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Kommentar 1. MaiDie Angst vor Verdrängung politisiert

Antje Lang-Lendorff
Kommentar von Antje Lang-Lendorff

Ein Signal an den Senat: Nicht nur Linke, sondern alle möglichen Leute demonstrieren am 1. Mai gegen Gentrifizierung. Die Politik muss ein Mittel gegen hohe Mieten finden.

D ass rund um den 1. Mai in Berlin so viele Menschen zu Demonstrationen kamen wie lange nicht, lässt sich nicht mehr nur durch die Lust am Krawall erklären. Es ist die Gentrifizierung – die steigenden Mieten und die Verdrängung ärmerer Bewohner aus der Innenstadt –, welche die Leute auf die Straße treibt.

Diese inzwischen für sehr viele spürbare Veränderung schwingt als Subtext auf allen möglichen Veranstaltungen mit. Und bewirkt über die Jahre eine Repolitisierung auch des Maifeiertags.

Natürlich kann man sagen: Was regen sich die Berliner so auf? In Hamburg und München sind die Immobilienpreise viel höher. Doch das trifft nicht den Kern des Problems. Zum einen liegt das Lohnniveau in Berlin deutlich unter dem der westdeutschen Städte. Zum anderen hat die Entwicklung – anders als etwa in München – eine schwindelerregende Dynamik bekommen.

privat
Antje Lang-Lendorf

ist Co-Ressortleiterin von taz-Berlin.

In Prenzlauer Berg wurde die Bevölkerung innerhalb von fünfzehn Jahren praktisch ausgetauscht. In den angesagten Stadtteilen Kreuzberg und Nordneukölln, wo bislang auch viele Hartz-IV-Empfänger leben, ist Ähnliches zu befürchten. Wer wenig Geld hat und ausziehen muss, der wird in seinem bisherigen Umfeld kaum eine Bleibe finden. Es droht die Entheimatung.

Angesichts dieser tiefgreifenden Veränderungen in einzelnen Biografien, aber auch im Gesamtgefüge der Stadt wundert es nicht, dass neben Linksradikalen und Schaulustigen am 1. Mai alle möglichen Leute demonstrieren gehen. Das Vertrauen in die Berliner Verwaltung ist zu Recht gering: Der rot-rote Vorgängersenat hatte Gentrifizierung jahrelang allein als einen erfreulichen Prozess begriffen, der Geld in die Stadt bringt.

Dass die Entwicklung auch ein Problem darstellt, leugnete er schlicht. Die Koalition von SPD und CDU nennt die steigenden Mieten nun immerhin beim Namen – und macht vorsichtige Vorschläge, wie die Preisexplosion zu bremsen ist.

Von ihrem Erfolg hängt viel ab. Es ist ja gerade das Nebeneinander von unangepassten Leuten auf engem Raum und die von günstigen Wohnungen abhängige Subkultur, welche Berlin auch für Auswärtige interessant macht. Findet der Senat gegen die hohen Mieten kein Mittel, wird die Innenstadt langsam, aber sicher gediegen und langweilig. Das können nicht einmal die Immobilienspekulanten wollen. Mit dem Freiraum für Ärmere verspielt Berlin genau das, was der Stadt bisher ihre Attraktivität verleiht.

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Antje Lang-Lendorff
wochentaz
Teamleiterin Gesellschaft in der wochentaz. Seit 2007 fest bei der taz, zunächst im Berlin-Teil, dann in der Wochenend-Redaktion. Schwerpunkte: Soziales und Reportage.
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9 Kommentare

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  • C
    Culturedream

    Viele bekommen die Niveaureduktion im Kulturangebot Berlins nicht mit, da sie selbst als Konsumbüttel aus Kommerzstädten anreisen, die so langweilig und kulturarm sind, wie sie selbst, was für das ehemals spannende Berlin fatal ist.

  • M
    Max

    Und: die Berliner haben mehr Zeit zum demonstrieren - in München arbeiten die meisten ;-)

     

    Warum glauben alle, dass die Mieten steigen? Ist doch totaler Blödsinn. Ich habe 10 Jahre lang 850 Euro Kaltmiete im Monat bezahlt und die Miete wurde nicht erhöht - und so geht es vielen. Die wenigsten bekommen regelmässig Mieterhöhungen. D.h. bei gleicher Miete, hat man im Vergleich zum Vorjahr einen Vorteil, da die Inflation berücksichtig werden muss - d.h. Mieten wird immer billiger. Die Miete steigt nur dann, wenn man eine neue Wohnung sucht und dann die aktuelle Miete zahlt und nicht auf dem alten Mietniveau einen Vertrag hat.

