piwik no script img

Kommentar InklusionEin trauriges Exempel

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Inklusion gelingt nicht auf Knopfdruck und bringt viele der an Schule Beteiligten an ihre Grenzen. Deshalb ist es so wichtig, dass die Schulen ausreichend Fachpersonal bekommen.

I n der Schulbehörde gibt man diesem zehnjährigen Kind keine Chance. Es ist bei weitem nicht das einzige Kind mit Asperger-Syndrom, in anderen Fällen wurde eine Schulbegleitung und das nötige pädagogische Setting organisiert.

Sicher, die Inklusion bringt viele der an Schule Beteiligten an ihre Grenzen. Die Schulen brauchen das nötige Personal, müssen Erfahrungen sammeln, Konzepte und Know-how entwickeln, das geht nicht reibungslos und auf Knopfdruck.

Aber hier will man den Versuch nicht wagen, das Kind in Begleitung einer Assistentin in der Schule zu lassen. Die Frage, ob das Kind wirklich auch dann noch für andere gefährlich ist, sollte nicht gestellt werden, bevor ein dementsprechendes Gutachten vorliegt. Kindern mit Förderbedarf mit dem Katalog für Ordnungsmaßnahmen zu kommen, ist falsch.

Mit dem Verweis auf die Landesgrenze könnte die Behörde formal im Recht sein. Aber Hamburg nimmt Gastschüler aus Niedersachsen auf. Für sie dürfen keine schlechteren Bedingungen gelten. Hier muss eine Lösung her, im Sinne des betroffenen Kindes.

Diese Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, dass die Schulen für die Inklusion ausreichend Fachpersonal bekommen. Aber es geht auch um Haltung. Wird dieser Junge aussortiert, würde ein trauriges Exempel statuiert.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • M
    Müller

    Bereits im Jahr 2010 berichtete die taz unter dem Titel "Schulverbot für Adrian" über einen damals 11jährigen (heute 13 Jahre alt), der bereits ab Oktober 2007 wegen angeblicher "Verhaltensauffälligkeiten" über Jahre hinweg nicht beschult worden ist. Insgesamt 34 1/2 Monate konnte der schüchterne, ängstliche A. keine Schule besuchen. Sein Schulamt in Hessen gab vor, dass die Schulpflicht ruhte (im juristischen Sinne war das nicht so)und drohte schrftl. an, die Schulpflicht erneut zum Ruhen zu bringen, sollte der Junge es wagen eine Schule zu betreten. Es gab keinen rechtsmittelfähigen Bescheid - den gab es erst, als A. nach Ostern 2009 von den Eltern zur Schule gebracht wurde und dort um Beschulung bat. 3 Tage später (A. war schon 18 Monate ohne Bescheid ausgesperrt), kam ein neuer - nun klagefähiger - Bescheid "Ruhen der Schulpflicht". Nach der Wiederbeschulung im August 2010 (mit I-Helfer) wurde das Kind nach 11 Wochen erneut ausgesperrt - nunmehr ganz offen mit u.a. der Begründung: Eltern misstrauen der Schule, schlechte Schulleistungen des Jungen (auch in Sport (!) ) Hingegen sei sein Benehmen tadellos (!) Der Schulleiter kündigte zunächst an, er werde A. nicht mehr beschulen, weder mit noch ohne I-Helfer.

    A. traut sich seitdem nicht mehr in eine Schule dort vor Ort. Er war 6 Monate in einer Kinder-Reha (ohne Eltern, über die Renten-Vers. der Eltern), dort bekam er ausgezeichnete Schulleistungen bescheinigt, ebenso tadelloses Verhalten, wenngleich sehr ängstlich und schüchtern. Auch gegenwärtig wird A. nicht beschult. Es fehlen diesem 13jährigen mittlerweile mehr als 4 Schuljahre. Ein Antrag des Jungen auf Internatsunterbringung, seine einzige chance, noch eine Schulausbildung zu vollenden, lehnte das zuständige Jugendamt ab. Eine Teilhabebeeinträchtigung sei nicht feststellbar (!). Das Verwaltungsgericht arbeitete einseitig auf Seiten des Jugendamtes (!).

    A.'s Eltern haben für den Sohn inzwischen Amtshaftungsklage gg. das Land Hessen eingeleitet. Es geht um einen mindestens 5stelligen Betrag zum Schadenersatz und Schmerzensgeld für den Jungen. Zudem eine vollständige Rehabilitation für die jahrelange falsche Behauptung, der Junge sei ein unbeschulbarer Chaot.

    A.'s Fall wurde am 17.Mai 2011 veröffentlicht im "Grundrechte-Report 2011", fischer verlag, Berichterstatter ist Herr Ulrich Engelfried, Familienrichter am Amtsgericht Hamburg-Barmbek.

  • B
    Britta

    Ich möchte Frau S. den Mut zusprechen, nicht aufzugeben. Ihr Sohn kann zur Regelschule gehen, wenn er das will. Ich arbeite auch Integrationshelferin. Bevor ich eingestellt wurde, hat es wesentlich mehr Vorfälle gegeben als bei ihrem Sohn John.

    Siet ein paar monaten ist es merklich ruhiger in unserer Klasse geworden. Ich sehe das Problem eher da, seinen Mitschülern und auch deren Eltern adäquat zu erklären, was mit John los ist.

    Bei der Arbeit mt autistischen Kindern ist es enorm wichtig, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen.

    Ich sehe weniger das Problem, die Klasse vor John zu beschützen, als ihn vor seinen Klassenkameraden.

    Sind die raus geflogen, weil sie (wie er erzählt hat) John geschlagen haben? Hat der Junge der John beschimpft hat, irgendeine Konsequenz bekommen und sei es nur ein klärendes Gespräch?

     

    John ist meiner Meinung nach viel zu schnell abgestempelt worden.

    Meiner Meinung nach sollte die Schule eher mal ihr Unterrichtskonzept auf Toleranz und Humanität prüfen.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Kein gutes Omen

    Ein gehandicapzes Schulkind von der Schule zu verweisen,zeigt nicht gerade dass der AStandort Deutschland ein behindertenfreundlicher Staat ist.

    Inklusion hin und her,nur diese findet keine Anwendung.

    Wie steht es eigentlich mit der ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention?

    Wehret den Anfängen.Eltern,Schüler,Politiker,Kirchen,Gewerkschaften,alle gesellschaftlichen Gruppierungen sind hier gefragt und aufgerufen,ein deutliches NEIN ,was das Verweisen eines gehandicapten Schülers betrifft, entgegen zu setzen.

    Mit einer einstweiligen Anordnung ,die Einschaltunmg des Peditionsausschußes,die Anrufung des Europäischen Menschengerichtshofes sollten ein Zei chen sein,dass man sich wehrt gegen über doktrinistischen Entscheidungen.

  • S
    Splitterraum

    Um es kurz zu fassen: Wir werden in den nächsten Jahren Dutzende solcher Beispiele erleben. Und das, obwohl Inklusion mit allen ihr folgenden Pflichten verbindlich ist. Inklusion ist nicht Bittstellung, sie ist rechtlich verbindlich. Nachteilsausgleich dito.

     

    Damit sind Rückzugsräume, Schulbegleitung u. v.a.m., so sie nicht vorhanden sind, Pflichtverletzungen. Das Budgets und Ausbildung in dieser Sache fehlen, ist dabei genau so wenig den Eltern anzulasten, wie fehlende Einsicht der Behörden und Institutionen.

     

    Sich als Eltern in diesem Leid noch diesen unzureichenden Rahmenbedingungen stellen zu müssen und so etwas wie das hier Geschilderte ertragen zu müssen, ist nicht nur traurig. Es ist absurd.

     

    Aber eben auch Wirklichkeit.

    Wir werden uns dagegen wehren.