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die WahrheitDer faulige Atem der Apokalypse

Kolumne
von Joachim Schulz

Dass Frau Priesewitz und ich in diesem Leben keine Freunde werden würden, war seit Langem klar.

D ass Frau Priesewitz und ich in diesem Leben keine Freunde werden würden, war seit Langem klar. Immer wenn sie bei der Kontrolle der Gelben Säcke feststellte, dass ich die Etiketten von meinen leeren Joghurtbechern nicht ordnungsgemäß abgeknippelt hatte, hielt sie mir einen Vortrag über die Trennung von Papier- und Plastikmüll, und oft klagte sie darüber, dass mein schmutziges Fahrrad den akkuraten Eindruck unseres Gemeinschaftskellers ruiniere. Noch nie aber stand sie mit nach oben gereckter Nase vor meiner Wohnungstür.

„Was machen Sie da?“, stotterte ich, als ich von einem Spaziergang zurückkam und den Hausflur betrat. „Ich schnuppere“, zischte sie, „das sehen Sie doch!“ – „Natürlich sehe ich das“, erwiderte ich, „aber warum schnuppern Sie vor meiner Tür?!“ – „Ja, riechen Sie das denn nicht?!“ Tatsächlich roch es leicht gammelig im Hausflur, ein bisschen nach Kloake. „Puh“, machte ich und hätte mich gern mit einer bösartigen Bemerkung dafür gerächt, dass sie die Ursache des üblen Gestanks in meiner Wohnung vermutete. Tatsächlich aber fiel mir nichts ein.

Unterdessen kam Kemper die Treppe herunter. „Riechen Sie mal!“, rief ihm die alte Krähe zu. Kemper schnupperte. „Oha!“, hauchte er: „Der faulige Atem der Apokalypse! Und es kommt, es kommt …“, er machte ein paar Schritte mit witternd erhobener Nase, „… es kommt aus unserem Keller!“

„Ahaaa!“, machte Frau P. Mir schwante, dass sie mit diesem Ausruf einen Zusammenhang zwischen dem Gestank und meinem schmutzigen Fahrrad herstellen wollte, aber das war ungefähr so meschugge wie die Idee, dass der Weltuntergang ausgerechnet in unserem Keller anfangen würde.

„Womöglich ist ein Abwasserrohr kaputt“, sagte ich, „sehen wir doch mal nach.“ – „Genau, sehen wir mal nach!“, schnappte die Giftmadame, und Kemper flüsterte: „Aber vorsichtig, vielleicht sitzt da unten schon ein schwefelgelbes Tier mit dem Namen ’666‘!“

Wir stiegen hinab. Natürlich roch mein Fahrrad nach nichts. Aber auch die Fallrohre waren unversehrt. Schließlich standen wir vor meiner Kellertür. Tatsächlich schien der Gestank hier seinen Ursprung zu haben. „Donnerschlag!“, stotterte ich. Zugleich hörten wir oben Stimmen. „Wir sind hier unten!“, rief die Hexe, und zwei Polizisten kamen herunter. „Haben Sie uns angerufen?“, fragte einer von ihnen, und sie sagte: „Allerdings! Das ganze Haus stinkt nach Verwesung, und hier liegt die Quelle: In seinem Keller! Wer weiß, vielleicht ist er einer seiner Damenbekanntschaften überdrüssig geworden!“

„Also das …“, stammelte ich. „Machen Sie mal auf!“, befahlen die Beamten, und während sie schon mit den Handschellen klapperten, war ich am Ende heilfroh, dass wir nur auf eine bestialisch stinkende Tüte mit der Aufschrift „Biohof Bolte“ stießen, auch wenn das bedeutete, dass ich die Kartoffeln, die ich neulich gekauft hatte, in den Gefrierschrank gelegt und dafür den gleichzeitig erworbenen teuren Gockel in die Kiste im Keller geworfen haben musste.

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