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Unterbesetzte AusländerbehördeBares für Flüchtlinge

Lebensmittelgutscheine sollen die Ausnahme bleiben. Alles gut ist damit dennoch nicht: Viele bekommen kein Geld, weil das Ausländeramt sie warten lässt.

Mit steilen Treppen und anderen Hürden begrüßt Bremens Ausländeramt seine Kunden. Bild: jpb

Lebensmittelgutscheine für Flüchtlinge sollen in Bremen die absolute Ausnahme bleiben. Dies stellte jetzt die Sozialbehörde klar. Zuvor hatte ein Rechtsanwalt öffentlich gemacht, dass eine Mandantin von ihm das ihr zustehende Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Form von Gutscheinen ausgezahlt bekommen soll. „Der Fall ist noch nicht abschließend geklärt“, sagte gestern der Sprecher der Sozialbehörde Bernd Schneider. Grundsätzlich komme es aber nur sehr selten vor, dass Gutscheine gerechtfertigt seien, „etwa wenn jemand wiederholt das Geld verloren hat“. Die Sozialzentren seien daran erinnert worden, so Schneider. „Das soll nicht zur Regel werden.“

Flüchtlingsorganisationen nahmen die Nachricht erleichtert auf. Bremen würde aus gutem Grund auf diese in anderen Ländern gängige Praxis verzichten, sagt Gundula Oerter von der Flüchtlingsinitiative Bremen. „Das ist schlicht menschenverachtend“, findet sie. Die „Kostenübernahmescheine“ könnten nicht überall eingelöst werden, man könne mit ihnen weder Briefmarken, Zeitungen oder Medikament kaufen, sondern nur das nötigste für den Lebensunterhalt. „Das heißt, dass diese Menschen noch nicht einmal als Konsumenten mit anderen gleich gestellt sind.“

Zudem bekämen die Betroffenen mit Gutscheinen weniger Geld, weil die Geschäfte nicht mehr als zehn Prozent des Wechselgeldes auszahlen müssten. Dabei ist die staatliche Hilfe für Flüchtlinge ohnehin schon niedrig. Sie liegt ein Drittel unter dem, was Arbeitslose erhalten. Marc Millies vom Flüchtlingsrat Bremen teilt Oerters Kritik an den Gutscheinen und ist froh darüber, dass Bremen diese nicht ausgibt. Mit einer Ausnahme: Wer in eine eigene Wohnung zieht, bekommt die Anschaffung von Möbeln bezahlt – in Form von Gutscheinen, die bei Gebrauchthändlern eingelöst werden können. „Das erschwert oft das Einrichten einer Wohnung, weil man darauf angewiesen ist, dass in einem Möbellager alles da ist, was man braucht.“

Jan Sürig, Anwalt der aus dem Irak stammenden und gerade aus Syrien geflohenen Frau, hat jetzt Widerspruch eingelegt gegen den Gutschein-Bescheid der Sozialbehörde. 554,97 Euro stehen der 1978 geborenen Frau für sich und ihre drei Kinder im Monat Juni zu. Und selbst das hatte ihr der Sachbearbeiter erst bewilligt, nachdem Sürig das in ihrem Auftrag verlangt hatte. „Sie sollte erst gar nichts bekommen, weil sie ihre Duldung noch nicht schriftlich vorweisen konnte.“

Dieses Problem betrifft nach Einschätzung der Flüchtlingsorganisationen viele Menschen. Der Grund ist die seit Jahren unterbesetzte Ausländerbehörde, bei der Flüchtlinge derzeit bis zu drei Monaten auf einen Termin warten müssen, um ihre Aufenthaltserlaubnis zu erhalten oder auch nur zu verlängern. „Zu uns kommen immer wieder Leute, die deswegen einen Job verlieren“, sagt Oerter von der Flüchtlingsinitiative. Andere bekämen keine Versichertenkarte, mit der sie zum Arzt gehen können oder haben keine Möglichkeit, sich eine Geburtsurkunde für ihr Baby ausstellen zu lassen, wie Holger Dieckmann berichtet, der in einem Gesundheitsprojekt der Inneren Mission arbeitet.

Den MitarbeiterInnen in den Sozialzentren sei das Problem bekannt, sagt Bernd Schneider von der Sozialbehörde. „Die haben die klare Weisung, für das Problem nicht die Flüchtlinge verantwortlich zu machen. Die sollen ihr Geld bekommen.“ Bis es soweit sei, sagt Millies vom Flüchtlingsrat, „müssen wir ziemlich viel telefonieren. Und wir wissen nicht, wie viele sich keine Hilfe suchen.“

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