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Michi Beck über HipHop und Schwabenhass„Ich bin kein Berliner“

„Turntablerocker“-DJ und Fanta-Vier-Rapper Michi Beck über Erwachsenwerden im Clubleben, Schwabenhass und die HipHop-Szenen von Stuttgart und Berlin.

„Die Berliner hatten immer Baseball-Schläger dabei.“ Bild: Anja Weber
Interview von Thomas Winkler

taz: Herr Beck, wann waren Sie das letzte Mal tanzen?

Michi Beck: Mal überlegen. Dieses Jahr noch nicht. Ich glaube, letzten Dezember, als ich mit den Fantastischen Vier auf Tour war. Ich muss zugeben: Ich gehe nicht mehr regelmäßig in Clubs.

Sie legen häufiger auf, als Sie selber tanzen?

Ja, mittlerweile. Spätestens seit der Geburt meiner Tochter vor vier Jahren. Früher war das viel einfacher, in Berlin eben mal auszugehen, aber da konnte ich am nächsten Tag auch noch ausschlafen. Das könnte ich natürlich immer noch, wenn ich als DJ in anderen Städten unterwegs bin – würde ich nicht an seniler Bettflucht leiden. Anfang vierzig sein und Kind haben, das bremst die Motivation, sich ins Nachtleben zu stürzen, schon ungemein.

Es scheint sowieso so zu sein, dass DJs selber Tanzmuffel sind.

Da haben Sie mich erwischt. Ich gebe es zu: Selbst als ich noch oft in Clubs gegangen bin, hab ich dort oft nicht getanzt. Ich stehe eher an der Bar und wippe.

Warum tanzen DJs nicht?

Ich weiß es nicht. Wenn ich auflege und hinterm DJ-Pult stehe, da tanze ich ja. Das ist echt merkwürdig. Wahrscheinlich ist man anders konditioniert, man ist vielleicht zu kritisch. Der DJ muss schon richtig gut sein, damit ich tanze. Aber ich war noch nie jemand, der eine ganze Nacht durchtanzen konnte.

Haben Sie die falschen Drogen genommen?

Eher zu wenig Drogen.

Michi Beck

Der Mensch: Michael Beck wird 1967 in Stuttgart geboren. Bald beginnt er sich in von Vertretern der US-Besatzungsmacht frequentierten Discotheken herumzutreiben und infiziert sich mit Soul, Funk und anderer schwarzer Dance Music. Schon 1987 wird er nur noch „Michi“ genannt und lernt den Friseur Thomas Dürr, den Programmierer Michael Schmidt und den EDV-Fachmann Andreas Rieke kennen. Das soll später wichtig werden. Anfang der nuller Jahre zieht Beck nach Berlin, er lebt mit Frau und Tochter in Prenzlauer Berg.

Der Rapper: 1989 geht aus der leidlich erfolgreichen Rap-Formation Terminal Team die extrem erfolgreiche Rap-Formation Die Fantastischen Vier hervor Gründungsmitglieder sind Beck (Dee Jot Hausmarke), Dürr (Thomas D.), Schmidt (Smudo) und Rieke (And.Y). Das Quartett rappt „Die da“ und bringt den deutschsprachigen HipHop in die Charts.

Der DJ: 1994 lernt Beck den Produzenten und Plattenaufleger Thomas „Thomilla“ Burchia kennen. Seitdem sind sie als DJ-Team Turntablerocker unterwegs. Nun erscheint ihr drittes Album „einszwei“ (Casablanca/Universal), das sich wehmütig an die glorreichen Zeiten der Disco erinnert, wie sie Beck in Stuttgart erlebte, eine Coverversion von Spliffs „Déjà vu“ inklusive. Am 30. 3. feiern die beiden das Erscheinen ihres Albums im Berliner Weekend.

Mit 44 Jahren versuchen Sie und Ihr Partner Thomilla als Turntablerocker immer noch, andere Menschen zum Tanzen zu bringen. Hält man das denn ohne Drogen aus?

Der Beruf Disc-Jockey hat generell was Absurdes. Die Berufsjugendlichkeit impliziert schon der Beruf. Aber man rutscht da so rein: Wir haben einfach nicht aufgehört aufzulegen. Das ist das, was wir können, was uns Spaß macht. Solange wir gefragt werden, gehen wir jedes zweite Wochenende los und bringen die Leute zum Tanzen.

