CDU nach der NRW-Wahl: Die Ruhige im Erdbeben
Sein NRW-Debakel könnte Norbert Röttgens Karriere beenden. Doch die Kanzlerin hält an dem Gescheiterten fest, der sie mal beerben wollte. Denn noch nutzt er ihr.
BERLIN taz | Norbert Röttgens Mundwinkel entwickeln plötzlich ein seltsames Eigenleben. Der Gescheiterte steht im Foyer des Berliner Konrad-Adenauer-Hauses, neben ihm bilanziert die Kanzlerin in knappen Sätzen seine Niederlage. Und Röttgens Mundwinkel machen, was sie wollen. Mal rutschen sie hoch, zu einem Grinsen. Mal presst er die Lippen aufeinander, sodass sie trotzig nach unten weisen. In diesen ersten Sekunden der üblichen Nachwahlpressekonferenz, kurz nach 13 Uhr, hat der sonst stets Kontrollierte seine Mimik nicht unter Kontrolle. Seine ganze Welt ist ins Rutschen geraten.
Norbert Röttgen, 46, Bundesumweltminister und krachender Wahlverlierer in Nordrhein-Westfalen, sah sich selbst immer zu Höherem berufen. Seine Parteikarriere verlief ohne Brüche, eloquent und taktisch versiert arbeitete er stets an seinem Image eines modernen Christdemokraten. Röttgen traute sich auch Parteichef – und irgendwann Kanzler – zu. Sein Griff nach dem CDU-Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen, das sollte ein weiterer Karriereschritt sein, geboren aus der Einsicht, dass es kaum jemand in der CDU ohne starke Hausmacht ganz nach oben schafft. Doch genau dieser Plan hat seine Karriere nun vorzeitig beendet.
Röttgen duckt sich, als er redet, nicht weg: „Das war eine flächendeckende, umfassende, klare Niederlage, die ich ganz persönlich erlitten habe“, sagt er. Ab und zu spricht er von sich in der dritten Person – das fällt leichter als das ehrliche Ich. Die CDU sei weder inhaltlich „noch mit der Person des Spitzenkandidaten“ durchgedrungen. Es sei nicht gelungen, eine Wechselstimmung zu begründen. Den Landesvorsitz stellte er noch am Wahlabend, keine Viertelstunde nach den ersten Hochrechnungen, zur Verfügung.
In Düsseldorf rangeln zwei Christdemokraten um die Nachfolge von Norbert Röttgen als CDU-Landeschef: Karl-Josef Laumann und Armin Laschet. Beide waren Minister des 2010 abgewählten Regierungschefs Jürgen Rüttgers. Und beide wissen nicht, ob sie wirklich gegeneinander antreten wollen.
Entsprechend hilflos war der Auftritt, den Landesgeneralsekretär Oliver Wittke am Montag vor der Landespresse hinlegte: Fragen zur Röttgen-Nachfolge beantworte er nicht – das war die offizielle Sprachregelung der CDU. Schließlich hätten weder Landesvorstand noch Fraktion getagt, erklärte Wittke. Ob sich „andere Gremien zusammengerottet“ hätten, wisse er auch nicht. Unklar sei deshalb, ob es wie bei dem Duell Röttgen – Laschet 2010 zu einem Mitgliederentscheid über den Landesvorsitz komme.
Ein Grund für das Wahldebakel seien auch inhaltliche Schwächen der Bundespartei gewesen, findet Wittke: Die CDU habe zu stark auf Themen wie „Integrationspolitik“ oder „Energiewende“ gesetzt und den Wirtschaftsflügel vernachlässigt. (wyp)
„Kühl und neutral”
Diese schnelle Konsequenz begrüßen führende CDU-Politiker in den Gremiensitzungen am Montag. „Er hat das glattgezogen“, sagt ein Präsidiumsmitglied. „Kühl und neutral“ sei die Stimmung gewesen, „aber es war kein Scherbengericht.“ Röttgen hat, nach all den Fehlern, einen Rest von Ansehen gerettet, so die Lesart nach den Sitzungen.
