Die Wahrheit: Vom Spreng- zum Knallkopf
Ein aktueller Lagebericht aus dem Schriftführerhauptquartier. Die ganze Welt überschüttet Günter Grass mit Nobelpreisen und plötzlich soll er der Buhmann sein.
Schweren Schrittes schleppt sich Reichstextmarschall und Flakhelfer a. D. Grass zur Lagebesprechung ins Deutsche PEN-Zentrum.
Viel Getreue sind ihm nicht geblieben: der Fahnenfähnling Strasser, der treue Collagenkapitän Staeck und vielleicht noch Walser, der buschige Admiral der „FGS Bodensee“. Alle anderen: Drecksbande geworden! Heulende Wölfe auf Geheiß der Springerpresse!
Es ist unbegreiflich: Über 50 Jahre jubelten sie ihm zu, seit er in einer Volksabstimmung der Büchergilde per Trommelwirbel zum Reichsschriftführer ernannt wurde. Jahrzehntelang hängen sie ihm ein Ordensband nach dem anderen an seine Pfeife, die ganze Welt überschüttete ihn mit Nobelpreisen und Lorbeerkränzen – und plötzlich soll er der Buhmann sein und nicht mehr der Moralapostel des Weltgeistes? Eine Unverschämtheit!
Alle zwei Minuten kommt jetzt sein Bursche ins Schriftführerhauptquartier und bringt neue Hiobsbotschaften: An der Ostfront lässt der neue Chef des Kreuzritterordens Gauck alle Blechtrommeln konfiszieren, um sie zu Trillerpfeifen umschmieden zu lassen. Die Deutsche Nordsee nimmt den Heilbutt aus dem Frischfischangebot.
Und selbst die SPD erklärt ihn, Grass, den treuen Sancho Pansa Willy Brandts, zum „poeta non grata“, zum unerwünschten Dichter. Was für eine undankbare Bande! Er weiß nicht einmal, wer aus der Sozen-Troika letztlich dahintersteckt, am Ende sind es womöglich alle, die ihn zur Schnecke machen wollen, wie um ihn nachträglich auch noch für sein berühmtes Wahlhelfertagebuch zu schmähen.
Einzig die Linke hat noch Anstand und steht zu ihm, dem gewählten Denkmal der rechtsrheinischen Kulturnation. Es geht schließlich um Krieg und Frieden. Wie bei dem Kollegen Tolstoi. Und selbstverständlich muss der Frieden erhalten werden! Klaro, denn nur in Friedenszeiten kann sich die Jugend in Muße seinem großen Oeuvre widmen und begreifen lernen, wie poetisch selbst eine Tageszeitung sein kann, wenn man einen Kommentar für ein Gedicht erklärt.
Die Durchdringung des Profanen mit der Heiligkeit des Wortes, das ist seine, Grassens, Losung und sein Auftrag in der Welt. Darin kennt er sich schließlich aus wie Gott nicht mal im Ausland. Hatte er nicht drei Stunden lang in Kalkutta der Armut ins traurige Auge geblickt und mit Beinamputierten Katz und Maus gespielt? Hatte er nicht in Bologna Huldigungen entgegengenommen, so dass von „Bologna la grassa“, der ihm geweihten Stadt, die Rede ist? Und hatte man in New Orleans mit dem „Mardi Grass“ ihm nicht einen eigenen Wochentag gewidmet?
Aber das scheint nun plötzlich seinen Volksgenossen und Volksgenossinnen egal! Denen ist es sogar schnuppepiepe, wenn schon Zwergvölker wie dieses kleine Israel anfangen, Weltkriege auszulösen. Bisher sind schließlich alle von Deutschland ausgegangen. Ein bisschen Patriotismus könnte also auch auf linksliberaler Seite nicht schaden, wenn es darum geht, ein solches Alleinstellungsmerkmal zu konservieren. Warum gibt auch die Bundeswehr ohne Not die schönsten und modernsten U-Boote an andere Armeen ab? Da muss man nicht einmal seinen Schriftstellerkollegen, den Autor von „Mein Kampf“, bemühen. Das hätte es auch unter dem Kaiser Wilhelm nicht gegeben.
Marschall Grass tritt ans Fenster und zieht die Jalousie zur Seite. Am Ende der Parnassallee erblickt er den berüchtigten Elfenbeinturm, in dem sich all die kleinen Künstlerchen und Skribenten, Groschenheftfabrikanten und Möchtegerngrößen versammelt haben. „Alles Winzlinge ohne Blick fürs Ganze. Blindschleichen bar jeder Moral!“, denkt es in ihm. Angewidert lässt er den Vorhang wieder los und hätte doch „denen da drüben so gerne eine Gardinenpredigt gehalten und Mores gelehrt“; aber 200 Meter Entfernung sind stimmlich für einen 84-Jährigen nicht mehr zu machen.
Mittlerweile hat sein Bursche weitere Papiere hereingebracht. Die Wild und Hund-Redaktion kündigt ihm sein Frischlings-Abo; der Duden-Verlag zweifelt seine Rechtschreibfähigkeiten an; und die internationale Atombehörde IAO in Wien kündigt einen Inspektionsbesuch in seinem Kommandostand an, weil der Verdacht bestehe, er setze illegal Plutonium in seinem Spreng- und Knallkopf ein.
Dann endlich schellt es an der Tür und Collagenkapitän Staeck betritt den Raum. Stolz hält er sein neuestes Unterstützerposter hoch. Es zeigt einen kleinen, aber schon schnauzbärtigen Jungen mit Flak in einem Schützengraben, auf den sämtliche Atomwaffen der Welt gerichtet sind, an deren Zündschnur ein Feuersalamander lutscht. „Soll ich das sein?“, fragt Grass. – „Wer? Der Salamander?
Nein, du bist der Junge da im Graben!“ Da ist Marschall Grass gerührt, legt dem Freund die Pfeife auf die Schulter und sagt: „Dass es das noch gibt: große Kunst! Ich danke dir für dieses Gedicht eines Heiligenbilds!“
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