Warum nur jedes zweite?

Ich werde bald zum zweiten Mal Vater, ich will auch mal ein Wochenende zu Hause sein. Thomilla hat keine Kinder, wenn es nach dem ginge, könnten wir noch öfter auflegen. Mittlerweile gibt es aber immer mehr DJs, die Kinder haben. Man ist da kein Exot mehr. Und was ich beobachtet habe: Die treten dann alle etwas kürzer. Aber auch die Clubgänger werden ja immer älter, die sind heutzutage längst nicht mehr alle Anfang zwanzig.

Ist das neue Turntablerocker-Album „Einszwei“ eine Club-Platte für diese ältere Zielgruppe?

Wenn es so aufgefasst werden sollte, dann finde ich das gut. Denn natürlich ist das ein Thema, natürlich reden Thomilla und ich darüber, wie lange wir das noch machen können und wollen. Das wird wahrscheinlich nicht mehr werden mit dem Auflegen, wenn ich bald zwei Kinder habe. Das alles schwingt auch mit auf der Platte, logisch. Aber das war nicht unser Ziel. Wir sind nicht ins Studio gegangen mit der Vorgabe, eine Club-Platte für Erwachsene zu machen. Was soll das denn überhaupt sein, erwachsene Club-Musik? Tanzen ist und bleibt Tanzen, mit 18 Jahren genauso wie mit 44.

Wenn man tanzt.

Ja, wenn man denn tanzt. (lacht)

Sie sind aber nicht nur DJ und Nichttänzer, sondern bekanntlich auch Rapper bei den Fantastischen Vier – und damit Experte für diese Frage: Ist Berlin eine Techno- oder eine HipHop-Stadt?

Ganz eindeutig eine Techno-Stadt. Historisch ist Berlin vor allem vom Punk und New Wave der 80er Jahre geprägt, und die mündeten in Techno. Ich bin dagegen in Süddeutschland aufgewachsen und von der Black Music geprägt, die in den Clubs gespielt wurde, in die die US-Soldaten gingen. Das war das einzige, was in Stuttgart damals cool war. In Stuttgart gab es keine Musikszene, da mussten wir uns eine eigene Musikszene erfinden. Die Fanta Vier hätte es in Berlin nie gegeben, denn wenn du in Berlin anders sein wolltest, dann bist du eben in der Kreuzberger Hausbesetzer- oder Punk-Szene gelandet, aber bestimmt nicht in einem GI-Club in Dahlem.

Da werden ein paar Berliner Gangster-Rapper aber ganz anderer Meinung sein.

O Scheiße, jetzt kriege ich bestimmt auf die Fresse. (Gelächter) Gut, dann sagen wir es so: Berlin ist das L. A. von Deutschland und Stuttgart dafür New York. (Großes Gelächter) Aber so falsch ist es nicht: Berlin kam – wie Los Angeles – später auf die HipHop-Landkarte, dafür gleich mit Gangster-Rap. Ich kann mich noch an die Jams erinnern, auf denen wir unsere ersten Gehversuche mit Rap machten, da hieß es schon immer: Scheiße, die Berliner kommen. Die hatten immer Baseball-Schläger dabei.

Und Ihre DJ-Erfahrungen mit der Techno-Stadt Berlin?

Mitte der Neunziger, als ich noch nicht in Berlin wohnte, habe ich mal im E-Werk aufgelegt …

dem legendären, 1997 geschlossenen Techno-Club …

… da habe ich unten im Keller HipHop aufgelegt – vor drei Leuten. Oben, auf dem großen Floor, waren ungefähr 3.000. Spätestens da habe ich bemerkt, dass Berlin keine HipHop-Stadt ist.

Haben Sie jemals im Berghain aufgelegt?

Nein, für die sind wir doch nur dumme Kommerzschweine.

Aber wenigstens als Gast waren Sie doch im berühmtesten Club der Welt?

Ja, aber nur drei, vier Mal – und nur durchgegangen, um in die Panoramabar zu kommen. Wir sind eher ins Weekend oder ins Watergate gegangen. Das Berghain war mir wohl zu radikal.

Aber Hand aufs Herz: Als DJ hätte man schon mal ganz gern im berühmtesten Club der Welt aufgelegt, oder?

Ja, natürlich, schon weil es das verballertste und damit auch dankbarste Publikum in Berghain und Panoramabar gibt. Ich stell mir das schon toll vor, wenn man da auflegt und dann geht morgens in den Fenstern der Panoramabar die Sonne auf. Aber das war von Anfang an klar, dass wir von denen nicht gefragt werden würden. Und wir haben auch nie angefragt, ob wir da spielen dürfen. Turntablerocker passen einfach nicht ins Berghain.

Das Berghain boomt weiter, andere Clubs verschwinden. Welchen verstorbenen Club vermissen Sie persönlich?

Ehrlich gesagt: keinen. Weil es immer weitergeht. Klar ist es traurig, wenn ein Laden zumacht, in den man gern gegangen ist. Aber noch trauriger ist es, dass es nicht dasselbe ist, wenn der Laden an einem anderen Ort wieder aufmacht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass man selber älter geworden ist und früher eh alles besser war. Meine Erfahrung ist jedenfalls: Die Clubs, in die ich gegangen bin, haben meist genau dann zugemacht, wenn ich wahrscheinlich nicht mehr hingegangen wäre.

Aber ist das Clubsterben nicht gefährlich für Berlin?

Gibt es wirklich ein Clubsterben? Das eine stirbt, um Platz zu machen für Neues. Das ist ein Wandel. Die junge Club-Szene ist einfach weitergezogen, die ist jetzt in Kreuzberg oder noch weiter draußen. Die Jungen bauen sich was Eigenes auf. Diese Entwicklung geht immer weiter, während es noch genug etablierte Clubs gibt für die internationalen Rave-Touristen. Berlin hat genug Platz für beides.

Wird Berlin in zehn Jahren noch die Welt-Party-Metropole sein?

Ich glaube schon, das Berlin die Party-Hauptstadt Deutschlands bleibt. Ob die Stadt auch für den Rest der Welt ihre Anziehungskraft behalten wird? Das Potenzial ist sicherlich da, aber das hängt von zu vielen Faktoren ab, das kann man nicht sagen. Aber was man sagen kann: Die Party wird dann wahrscheinlich nicht mehr in Prenzlauer Berg stattfinden.

Wo denn, in Lichtenberg?

Warum nicht? Und vielleicht hat es Lichtenberg ja auch mal verdient.

Für diese Entwicklung in Prenzlauer Berg wird vor allem eine bestimmte Gruppe verantwortlich gemacht. Ist Ihnen schon die Parole „Schwaben raus!“ begegnet?

Klar, ständig. Auf Häuserwänden als Graffiti und Aufkleber. Inzwischen wohne ich zwar am Rand von Prenzlauer Berg, Richtung Friedrichshain. Aber früher habe ich direkt im Epizentrum dieses Konflikts gelebt, im Kollwitzkiez.

Fühlen Sie sich angesprochen von solchen Graffiti?

Natürlich fühlt man sich da angesprochen als Schwabe. Das ist beleidigend und tut weh. Aber mir ist schon klar, dass damit nicht nur die Schwaben gemeint sind. Die Schwaben sind nur am auffälligsten, weil sie sich am wenigsten verstecken können, weil sie ihr schwäbisches Timbre auch nach Jahren nicht loswerden. Schon in den Achtzigern war Kreuzberg die größte schwäbische Exklave außerhalb von Baden-Württemberg, da gab es schon Schwabenhass. Anscheinend neigt der Schwabe zum Masochismus, denn er ist schon immer gern hergekommen.

Nur um sich beschimpfen zu lassen.

Ich weiß auch nicht, ob die, die da schimpfen, tatsächlich alle Ostberliner sind, die aus dem Bezirk verdrängt wurden. Oder ob da nicht auch der ein oder andere Punk aus Wolfsburg dabei ist, der „Schwaben raus“ an die Wand schmiert. Aber der sogenannte Schwabenhass richtet sich ja auch gar nicht ausdrücklich gegen Schwaben. Der Schwabe ist nur zu einem Symbol für die Gentrifizierung geworden.