Viel ist davon nicht mehr übrig. War Röttgens Freundeskreis in der Union zuvor überschaubar, ist sein Ansehen in seinem Landesverband nun gen null gesunken. In Düsseldorf nennt es der Generalsekretär der NRW-CDU, Oliver Wittke, einen Fehler, dass sich Röttgen nicht „ohne Wenn und Aber“ für Düsseldorf entschieden habe. Und spricht damit offen aus, was Unions-Spitzenleute seit Wochen hinter vorgehaltener Hand sagen. Ein NRW-Landtagsabgeordneter fordert seinen Rücktritt als Minister. Die von Röttgen Enttäuschten rächen sich – seine eigenen Leute fühlen sich im Stich gelassen.
CSU-Chef Horst Seehofer schießt per Bild-Zeitung einen Giftpfeil aus München ab. Er stellt ebenfalls die Frage in den Raum, ob Norbert Röttgen noch im Kabinett verbleiben könne. Auch Kanzlerin Angela Merkel wird das in Berlin gefragt. Ihre Antwort sagt viel über das Ansehen, das Röttgen bei ihr noch genießt.
An den Aufgaben des Umweltministers habe sich nichts geändert, sagt Merkel also. „Kontinuität ist nötig.“ Und: Es gebe viel Arbeit, „die erledigt werden muss“. Nicht mal die Andeutung eines Lobes kommt ihr über die Lippen, ebenso wenig der Name desjenigen, der zwei Meter neben ihr steht. Merkel macht lieber mit einem geschwächten Minister weiter, als Unruhe zu produzieren.
Suggerierte Normalität
Die Kanzlerin reagiert an diesem Montag so, wie sie es immer tut. Noch im stärksten christdemokratischen Erdbeben schafft sie es, Normalität zu suggerieren. „Eine bittere, schmerzhafte Niederlage“ sei das Ergebnis. Und erkennt dann sofort etwas Gutes in dem Debakel. Die FDP habe „recht gut abgeschnitten“, was Merkel zweierlei schlussfolgern lässt. Erstens sind die Freidemokraten – anders als viele Journalisten schrieben – keineswegs chancenlos. Zweitens zeige dies, so Merkel, „wie schnell sich die Dinge ändern können“.
Was sie nicht sagt: Den Erfolg der FDP in NRW verdankt diese Wählern, die der CDU davonliefen. Wenn sich das konservative Lager im Bund ebenfalls wie kommunizierende Röhren verhält, ist Merkels Taktik, den bürgerlichen Partner über die Fünfprozenthürde zu hieven, in Wirklichkeit eine Gefahr.
Auch ein zweiter bundespolitisch relevanter NRW-Effekt deutet sich bereits an. Der enttäuschte NRW-Mann Wittke fordert ein schärferes wirtschaftspolitisches Profil seiner Partei. Zudem dürfe die CDU nicht vergessen, wofür sie früher gestanden habe – etwa ein christliches Menschenbild. Eine Neuauflage der Profildebatte in der Union, bei der sich enttäuschte Konservative gegen ihren Modernisierungskurs stemmen, wäre eine Belastung für Merkel kurz vor dem Bundestagswahlkampf.
Nichts soll kleben bleiben
Dies vorausahnend, hat sie mit aller Macht an der Brandmauer gebaut. Nichts von der Niederlage in Nordrhein-Westfalen, so das Kalkül, soll an ihr kleben bleiben. Kühl hatte sie Röttgen in der vergangenen Woche öffentlich zurechtgewiesen, als er die Wahl zu einer Abstimmung über ihren Europakurs umdeutete. Und Verbündete wie Generalsekretär Hermann Gröhe setzten sofort nach der Wahl den gleichen Spin – eine Landtagswahl ist eine Landtagswahl.
Die Kanzlerin ist sicher, dass die Brandmauer hält. Zur Tradition der CDU gehöre, sagt sie noch, dass Niederlagen „gemeinsame Niederlagen sind“. Die Absicht ist durch und durch rational: Es ist sinnlos, einen sowieso Beschädigten noch stärker zu beschädigen. Schließlich braucht die Kanzlerin den Gescheiterten noch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein