piwik no script img

Kommentar LinksparteiBartschs Bürde

Kommentar von Tom Strohschneider

Am Tag nach Lafontaines Abgang sucht die „Linke“ jetzt den „Dritten Weg“. Führen muss der jedenfalls endlich in eine Richtung: Nach vorne.

Der Weg ist jetzt frei, aber die Bürde groß: Dietmar Bartsch. Bild: dpa

A m Tag danach ist viel vom Scheitern Oskar Lafontaines die Rede - an sich selbst, seinen Vorstellungen von innerparteilicher Demokratie, an den von ihm erklärten Bedingungen einer möglichen Kandidatur. Aber es ist ebenso schnell klar geworden: der Rückzug des Saarländers ist alles andere als ein Vorteil für Dietmar Bartsch im Konflikt um die Spitze der Linken und den Kurs der Partei.

Die Anhänger Lafontaines werden es dem Mecklenburger nicht verzeihen, dass ihr politischer Hoffnungsträger die Bewerber-Flinte ins innerparteiliche Korn geworfen hat. Dass Lafontaine nur unter Bedingungen kandidieren wollte, Bartsch es hingegen ohne Bedingungen schon frühzeitig getan hat, ist so richtig, wie es nun aber nur noch für Parteihistoriker eine Rolle spielt.

In der für die Auseinandersetzungen in der Linken wichtigen Alltagserinnerung bleibt vielen etwas anderes hängen: dass der Mann, den sie für den besten Wahlkämpfer und einen Garant der Westerfolge der Linken halten, sein „Angebot, wieder bundespolitische Aufgaben zu übernehmen“ komplett storniert hat. Wegen Bartsch! Jedes künftige Wahlergebnis wird von ihnen mit diesem Stempel versehen: „Mit Oskar wäre mehr drin gewesen.“

Last man standing

Doch das ist nicht das einzige Gewicht, das nun bleischwer an Bartschs Kandidatur hängt. Er steht als einziger Überlebender einer Konfrontation da, die zuletzt von immer mehr Leuten in und außerhalb der Linken als die Partei existenziell gefährdender Zweikampf angesehen wurde, als ein Rennen, aus dem vielleicht irgendwer aber jedenfalls nicht die Linke insgesamt als Sieger hervorgehen werde. Umso attraktiver erschien einer wachsenden Zahl von Beobachtern und Basismitgliedern ein „dritter Weg“.

Auch diese Bürde wird Bartsch bis zum Göttinger Parteitag kaum noch los. Dem Mann, der schon im November seine Bewerbung zum Beitrag für einen notwendigen Aufbruch erklärt hat, musste in den vergangenen Tagen schon mit ansehen, dass ein solcher Aufbruch von vielen nur noch jenseits der beiden starken Männer für möglich gehalten wurde.

Nun hat sich der enttäuschte Saarländer dies im Abgang als letzten Pfeil gegen Bartsch auch noch zu eigen gemacht hat - indem er für einen „Neuanfang jenseits der bisherigen Konfrontationslinien“ warb, weil nur dieser „die derzeitige festgefahrene Situation überwinden kann“. Selbst Klaus Ernst kann sich jetzt plötzlich eine Frauendoppelspitze vorstellen.

Kipping, Schwabedissen

Mit der Kandidatur von Katja Kipping und Katharina Schwabedissen, die gleich ein ganzes Team für die Linkenspitze präsentieren, ist der „dritte Weg“ nicht mehr nur eine rhetorische Entgegnung auf den Machtkampf zwischen zwei Männern, nicht mehr nur ein bloß theoretischer Appell, einen Ausweg aus der verfahrenen Lage zu finden. Sondern sichtbares und wählbares Zeichen der Selbstbehauptung eines Teils der Linken. Klar: Frauen sind nicht schon automatisch die besseren Menschen, nicht die besseren Politiker und ob es in Göttingen für eine Frauenspitze wirklich reicht, wird man auch erst einmal abwarten müssen.

Aber es steckt in dieser Variante mehr darin als nur die Chance zu einer „guten, sympathischen Abwechslung“ (Schwabedissen). Eine Frauendoppelspitze wäre ein organisationspolitisches Signal in Zeiten eines Umbruchs, von dem auch andere Parteien gezeichnet sind, und der von der Suche nach neuen Teilhabechancen, der Verfügung über „politische Zeit“ und mehr Transparenz geprägt ist.

Eine Frauendoppelspitze wäre zudem ein ehrlicher Versuch, aus den überkommenen Schützengräben der Linken herauszufinden, die starre Fixierung auf ewige Streitfragen wie die nach der „Regierungsfähigkeit“ und den „roten Haltelinien“ zu überwinden, indem die Debatte auch personell von der Erinnerung an frühere Konflikte in der Partei gelöst wird.

Führungsdebatte repolitisieren

Vor allem aber: Mit der Kandidatur der beiden Frauen besteht die Möglichkeit, die Führungsdebatte zu repolitisieren und damit den Herausforderungen anzupassen, vor denen die Partei im fünften Jahr ihres Bestehens konfrontiert ist. Schwabedissen und Kipping stehen für ein programmatisches Moment der realen Vorwärtsbewegung, das auf dem Erfurter Parteitag nicht zum Zuge kam, weil es nicht ins Raster der strömungspolitischen Kompromisse passte.

Ihr Vorschlag, die Partei unter die große Überschrift einer „Politik um Zeit“ zu stellen, in der die Umwälzung der Bereiche Arbeit, Reproduktion, Kulturelles und Politik auf eine neue Weise verknüpft werden, könnte genau das sein, was die Linke jetzt braucht: Ansatzpunkt für eine neue, attraktive Erzählung, die über das schon Bekannte hinausweist, der etwas praktisch Utopisches innewohnt, die mit linker Reformpolitik genauso viel zu tun hat wie mit außerparlamentarischer Opposition und linker Selbstveränderung.

Oder, wie es seinerzeit in einem Parteitagsantrag unter Berufung auf Simone de Beauvoir hieß: „dem Reich der Freiheit inmitten der gegebenen Verhältnisse zum Durchbruch zu verhelfen“. Dietmar Bartsch mag einen Vorlauf durch Aufgabe des Gegners gewonnen haben. Das entscheidende Rennen steht ihm jetzt aber erst bevor.

Es sei denn, die verbliebenen Mannschaften im Wettbewerb um die Spitze und den Kurs der Linken versuchen es einmal ganz anders als in den vergangenen Wochen: Besteht nicht gerade jetzt die Möglichkeit, gemeinsam über die Ziellinie laufen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • B
    brikan

    Es ist wie im Fernsehen.Parteien werden nicht wegen ihrer Ziele oder Programme gewählt sondern wegen dem Moderator.Wenn man so die Kommentare liest(bei verschiedenen Blog's) sind über 80% für eine Partei die soziales Unbehagen abschwächt oder beseitigt.Quasi die Linke.Aber da Jauch nicht zur Verfügung steht bleiben wir bei Mutti und den Steinen was wir kriegen wissen wir nicht aber was wir hatten ,armes Deutschland.Mangelnde Flexibilität wird eingeworfen ???? Gute Ziele haben auch in der Zukunft bestand.

  • SF
    Sissy Fuß

    @Bernd Goldammer: Guten Morgen. Die Variante „Kipping/Schwabedissen“ wird nicht von der taz ins Spiel gebracht, sondern von ihnen selbst. Es sind auch nicht nur diese beiden, sondern insgesamt sechs, die als neues Führungsteam antreten wollen – vier Frauen und zwei Männer. Und widerlich sind hier höchstens Ihre Ressentiments.

  • M
    max

    ich freu mich über den vorschlag von schwabedissen und kipping.

    @ bürger 1972: wer die linkspartei nicht mag, brauch nicht die entsprechenden Artikel zu lesen, geschweige denn kommentieren.

    @ bernd goldammer: na klar, kipping ist bartsch in weiblich. dümmer geht's nicht mehr. der taz hier verschwörungsgedanken anzudichten ist wirklich absurd. oskar als alleiniger heilsbringer? sorry, hat nicht geklappt.

  • BG
    Bernd Goldammer

    Kipping ist das weibliche Pendant zu Bartsch und an Schwabedissens Horizont werden sich viele den Schädel einhauen. Das die TAZ nun diese Beiden ins Gerede bringt, trägt die Züge eines widerlichen Kalküls.

  • B1
    Bürger 1972

    Sory, aber wer braucht "Die Linke"? Ich würde sie sicherlich nicht vermissen. Also lasst sie doch vor sich hinwurschteln!

  • D
    Detlev

    Es ist naiv, was Tom Strohschneider hier schreibt: Die Frauendoppelspitze wird nicht 12 Monate halten, sondern erste Debatten würden wahrscheinlich nach den drei Anstandsmonaten beginnen und erst mit einem Wahlerfolg wieder aufhöhren, der freilich nicht so leicht kommen wird, denn die Linke schwächelt. Das ist der Ist-Zustand. Und es sieht danach aus, als wenn dieser andauern würde, denn eins ist doch klar: Protestwahl 2012 heißt Piraten, nicht Linke. Die Partei hat Konkurrenz und die SPD macht einen auf lieb-links.

  • A
    Arne

    Gewagte These, die auch vollständig unbelegt bleibt, dass die Wähler der Linken im Westen, die bei den letzten Landtagswahlen zu Hause geblieben sind, zur Wahl gegangen wären, wenn zwei Frauen die Partei geleitet hätten.

    Die Linke kratzt an dem ab, an dem auch schon die DDR verstorben ist: Mangelnde Flexibilität. Mit Themen von gestern kann man keinen Wahlkampf von heute gewinnen. Evtl. wäre es sinnvoller, sich mal die anderen linken Parteien in Ausland anzugucken, wie die das machen. Eine weibliche Doppelspitze sehe ich da nirgendwo.