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SchiffswracksKnochenwürfel aus der Tiefe

Über 2.000 Schiffswracks liegen in Elbe, Nord- und Ostsee. Die Bergung ist teuer. In Stade wird nun ein Wrack aus dem 17. Jahrhundert gezeigt.

Schlechte Sichtverhältnisse: Die Taucher ertasten die Wracks eher, als dass sie sie sehen. Bild: Roland Obst

STADE | taz Michael Luther ist nervös. Dutzende Male war er schon an dieser Stelle, doch heute kann er das Wrack einfach nicht finden. Die trübe Elbe umschwappt sein Boot „Osterhöft“. Luther guckt auf seine Geräte und gibt Kapitän Helge Repschies zackige Anweisungen: „Im Stehen finden wir es nie.“ Plötzlich taucht auf dem Monitor ein Schatten auf. „Da ist es“, ruft Luther und tippt auf den Bildschirm: „Das Wrack von Bützfleth.“

Luther, ein etwas rundlicher, gut gelaunter Mann mit weißem Bart, hat das Wrack 2007 in der Elbe nahe Stade gefunden. Seitdem ist er oft wiedergekommen, um zu prüfen, ob es von der Strömung weggespült wurde. Nun, pünktlich zum 100. Jahrestag des Untergangs der Titanic, wird das Bützflether Wrack aus dem 17. Jahrhundert Teil der „Schwedenspeicher“-Ausstellung „Versunken. Entdeckt. Gerettet“, die am 22. April in Stade eröffnet wird.

Die Entdeckung eines versunkenen Schiffes ist immer aufregend – eine Seltenheit ist sie jedoch nicht. „1.500 kartierte Wracks gibt es in der Ostsee, knapp 700 in der Nordsee“, sagt Museumsdirektor Sebastian Möllers. Meist werden die Schiffe zufällig gefunden, etwa von Sporttauchern. „Wir fahren so gut wie nie aktiv los“, sagt Florian Huber, Forschungstaucher der Kieler Universität. Stattdessen warte man auf Hinweise.

So zum Beispiel von Vermessungstechniker Luther, der den Elb-Boden mit Zeitscan-Sonar und Fächer-Echolot „in Fünf-Zentimeter-Abständen“ abtastet. Das GPS berechnet den jeweiligen Fundort sogar zentimetergenau. Auf diese Weise fand er das Bützflether Wrack in elf Metern Tiefe. Knapp 15 Meter ist es lang, drei Meter breit, aus Eichenholz. Die Forscher glauben, dass es kurz nach dem 30-jährigen Krieg gebaut worden ist.

Doch viel mehr ist nicht bekannt, denn bislang wurden nur wenige Teile aus der Tiefe geborgen und an die Wasseroberfläche gebracht. Grund hierfür sind unter anderem die schlechten Tauchbedingungen: „In der Elbe herrschen extreme Verhältnisse“, sagt Möllers. Kein Wunder: Die Sicht ist trüb – wenn man seinen Arm ausstreckt, kann man die Hand kaum noch sehen. Hinzu kommen die starke Strömung und die Tide.

Trübe Sichtverhältnisse

Christian Howe hat sich dennoch zum Bützenflether Wrack heruntergewagt. Mit einer Videokamera hat der Forschungstaucher seine Expedition gefilmt, die Aufnahmen sind auch bei Youtube zu sehen. Dort zeigen sich die trüben Sichtverhältnisse im Wasser. „Unsere Lampen haben sehr wenig gebracht. Es war mehr ein Ertasten als ein Sehen“, sagt Howe.

Neben den Tauchbedingungen, die in Elbe und Nordsee bedeutend schwieriger sind als in der Ostsee, gibt es ein weiteres Hindernis, das die Bergungen von Wracks erschwert: die hohen Kosten. Bis zu einer Viertelmillion Euro müsste man aufbringen, um ein Schiff aus der Tiefe zu holen und ausstellungstauglich zu machen. Bei zufällig gefundenen Wracks gilt das „Verursacherprinzip“, sagt Museumsleiter Möllers. Das heißt: Wenn ein Unternehmen beispielsweise eine Pipeline verlegt und dabei auf ein versunkenes Schiff stößt, muss es sich an dessen Bergung oder Konservierung beteiligen. Bei von Privatpersonen entdeckten Wracks springt dann meist die Region, das Land oder der Bund ein.

Auch die Bergung selbst ist schwierig: Das Wrack mit einem Bagger aus der Elbe zu schaufeln, funktioniert nicht. Es würde einfach zerbrechen. Stattdessen muss das Schiff in seine Einzelteile zerlegt, fein säuberlich dokumentiert und dann an Land wieder zusammengebaut werden. Die folgende Konservierung dauert dann noch einmal mindestens zehn Jahre. Sie ist wichtig, damit die Holzteile nicht ihre Form verändern oder verfaulen.

Es gibt eine Reihe von Wracks, die es in der Forschung zu einiger Berühmtheit gebracht haben: Die „Darßer Kogge“ war schon Gegenstand der Medienberichterstattung, die „Bremer Kogge“ gehört zu den bekanntesten und besterhaltensten geborgenen Schiffen in Deutschland. Doch die Archäologen rätseln: Was ist eigentlich eine Kogge? „Wir haben zwar Quellen aus den Häfen, was die Schiffe geladen hatten und woher sie kamen – wie sie aber tatsächlich aussahen, wissen wir nicht“, sagt Möllers.

Interessante Ladung

Deshalb können den Forschern selbst die kleinsten Teile Hinweise auf die frühere Lebenssituation an Bord der Schiffe liefern. Neben Teilen des Wracks selbst ist vor allem die Ladung von Interesse. Gebrauchsgegenstände wie Holzlöffel, Kannen aus Bronze, Pistolenläufe aus Metall – doch auch Würfel aus Knochen, deren Gebrauch gerade in der Hanse-Hochzeit in Mode war, haben die Forscher in zehn bis 30 Metern Tiefe geborgen. „Bei einigen Schiffen wurden Rentier-Geweihe gefunden“, sagt der Kurator der Ausstellung im „Schwedenspeicher“, Herwig Kenzler. Diese lassen auf eine skandinavische Herkunft schließen.

Die Fundstücke sind für die Forscher zur Rekonstruktion der vergangenen Zeiten von unschätzbarem Wert – umso ärgerlicher ist es deshalb, dass viele Hobby-Archäologen und Sporttaucher auf eigene Faust auf Schatzjagd gehen. „Es gibt Leute, die auf die Denkmalschutzgesetze pfeifen, die Wracks gezielt suchen und plündern“, schimpft Forschungstaucher Huber.

Dass auch in Zukunft noch viele Wracks gefunden werden, gilt als sicher. Nicht unwahrscheinlich, dass auch Luther noch einmal ein versunkenes Schiff aus einer anderen Zeit finden wird. Vor kurzem hatte er wieder einen Schatten auf seinem Monitor. Doch es war kein Wasser-, sondern ein Landfahrzeug: ein VW Lupo.

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