Staatsanwältin Sandra Lohfeldt über ambivalente Täter: "Man wird nicht böse geboren"

Wenn Staatsanwältin Sandra Lohfeldt die Robe nach getaner Arbeit auszieht, schreibt sie Kriminalromane - über eine Staatsanwältin. Im Grunde, sagt sie, zwei Varianten ihrer Persönlichkeit.

Ist nicht so risikobereit wie ihre Romanheldin: Staatsanwältin Sandra Lohfeldt. : dpa

taz: Frau Lohfeldt, Sie sind Staatsanwältin, genau wie Anna Lorenz in Ihren Krimis. Ist Ihr Beruf so langweilig, dass Sie das in Büchern kompensieren müssen?

Sandra Lohfeldt: Ich bin Staatsbeamtin: Dem Gerücht zufolge müsste ich also den ganzen Tage durchschlafen! Nein, mal im Ernst: Mein Beruf ist keineswegs langweilig und ich übe ihn auch sehr gern aus. Ich hatte aber unabhängig davon schon immer den Wunsch, mich kreativ zu verwirklichen und Bücher zu schreiben. Welche bessere Schule könnte es auch für eine Krimiautorin geben als den Beruf der Staatsanwältin?

Mit welchen Fällen sind Sie denn betraut?

Im Moment bin ich im Dezernat für Jugendrecht eingesetzt und beschäftige mich entsprechend vorwiegend mit Straftätern im Alter von 14 bis einschließlich 20 Jahren. Vor Gericht verhandele ich aber auch Anklagen gegen erwachsene Straftäter.

Und was kommt da so auf den Tisch?

So ziemlich alles. Ich beschäftige mich mit Schwarzfahrern oder 17-Jährigen, die einen falschen Ausweis vorlegen, um in die Disko zu kommen, genauso wie mit Diebstählen, Raub- und Erpressungsdelikten oder dem Jugendlichen, der am Bahnhof einen anderen niederschlägt. Jugendrecht ist spannend, weil der Anspruch ein anderer ist als bei Erwachsenen, nämlich ein erzieherischer.

Aber es scheint Sie nicht auszufüllen, wenn Sie sich dann nach der Arbeit und am Wochenende noch an den Schreibtisch setzen und schreiben.

Schreiben ist und bleibt für mich ein Lebenstraum und Lebensträume lassen sich durch andere Berufe nicht kompensieren. Unabhängig davon können die wenigsten Autoren von der Schriftstellerei leben und das Frühstück muss auch bei uns auf den Tisch. Aber es geht schon manchmal an die Schmerzgrenze. Das schafft man nur, wenn man es wirklich unbedingt will.

41, ist Staatsanwältin, eineiiger Zwilling und schreibt unter ihrem Mädchennamen Sandra Gladow Krimis (soeben erschienen: "Gewitterstille", Diana-Verlag). Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Hamburg.

Und wieso wollen Sie unbedingt?

Beim Schreiben hat man plötzlich alles in der Hand, steuert die Guten, steuert die Bösen, steuert das Schicksal.

Bringen Sie manchmal Fälle, die nicht so ausgegangen sind, wie Sie sich das gewünscht hätten, in Ihren Büchern zu einem besseren Ende?

Bisher nicht, meine Geschichten sind fiktional, aber man hört und erlebt viel im Alltag und dann setzt sich aus vielen realen Momenten eine Geschichte zusammen.

Aber es gibt schon Fälle, die nicht so ausgehen, wie Sie das gern gehabt hätten, wie Sie es gerecht empfunden hätten?

Es kommt auf jeden Fall vor, dass ich ein Verfahren mangels Beweises einstellen muss, obwohl ich der Meinung bin, dass der Täter schuldig ist. Das schmeckt natürlich manchmal ziemlich bitter.

Sie haben in Ihrem neuen Buch mit dem jungen Pfleger Jens Asmus eine Figur geschaffen, die einerseits sympathisch, aber gleichzeitig ein Dieb, Lügner und Spieler ist. Wie würden Sie denn ihn charakterisieren?

Zerrissen würde ich sagen, das ist kein durch und durch schlechter Mensch, sondern er ist auf der Suche nach Identität und Liebe, hat aber sicherlich erhebliche Defizite.

Das ist ja freundlich ausgedrückt, er überfällt bettlägerige Frauen in Altenheimen und findet das in Ordnung, weil die ihr Geld ja gar nicht mehr brauchen.

Jens Asmus schafft sich ein Stück weit eine eigene Wirklichkeit. Seine Taten sind natürlich zu verurteilen. Auf der anderen Seite hat er ein inniges Verhältnis zu der in meinem Roman eine wichtige Rolle spielenden jugendlichen Sophie und ist im Umgang mit ihr sehr feinfühlig. In seiner Person zeigt sich, dass ein Mensch gut und böse zugleich sein kann und verschiedene Seiten hat. Der Mensch wird nicht böse geboren, sondern oft stimmt einfach die Sozialisation oder das Umfeld nicht, und das will ich gern auch in meinen Büchern zum Ausdruck bringen. Man soll verstehen, warum jemand funktioniert, wie er funktioniert.

