Kolumne Habseligkeiten: Laufsocken, runtergesetzt
Schuhbaum, Holzangelspiel, Tchiboritis Vulgaris und natürlich Nossa, Nossa. An einem Tchibo-Geschäft vorbeilaufen, ohne hineinzugehen, geht nicht.
B einahe hätte ich diesen weißen Gartentisch mit den passenden Stühlen nach Ansicht im Internet gekauft. Nicht, weil ich diese Outdoor-Möbel unbedingt und sofort brauchte. Sondern weil ich an einer schweren und meiner Meinung nach vererbten Krankheit (Sorry, Mama) leide, die vor allem Frauen aus der deutschen Mittelschicht befällt: die Tchiboritis vulgaris.
Ich kann, vor allem seitdem ich Kinder habe, nicht an einem Tchibo-Geschäft vorbeilaufen, ohne das Bedürfnis zu verspüren, hineinzugehen. Ich kann nicht in ein solches Geschäft gehen, ohne etwas von diesen Dingen kaufen zu wollen, die dort präsentiert werden. Und ich kann dort nichts kaufen, ohne zu denken, dass der Kauf des Schuhbaums/des Holzangelspiels/des Pullovertrockners mein Leben einfacher machen wird.
Ich bin nicht die einzige, die unter dieser Krankheit leidet. Eine Kollegin, die sich stets für Underdogs einsetzt und keinem Kampf aus dem Weg geht, muss regelmäßig, also mindestens einmal am Tag, auf der Tchibo-Webseite nachsehen, was es Neues gibt. Weil sie weiß, dass ich an der gleichen Störung leide wie sie, flüstert sie mir, wenn sie an meinem Tisch vorbei läuft zu „Laufsocken. Runtergesetzt.“
Man müsste meine Hände schon anketten, damit ich nicht nachsehe, ob diese Socken etwas für mich wären. Vielleicht könnte ich schneller oder entspannter laufen, wenn ich sie hätte? Oder andersherum: Wer weiß, ob meine Leistung ohne diese Socken nicht komplett einbricht! Dann wäre es der reine Wahnsinn, sie einfach unter dem großen, roten „SALE“-Schild liegen zu lassen!
ist Redakteurin im Ressort Gesellschaft, Kultur & Medien.
Meine Nachbarin ist promovierte Psychologin, seit Jahren unterzieht sie sich einer Psychoanalyse. Vieles hat sich seitdem in ihrem Leben zum Guten gewandt. Sie bändelt nicht mehr mit den falschen Männern an, sie schreit beim Autofahren weniger herum, sie reibt sich im Job nicht mehr auf. Doch die Tchiboritis wird sie einfach nicht los. Dauernd klingelt der Paketbote und deponiert neue Kartons mit elektrischen Milchaufschäumern, bunten Jumbobechern und weißen Hochglanz-Badezimmerschränken bei uns, die sie abends freudestrahlend abholt.
Von dem ganzen Geld, das ich dem gierigen Drachen Tchibo in den Rachen werfe, könnte ich mir hin und wieder etwas Hübsches bei Manufactum kaufen. Tue ich aber nicht, weil mich jedes Mal ein Tunnelblick überkommt, wenn ich einen Handstaubsauger mit Akku sehe oder eine Küchenlampe, die man einfach in eine Steckdose setzen kann. Dass der Elektroplan unserer Altbauwohnung nur so wenige Anschlüsse vorsieht, dass Spül- und Waschmaschine nicht gleichzeitig laufen können, übersehe ich, wenn mich der Kaufimpuls packt.
Auf den Tisch habe ich verzichten können. Der Sommer, überlegte ich, wird auch ohne biedere Gartenmöbel schlimm genug. Wochenlang wird einem aus allen Ecken und Winkeln und vor allem bei jedem Tor, das während der Fußball-Europameisterschaft fällt, „Nossa, nossa“ entgegenschallen, da bleibt man besser drin. Wenn ich doch mal rausmöchte, stelle ich einfach einen ganz alten Stuhl auf die Terrasse.
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