     

    1990 hat 1 Liter Benzin 0,45 Euro gekostet und heute sind es 1,60 Euro

     

    Ähnlich ist es mit Lebensmitteln, Nebenkosten, Versicherungen, Krankenkassenbeiträge - es ist alles wesentlich teurer geworden, wohingehen sich die Mieten nur minimal verändert haben.

     

    Wenn die Leute nichts zu tun haben und unbedingt demonstrieren wollen, also für Lohnerhöhungen, um die Inflation abzufedern, steigende Benzinpreise und steigende Gewinne bei den Tankstellen - oder gegen die Niedrigzinspolitik der EZB.

     

    Wenn einem die minimal steigenden und rechtlich sehr stark gedeckelten Mietanstiege ein Problem sind, hat keine Ahnung oder ist dumm - sorry - das ist doch wirklich das GERINGSTE Problem von allen anderen Problemen.

     

    Was München betrifft: Es wird auch keiner gezwungen in München zu bleiben - und die wenigsten die jetzt sinnlos klagen, sind nicht mal aus München und selber durch ihren Zuzug nach München Teil des Problems.

  • M
    Marc

    Warum sollten auf Berlins Immobilienmarkt andere Gesetze gelten als anderswo auf der Welt? - Die Schonfrist ist 20 Jahre nach dem Mauerfall längst vorbei. Selbstverständlich wird es so sein, das beliebte Lagen teuer werden und unbeliebte Lagen weniger teuer bleiben.

     

    Wer das nicht wahrhaben will, wird sich noch umschauen, wie die Entwicklung weitergeht. - Dabei haben wir in Deutschland sogar noch einige Instrumente gegen Immobilienspekulation. - Zu nennen sind die hohe Grunderwerbsteuer und die 10 Jahresfrist, nach der erst ein Verkauf steuerfrei ist.

     

    Kreuzberg ist vom Randbezirk Westberlins nach dem Mauerfall zurück ins Zentrum gerückt. Wen wundert da die gegenwärtige Entwicklung? Wer nur ein bisschen über seinen Bezirks-Horizont hinausschaut, konnte diese Entwicklung vorhersehen und eine Wohnung (im Kollektiv oder als Einzelperson mit Kredit) günstig kaufen, bevor die Preise steigen.

  • KO
    Kaffee ohne Latte

    Wahnsinn wie die Kommentatoren hier die Entwicklungen in Berlin romantisieren. Sprechen hier alle vom gleichen Berlin? Die Stadt in der Menschen an das Soziale und Solidarische glauben und nicht nur an Profitmaximierung. Soll sich bald nicht nur Arbeitsleistung sondern auch Wohnen in "Billigsegmente" outsourcen?

  • S
    Sebastian

    Dass ausgerechnet die TAZ von Entheimatung spricht, ist schon unfreiwillig komisch. Vor allem bei einem Umzug von einem Stadtviertel in ein anderes. Wie klein muss denn der Horizont sein, wenn man durch einem Umzug von Neukölln in den Wedding schon entheimatet ist?

  • I
    IJoe

    "Gediegen und langweilig". Was ne Lachnummer, die Berliner "Szene": dafür demonstrieren, dass alles beim alten bleibt, sich ja nichts verändert. Weiter auf Kosten von Anderen leben, das hat die "Subkultur" drauf, und dies noch als "Künstlerdasein" zu verkaufen.

  • K
    KFR

    weiss gar nicht was Sie wollen ??

    solange das Frei-Bier ( Maibock-Anstich ) , Frei-Karten und Flüge, sowie die Eingänge auf den eigenen Konten stimmen, braucht sich die Intelluigenzia nicht um solche Belanglosigkeiten des gemeinen Plebs kümmern !

  • P
    Peter

    Ja, das wird wohl der Grund sein. Ein Stadtteil ist wohl nicht wirklich angesagt, weil dort besonders viele Hartz-IV Empfänger leben. Das Gegenteil ist wohl eher der Fall.

  • S
    Socke

    Gediengen und Langweilig? Super, endlich kann ich nach Berlin ziehen, in die Innenstadt.

    Ohne Angst zu haben von Gangs überfallen oder meine Kinder auf beschmutzte, mit Nadeln und Flaschen übersäten Spielplätze schicken zu müssen.

     

    Im übrigen kann ja jeder da wohnen bleiben - man braucht sihc nur die passende Arbeit zu suchen. Gibt keine? Dann vielleicht was anderes lernen?