Ob Schwabe oder nicht, Sie würden ins Schema passen: Bald zwei Kinder, genug Geld für eine Eigentumswohnung.

Ja, ich weiß, ich bin schuld.

Und Sie fahren einen Lexus. Wird der regelmäßig zerkratzt?

Gar nicht mal so häufig, wenn man bedenkt, dass ich immer noch mit Stuttgarter Kennzeichen herumfahre. Aber ich bessere die Kratzer schon lange nicht mehr aus, das wäre sinnlos.

Können Sie die Leute verstehen, die Ihr Auto zerkratzen?

Nein, das ist doch nur Neid. Sozialneid gibt es in jeder Stadt, auch in Stuttgart. Aber hier ist Sozialneid anscheinend schick geworden. Natürlich ist Gentrifizierung in großem Stil ein schwieriges Thema. Aber eigentlich gibt es Gentrifizierung in jeder Stadt, auch in Stuttgart und in anderen westdeutschen Städten haben sich zentral gelegene Viertel sehr verändert. Ich glaube aber, jeder ist seines Glückes Schmied. Ich stamme auch nicht aus einer reichen Familie, mein Bruder hat heute noch nicht viel Geld. Und es tut mir auch leid, dass es nicht bei jedem gut laufen kann, aber das ist halt so. Ich hatte Glück und verdiene gut mit der Musik, aber ich sehe nicht ein, deshalb gleich in den Grunewald ziehen zu müssen.

Müssen Sie ja nicht, Prenzlauer Berg ist mittlerweile doch extrem kindgerecht.

Stimmt nicht. Prenzlauer Berg ist total beschissen mit Kindern. Nirgendwo auf der Welt bist du wegen Kindern so geächtet. Du wirst schräg angeguckt, es fehlt nicht mehr viel, und du wirst angespuckt. Wenn du mit dem Kinderwagen kommst, wird dir garantiert kein Platz gemacht. Der einzige Vorteil ist, dass du viele Gleichgesinnte triffst und nicht allein auf dem Spielplatz rumsitzen musst. Aber dafür gibt es so viele Gleichgesinnte, dass du am Kollwitzplatz an der Schaukel eine Stunde lang anstehen musst, bis das Kind drankommt. Das Klischee stimmt nicht: Prenzlauer Berg ist gar nicht so toll für Kinder. Deshalb sind wir auch da weggezogen. Und jedem, der überlegt, aus Stuttgart oder Heidelberg hierherzuziehen, um eine schöne Zeit mit seinem Kind zu haben, würde ich eher davon abraten.

Könnten Sie sich auch vorstellen, Ihre Kinder in Stuttgart großzuziehen?

Ja, kann ich problemlos. Ich bin kein Berliner und ich werde wohl nie richtig einer werden. Ich weiß nicht, ob ich hier alt werden könnte. Ich bin aus beruflichen Gründen hergezogen. Wir sind mit unserer Plattenfirma Four Music damals nach Berlin gekommen, weil man ein Label dieser Größe in Stuttgart nicht führen kann. Und ich bin hier auch gut empfangen worden, habe mittlerweile viel mehr Freunde als in Stuttgart. Aber dass ich bis an mein Lebensende in Berlin bleiben werde, das glaube ich nicht.

Warum nicht?

Es ist mir zu anstrengend hier. Hier wird mir zu viel Hype gemacht um alles. Es ist mir zu kalt im Winter. Wenn ich alt werde, würde ich mir, glaube ich, einen menschlich und geografisch wärmeren Ort zum Leben wünschen. Und außerdem nervt es mich, solche Diskussionen über Schwabenhass führen zu müssen. Ich habe immer abgelehnt zu dem Thema Interviews zu geben, aber irgendwann muss man sich dem wohl mal stellen.

Werden solche Diskussionen in Stuttgart nicht geführt?

Doch, in Stuttgart macht man sich ja sogar noch mehr ins Hemd wegen dem Schwabenhass als hier. Wenn ich mal nach Hause komme, legt mir meine Mutter die Artikel aus der Stuttgarter Zeitung raus. Das ist jedes Mal ein dicker Stapel. Meine Mutter kriegt langsam Angst um mich und ihre Enkelkinder.

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