Kommentar Linkspartei: Bartschs Bürde
Am Tag nach Lafontaines Abgang sucht die „Linke“ jetzt den „Dritten Weg“. Führen muss der jedenfalls endlich in eine Richtung: Nach vorne.
A m Tag danach ist viel vom Scheitern Oskar Lafontaines die Rede - an sich selbst, seinen Vorstellungen von innerparteilicher Demokratie, an den von ihm erklärten Bedingungen einer möglichen Kandidatur. Aber es ist ebenso schnell klar geworden: der Rückzug des Saarländers ist alles andere als ein Vorteil für Dietmar Bartsch im Konflikt um die Spitze der Linken und den Kurs der Partei.
Die Anhänger Lafontaines werden es dem Mecklenburger nicht verzeihen, dass ihr politischer Hoffnungsträger die Bewerber-Flinte ins innerparteiliche Korn geworfen hat. Dass Lafontaine nur unter Bedingungen kandidieren wollte, Bartsch es hingegen ohne Bedingungen schon frühzeitig getan hat, ist so richtig, wie es nun aber nur noch für Parteihistoriker eine Rolle spielt.
In der für die Auseinandersetzungen in der Linken wichtigen Alltagserinnerung bleibt vielen etwas anderes hängen: dass der Mann, den sie für den besten Wahlkämpfer und einen Garant der Westerfolge der Linken halten, sein „Angebot, wieder bundespolitische Aufgaben zu übernehmen“ komplett storniert hat. Wegen Bartsch! Jedes künftige Wahlergebnis wird von ihnen mit diesem Stempel versehen: „Mit Oskar wäre mehr drin gewesen.“
Last man standing
Doch das ist nicht das einzige Gewicht, das nun bleischwer an Bartschs Kandidatur hängt. Er steht als einziger Überlebender einer Konfrontation da, die zuletzt von immer mehr Leuten in und außerhalb der Linken als die Partei existenziell gefährdender Zweikampf angesehen wurde, als ein Rennen, aus dem vielleicht irgendwer aber jedenfalls nicht die Linke insgesamt als Sieger hervorgehen werde. Umso attraktiver erschien einer wachsenden Zahl von Beobachtern und Basismitgliedern ein „dritter Weg“.
Auch diese Bürde wird Bartsch bis zum Göttinger Parteitag kaum noch los. Dem Mann, der schon im November seine Bewerbung zum Beitrag für einen notwendigen Aufbruch erklärt hat, musste in den vergangenen Tagen schon mit ansehen, dass ein solcher Aufbruch von vielen nur noch jenseits der beiden starken Männer für möglich gehalten wurde.
Nun hat sich der enttäuschte Saarländer dies im Abgang als letzten Pfeil gegen Bartsch auch noch zu eigen gemacht hat - indem er für einen „Neuanfang jenseits der bisherigen Konfrontationslinien“ warb, weil nur dieser „die derzeitige festgefahrene Situation überwinden kann“. Selbst Klaus Ernst kann sich jetzt plötzlich eine Frauendoppelspitze vorstellen.
Kipping, Schwabedissen
Mit der Kandidatur von Katja Kipping und Katharina Schwabedissen, die gleich ein ganzes Team für die Linkenspitze präsentieren, ist der „dritte Weg“ nicht mehr nur eine rhetorische Entgegnung auf den Machtkampf zwischen zwei Männern, nicht mehr nur ein bloß theoretischer Appell, einen Ausweg aus der verfahrenen Lage zu finden. Sondern sichtbares und wählbares Zeichen der Selbstbehauptung eines Teils der Linken. Klar: Frauen sind nicht schon automatisch die besseren Menschen, nicht die besseren Politiker und ob es in Göttingen für eine Frauenspitze wirklich reicht, wird man auch erst einmal abwarten müssen.
Aber es steckt in dieser Variante mehr darin als nur die Chance zu einer „guten, sympathischen Abwechslung“ (Schwabedissen). Eine Frauendoppelspitze wäre ein organisationspolitisches Signal in Zeiten eines Umbruchs, von dem auch andere Parteien gezeichnet sind, und der von der Suche nach neuen Teilhabechancen, der Verfügung über „politische Zeit“ und mehr Transparenz geprägt ist.
Eine Frauendoppelspitze wäre zudem ein ehrlicher Versuch, aus den überkommenen Schützengräben der Linken herauszufinden, die starre Fixierung auf ewige Streitfragen wie die nach der „Regierungsfähigkeit“ und den „roten Haltelinien“ zu überwinden, indem die Debatte auch personell von der Erinnerung an frühere Konflikte in der Partei gelöst wird.
Führungsdebatte repolitisieren
Vor allem aber: Mit der Kandidatur der beiden Frauen besteht die Möglichkeit, die Führungsdebatte zu repolitisieren und damit den Herausforderungen anzupassen, vor denen die Partei im fünften Jahr ihres Bestehens konfrontiert ist. Schwabedissen und Kipping stehen für ein programmatisches Moment der realen Vorwärtsbewegung, das auf dem Erfurter Parteitag nicht zum Zuge kam, weil es nicht ins Raster der strömungspolitischen Kompromisse passte.
Ihr Vorschlag, die Partei unter die große Überschrift einer „Politik um Zeit“ zu stellen, in der die Umwälzung der Bereiche Arbeit, Reproduktion, Kulturelles und Politik auf eine neue Weise verknüpft werden, könnte genau das sein, was die Linke jetzt braucht: Ansatzpunkt für eine neue, attraktive Erzählung, die über das schon Bekannte hinausweist, der etwas praktisch Utopisches innewohnt, die mit linker Reformpolitik genauso viel zu tun hat wie mit außerparlamentarischer Opposition und linker Selbstveränderung.
Oder, wie es seinerzeit in einem Parteitagsantrag unter Berufung auf Simone de Beauvoir hieß: „dem Reich der Freiheit inmitten der gegebenen Verhältnisse zum Durchbruch zu verhelfen“. Dietmar Bartsch mag einen Vorlauf durch Aufgabe des Gegners gewonnen haben. Das entscheidende Rennen steht ihm jetzt aber erst bevor.
Es sei denn, die verbliebenen Mannschaften im Wettbewerb um die Spitze und den Kurs der Linken versuchen es einmal ganz anders als in den vergangenen Wochen: Besteht nicht gerade jetzt die Möglichkeit, gemeinsam über die Ziellinie laufen?
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