Konsum: Für Mitglieder billiger

In Ottensen sorgt ein Bioladen für das gute Leben, der von einem Kollektiv geführt und von 600 Mitgliedern getragen wird.

Mitglied sein: In der "Warenwirtschaft" lohnt sich das. Bild: Ulrike Schmidt

Dass die Uhren hier anders gehen, sieht man gleich hinterm Tresen. Dort hängt ein ausrangierter Emaille-Topfdeckel als Zifferblatt an der Wand. Michael Reulecke hat die Uhr, wie viele Teile der Ladeneinrichtung, selbst gestaltet. Er kann das, schließlich hat er Tischler gelernt. Mittlerweile im vierten Jahr macht er jedoch etwas ganz anderes. „Reuli“, wie er genannt wird, betreibt zusammen mit vier FreundInnen einen kleinen Biosupermarkt in Ottensen – und zwar als Mitgliederladen.

Die „Warenwirtschaft“ ist eine Art Food-Coop mit professionellem Personal, das zugleich Firmeninhaber ist. Die Kunden können Mitglieder werden. Indem sie einen monatlichen Grundbetrag von 19 Euro bezahlen, erhalten sie die Ware etwas über dem Einkaufspreis. Knapp 600 Mitglieder hat der Laden inzwischen. „Wir sind jetzt langsam an einem Punkt angekommen, wo wir denken: Jetzt stimmt der Lohn“, sagt Reulecke. Zugleich komme der Laden allmählich an seine Grenze.

Dass der kleine Biosupermarkt zu einer Größe im Viertel geworden ist, mag an seiner warmen und familiären Atmosphäre liegen. „Wir sagen immer Einkaufsladen dazu“, sagt Vanessa Coisand, die mit ihren zwei kleinen Kindern öfters herkommt. Es gibt eine Sofa-Ecke mit Sandwich- und Kuchentheke, einem Regal mit Spielzeug und einer Stehlampe, an der die Tageszeitungen hängen. Viele Kunden verfielen ohnehin ins Klönen, sagt Reulecke.

Für die Fünf aus dem InhaberInnenkollektiv sei klar gewesen, dass sie gleichberechtigt arbeiten wollten, erzählt Reulecke: „Ohne Chefs und ohne selbst Chef sein zu müssen.“ Dazu sei es nötig, ungeheuer viel miteinander zu sprechen, und wegen der notwendigen Spezialisierung funktioniere das auch nicht 100-prozentig. Dafür habe jeder im Kollektiv seine Vorlieben: Der eine tüftele gerne an Excel-Tabellen, der andere habe eine Vorliebe für Gestaltung. Das Logo – ein Einkaufswagen im Spray-Schablonen-Design, der zugleich eine Kaffeetasse ist – entstammt dem eigenen Schöpfergeist.

Als sie mit dem Laden anfingen, war keiner der Fünf wirklich vom Fach. Sie haben Existenzgründerseminare besucht und Kurse, in denen sie lernten, wie das Gemüse zu pflegen ist. Sie lernten zwangsläufig, mit Banken zu verhandeln und holten sich am Ende ihren Kredit von 30 Privatleuten.

Die Last des Unternehmertums lasse sich gemeinsam leichter tragen, sagt Reulecke. Es sei keineswegs so, dass sich die Verantwortung im Kollektiv verflüchtige. Im Gegenteil: „Da wacht einer schweißgebadet auf und fragt: ’Haben wir eigentlich an das und das gedacht?‘“ Entschädigt werde er durch den Umgang mit der Kundschaft, die verstehe, dass jemand auch mal schlechte Laune hat.

Die Mitglieder pflegen ein ähnlich inniges Verhältnis zu ihrem Laden. „Für mich ist das ein Ort des Vertrauens“, sagt Sophie Bäumer. Zusammen mit ihrer Tochter Marie sitzt sie vor dem Kuchentresen. Ein Rest Ziegenkäse liegt vor ihr auf dem Tischchen. Hier schreibe sie selber auf, was ihre Einkäufe wiegen, und könne sich selbst ein Glas Wasser einfüllen, sagt die alte Dame. Sie mag das Selbstgemachte und den kooperativen Grundgedanken des Projekts, der auch beinhaltet, dass für Kinder unter 15 kein Mitgliedsbeitrag entrichtet werden muss. „Ich habe von dem Konzept gehört, und schon war ich entschieden, Mitglied zu werden“, sagt sie.

Ihre Tochter Marie Bäumer sieht in dem Laden „einen unheimlichen Zugewinn für den Stadtteil“. In Norddeutschland bedauert sie die Hast, mit der vieles geschehe, „dass man Druck empfindet, wenn man in der Schlange steht“. Auch wenn der „Einkaufsladen“ Ware umsetzt wie kaum ein Zweiter – tatsächlich scheinen die Uhren hier anders zu gehen.

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