest-Tragödie durchweht. Denn Hailey „eichkatzelt“ mit „herzigen Händen“ und „zerdeppert“ manches, anderes geht „scheps“, wenn „Gschpusis“ oder „Schantis“ randalieren, während „Backfische“ und „Hipsters“ „hammermäßig“ einen „Trottoir-Walk“ zusammen dancen. Auch Consumer Culture und Natur sind sprachlich ebenbürtig. Sam und Hailey fahren praktisch zeitgleich jede Automarke, die in den USA je verkauft worden ist.

In katalogartigen Serien klimpern dazu Flora und Fauna: „– Verlass sie nie, / flistern Hirschmäuse. / – Allein, / klagen Glühwürmchen & Antilopen. (…) / Neben sich räkelnden Kurzhornkrötenechsen.“ Diese allegorische Tendenz zum Tiefsinn wird mit poetischen Knallern garniert: „Der sengende / Sommer kehrt wiehernd zurück.“

Bekifftsein „unter Flöten“ ist hier mehr als nur ein Zustand zweier Teenies, es ist ein poetisches Prinzip. Klamauk und Wortspiel sind die Träger, die in Danielewskis Weltgedicht, wie schon im „Haus“, die Tiefenschichten menschlicher Verwirrung und Verirrung eindrucksvoll ergraben. Inhaltlich kann dieser „Blitzkrieg gegen den Scheinwiderstand der Welt“ von Sam und Hailey freilich nicht gewonnen werden. Es gibt sie nicht, die endlose Revolution: „Alle jagen den Traum, aber wir geben ihn auf.“

Dass diese Weisheit nicht zu rührselig gerät, ist auch dem Übersetzerteam zu danken, das zwar nicht den Wortlaut (denn wie soll das gehen?), aber den komplexen Geist des Weltgedichts mit kühnem Zugriff erfasst. Wer „mess and a half“ mit „fixundfoxi“ übersetzen kann, „gambols“ mit „Aldi Sprüngli“ und „Throesville“ mit „Todnauberg“, der hat verstanden, dass Europa Coolness anders definiert als sein geliebtes Vorbild.

Bleibt zu hoffen, dass sich Danielewskis ebenso erfrischender wie radikaler Antirealismus weiterhin die Treue hält gemäß dem Motto: „Auch Rothörnchen und Taschenratten pimpern weiter. Enthemmt.“

Mark Z. Danielewski: „Only Revolutions. Die Demokratie von Zweien, dargelegt & chronologisch angeordnet“. Aus dem amerikanischen Englisch von Gerhard Falkner und Nora Matocza. Klett-Cotta, Stuttgart 2012, 360 Seiten, 24,95 Euro

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3 Kommentare

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  • CP
    Chris Peh

    Ich habe das Buch auch zu Rezensionszwecken erhalten und bin schlichtweg geplättet von Danielewskis Kunst. Schon "Das Haus" war ein irrsinniger Ritt, aber das hier toppt noch mal alles. Das Buch gibt so irrsinnig viele Rätsel auf. Es ist nicht, wie die meisten Bücher, ein literarischer Film, dessen audiovisuelle Umsetzung im Kopf stattfindet, sondern ein Erlebnis, ein Durchfegen des Oberstübchens. Einfach Wahnsinn.

  • M
    Martin

    Das Buch rockt! Und wie! Aber wo sind im deutschsprachigen Raum Autoren wie Danielewski? Gibt es sie nicht? Oder kommen sie in der Medienöffentlichkeit einfach nicht vor? Das wäre traurig. Dietmar Dath ist mir auch eingefallen. Dazu noch Clemens J. Setz. Und Francis Nenik mit seinem verrückten Roman "XO". Aber mehr? Fehlanzeige. Zumindest bei mir.

  • CD
    chatenu denupi pupi

    danke, sowas will ich lesen (rezension und buch).