Sie meinen also, dass das Böse immer einen Auslöser hat?

In meinem Beruf habe ich gelernt, dass die meisten Täter oft selbst einmal Opfer waren. Damit meine ich nicht den 14-Jährigen, der als Mutprobe im Supermarkt Zigaretten klaut. Aber jemand, der gewalttätig ist, verarbeitet häufig großen eigenen Schmerz und Frust und ist in kein behütetes soziales Netz eingebunden.

Mehr Liebe in der Familie gleich weniger Schlägereien am Bahnhof?

Gewissermaßen ja, klingt einfach, ist aber schwierig. Oft werden die Lösungen sozialer Probleme von der Öffentlichkeit in der Justiz und in höheren Strafen gesucht. Aber die Lösungsansätze liegen nach meiner persönlichen Meinung ganz woanders, nämlich im sozialen Bereich. Wo Familien ihre Kinder nicht auffangen können, muss mehr Sozialarbeit geleistet werden. Vor allem muss ganz früh bei den Kindern Hilfestellung geliefert werden und nicht erst dann, wenn sie straffällig werden.

Wieso schreiben Sie eigentlich unter einem anderen Namen?

Gladow ist mein Mädchenname, unter dem ich auch vor vielen Jahren anfing zu schreiben. Ich finde es auch nicht schlecht, durch die Wahl eines Pseudonyms mein Leben als Autorin von dem der Staatsanwältin abzugrenzen.

Was unterscheidet die beiden?

Sandra Lohfeldt ist sehr sicherheitsliebend, sehr korrekt und schätzt ihren sicheren Job. Sandra Gladow ist da viel risikobereiter, möchte kreativ sein und da geht es eher chaotisch zu. Man könnte sagen, es gibt zwei Varianten meiner Persönlichkeit.

Sie sind ein eineiiger Zwilling, gibt es Sie da nicht ohnehin schon doppelt?

Das stimmt. Meine Schwester und ich sind im Grunde auch zwei Varianten einer Persönlichkeit. Mein Wunsch zu schreiben hat sicher auch immer damit zu tun, dass man als eineiiger Zwilling nach Unverwechselbarkeit und Individualität strebt. Früher hieß es immer nur: Das ist typisch die Zwillinge. Man hatte gar keinen Vornamen! Und vielleicht habe ich daher das Bedürfnis, mir mit dem Schreiben eine Lebensberechtigung zu schaffen, etwas, dass mich von anderen unterscheidet und niemand mit meiner Schwester assoziieren kann.

Und was unterscheidet Ihre Romanheldin, die Staatsanwältin Anna Lorenz, von der Staatsanwältin Lohfeldt?

Anna Lorenz hat viel längere Beine, die habe ich mir gegönnt. Außerdem buhlen gleich zwei Männer, Kommissar Bendt und Annas Jugendfreund Georg, um Annas Gunst. Ich bin nur mit einem Mann glücklich liiert. Im Übrigen verbindet Anna Lorenz und mich natürlich der Beruf und das ähnliche soziale Umfeld, ihre Schicksale sind aber sehr unterschiedlich.

Warum haben Sie eigentlich Jura studiert, wenn Sie sagen, Sie wollten schon immer kreativ arbeiten?

Ich wollte ursprünglich nicht Juristin, sondern Journalistin werden, insofern hatte mein Studium durchaus eine kreative Zielrichtung. Allerdings bin ich entgegen meines ursprünglichen Vorhabens irgendwie an der Juristerei hängen geblieben und heute dankbar für meinen sehr spannenden Beruf.

Sind Sie von der Uni direkt in die Staatsanwaltschaft gekommen?

Nein, ich war vorher Anwältin für Markenrecht in einer großen Kanzlei mit Blick auf die Alster und einem dicken Gehalt. Aber das hat mich ehrlich gesagt nicht ausgefüllt. Bevor ich dann in Hamburg zur Staatsanwältin ernannt wurde, habe ich unter anderem auch als Strafverteidigerin gearbeitet.

Würden Sie Ihren Job denn aufgeben, wenn Sie vom Schreiben leben könnten?

Also, ich glaube ab einem bestimmten Punkt ja. Wenn man wirklich das Privileg hat und wie C. K. Rowling mehrere Millionen verdient, glaube ich nicht, dass man jeden Tag in die Behörde geht, sondern sich anderen, zum Beispiel karitativen Aufgaben widmet. Aber das ist ja schon eine sehr theoretische Aussicht.

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