Kommentar Tarifabschluss: Schuldfrage falsch gestellt
Die Personalkosten in Städten und Gemeinden sind nicht schuld an der Haushaltslage. Der Tarifabschluss ist vertretbar, mit den Folgen müssen wir leben.
S chon interessant, wie sich der Ton in der öffentlichen Debatte dreht: „Bsirske rechtfertigt Tarifabschluss im öffentlichen Dienst“, titeln die Agenturen, gerade so, als habe der Gewerkschaftschef von Ver.di etwas moralisch Fragwürdiges durchgesetzt.
Die Kommunen tuten ins gleiche Horn: Der Druck, Personal abzubauen, werde mit dem Tarifabschluss steigen, heißt es. Ein Städteverbandschef weist sogar auf die Behindertenhilfe hin, deren Finanzierung die Kommunen nun erst recht gerne an die Bundesregierung abgeben würden. Auf subtile Weise werden so Schwache gegen Schwache ausgespielt. Verteilungsfragen solcherart zu kanalisieren und Schuldzusammenhänge zu konstruieren, das stellt einen Versuch dar, die öffentliche Meinung zu manipulieren.
Dabei sind die Zusammenhänge komplexer. Die Personalkosten in den Städten und Gemeinden sind nicht schuld an deren schwieriger Haushaltslage. Die Personalausgaben sind seit 1995 um zehn Prozent gestiegen, das Bruttoinlandsprodukt legte in dieser Zeit jedoch um mehr als 25 Prozent zu. Die klamme Haushaltslage der Kommunen rührt von den gestiegenen Sozialausgaben her, etwa für Hartz-IV-Empfänger, und von niedrigen Einnahmen bedingt auch durch die Steuerpolitik.
ist Inlandsredakteurin der taz.
Doch dafür sind Kitaerzieherinnen und Müllwerker nicht verantwortlich. Es ist auch nicht anzunehmen, dass hohe Personalkosten im öffentlichen Dienst jetzt einen Personalabbau beschleunigen, der nicht ohnehin stattgefunden hätte, in der Vergangenheit ließen sich keine eindeutigen Korrelationen zwischen Lohnverzicht und verlangsamtem Personalabbau feststellen.
Der Tarifabschluss ist vertretbar, mit den Folgen für Gebühren etwa müssen wir leben. Schade aber, dass es auch diesmal keine „soziale Komponente“ gibt, also einen Mindestbetrag in der Erhöhung für die unteren Einkommensgruppen. Der sozialen Frage der Geringverdiener müssen sich die Gewerkschaften mehr widmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Auflösung der Ampel-Regierung
Holpriger Versuch endgültig gescheitert
+++ Ampelkoalition zerbricht +++
Lindner findet sich spitze
Ampelkoalition zerbricht
Scholz will Vertrauensfrage stellen
Scheitern der Ampelkoalition
Ampel aus die Maus
Antisemitismus-Resolution im Bundestag
Kritik an Antisemitismus-Resolution
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz