Eurokrise und Neuwahlen in Griechenland: Die täglichen Katastrophen
Angst vor einem Rausschmiss aus dem Euroraum hat der Buchhändler Peter Zachanides vor den Wahlen nicht: „Ich habe eh nichts mehr zu verlieren“.
THESSALONIKI taz | Sie lassen den Tag mit einer entspannten Unterhaltung angehen. Sechs bis sieben Männer mittleren Alters sitzen in einem kleinem Café an der Uferpromenade von Thessaloniki zusammen. Gerade haben sie ihre Kinder zur nahe gelegenen Schule gebracht, die Stimmung ist gut.
Früh aufzustehen sei schon lange kein Problem mehr, witzelt einer in der Runde, schlafen könne man ja anschließend im Geschäft. Es kämen ja eh keine Kunden. „Das Treffen morgens, mit den anderen Vätern“, konstatiert Peter Zachanides, „ist für uns so etwas wie Psychotherapie. Da können wir etwas Frust ablassen, bevor wieder die täglichen Katastrophen beginnen.“
Peter Zachanides ist Buchhändler. Er hat in Thessaloniki ein Alleinstellungsmerkmal, denn er betreibt die einzige deutsch-griechische Buchhandlung der Stadt. Sein Laden liegt im Stadtzentrum, nur eine Querstraße zur großen Promenade am Meer. Doch die gute Lage bringt nichts, bringt nichts mehr. Die seit drei Jahren andauernde griechische Wirtschafts- und Finanzkrise hat auch für sein Geschäft katastrophale Folgen.
„Mein Umsatz ist auf ein Viertel des Volumens der Vorkrisenzeit geschrumpft. Gewinne mache ich schon lange nicht mehr“, berichtet Zachanides. Zwei Angestellte musste er entlassen, seine Krankenversicherung hat er gekündigt. Die ständig steigenden Steuern kann er auch nicht mehr bezahlen.
Als die Regierung eine Sondersteuer für Immobilien auf die Stromrechnung aufschlug, damit die Leute sie auch wirklich bezahlen, hat Zachanides eben auch aufgehört, die Stromrechnung zu bezahlen. „Bis jetzt haben sie das Licht noch nicht abgedreht. Aber ich warte jeden Tag darauf.“
Kein Geld für Schulbücher
Auch in der Schule seiner Kinder bestimmt längst die Krise den Alltag. „Der Staat kommt gerade noch für das Gehalt der Lehrer auf, um alles andere müssen wir uns selber kümmern.“ Zachanides organisiert mit anderen Vätern einen Putzdienst für die Schule, für Bücher und andere Lehrmittel müssen die Eltern sammeln.
Das ist doppelt schmerzhaft für ihn. Denn ein Teil seiner Verluste hängt ja auch damit zusammen, dass die Schüler der traditionsreichen Deutschen Schule in Thessaloniki kein Geld mehr haben, neue Lehrbücher bei ihm zu kaufen. „Die erwerben die jetzt über das Internet in Deutschland“, sagt er – etwas ratlos, wie es weitergehen soll.
Der Buchhändler aus Thessaloniki ärgert sich maßlos über die griechischen Politiker, die dem Land diese Situation eingebrockt haben. Der Konservative Samaras und die Nea Dimokratia genauso wie Evangelos Venizelos und seine angeblich linke Pasok sind für ihn nicht mehr wählbar. Die beiden „Memorandumsparteien“, wie sie in Griechenland heißen, weil sie das Memorandum mit EU und IWF unterschrieben haben, seien schließlich maßgeblich mit für die Misere verantwortlich.
Der radikal linken Partei Syriza und ihrem neuen „Volkstribun“ Alexis Tsipras „kann man eigentlich auch nicht trauen“, sagt Zachanides, „aber ich werde ihn am Sonntag wohl trotzdem wählen. Bei den anderen weiß man genau, was sie gemacht haben, Tsipras ist dagegen eher noch ein unbeschriebenes Blatt.“ Alexis Tsipras ist der einzige Politiker, der behauptet, man könne das brutale Sparpaket der EU aufweichen und trotzdem im Euroraum bleiben.
Leere Drohungen
Dass die deutsche Bundeskanzlerin und andere europäische Spitzenpolitiker Griechenland aus dem Euro rauswerfen wollen, falls Tsipras die Wahlen gewinnt, hält Peter Zachanides wie fast alle Griechen für eine leere Drohung. Erste Meldungen, Brüssel sei bereit, nach den Wahlen das „Spardiktat für Griechenland neu zu verhandeln“, geben ihm recht.
Die Kosten eines Ausscheidens Griechenlands aus dem Euroraum könnten weit höher sein, als wenn das Land im Euroraum bleibt. Angst vor einem Rauswurf hat Zachanides ohnehin nicht mehr. „Warum soll ich davor noch Angst haben? Ich habe eh nichts mehr zu verlieren.“
Seinen Laden hat er überhaupt nur deshalb noch, weil die Immobilie seiner Schwester Lilli gehört. Und weil Lilli Icgören in Istanbul lebt, ist sie glücklicherweise auf die Miete, die ihr Bruder überweisen müsste, nicht angewiesen.
Griechische Diaspora in istanbul
Als Lilli Icgören sich vor zwölf Jahren in einen Türken verliebte und ihm in seine Heimat folgte, wurde sie noch ungläubig bis mitleidig angestaunt, berichtet die gebürtige Griechin. Mittlerweile habe sich das Bild der Griechen von der Türkei vollständig gewandelt. „Jeder Grieche, der zurzeit nach Istanbul kommt, würde am liebsten hier bleiben.“ Während Griechenland in Depression versinkt, herrscht in der Türkei Aufbruch. Und den Griechen am Bosporus geht es dabei so gut wie lange nicht.
Lilli Icgören war dabei, als vor zwei Wochen in Istanbul der griechischsprachige Verlag Istos seine Gründung feierte. Der erste griechische Verlag in Istanbul seit 50 Jahren, der wieder Bücher auf Griechisch publizieren will. Dazu passt, dass die einzige griechische Tageszeitung Istanbuls, Apoyevmatini, die seit 1925 auf vier Seiten erscheint, vor kurzem von jungen türkischen Sympathisanten vor der Pleite bewahrt wurde.
Istanbul, das die Griechen hartnäckig Konstantinopel nennen, und Icgörens Heimatstadt Thessaloniki haben eine lange gemeinsame Geschichte. 1430, noch 13 Jahre vor Konstantinopel, wurde Thessaloniki von den Osmanen erobert und blieb bis 1912 Teil des Osmanischen Reiches. Die Stadt wurde in der Zeit zum Zentrum des Balkans, der Hafen war die Drehscheibe für alle Transporte bis nach Sarajevo.
Sultan Beyazit II. sorgte mit seiner Einladung an die bedrängten spanischen Juden im 16. Jahrhundert dafür, dass Thessaloniki, das bei den Osmanen Selanik hieß, zeitweilig zur größten jüdischen Stadt Europas wurde. Heute ist Thessaloniki für viele Türken ein beliebter Ort für einen Kurzurlaub. Trotz umständlicher Visaprozeduren beteiligen sich mehr und mehr Leute an wöchentlichen Bustouren nach Selanik, um dort das Geburtshaus von Mustafa Kemal Atatürk, dem Gründervater der türkischen Republik, zu besuchen.
Umgekehrt kommen immer mehr Griechen aus Saloniki nach Istanbul. „Allerdings oft mit falschen Vorstellungen“, sagt Lilli Icgören. „Es ist ja nicht so, als würden die türkischen Arbeitgeber dringend auf die Griechen warten.“ Trotzdem ist Istanbul neben Deutschland der Hotspot für junge Griechen. „In die griechische Community ist wieder richtig Leben gekommen,“ sagt die Griechin erfreut.
Boomende Türkei
Nikos Lymberopoulos hat den Wandel im Verhältnis der beiden Länder in Istanbul erlebt. Er kann immer noch nicht glauben, wie schnell sich dieser Prozess vollzogen hat. „Als ich 2005 hierherkam“, erzählt er, „war Griechenland auf dem Höhepunkt seiner Blase und schwamm im Geld.“ Griechische Banken und Konzerne gingen in der Türkei einkaufen.
„Istanbul war für uns Entwicklungsland. Heute überleben einige griechische Banken nur deshalb, weil ihre türkischen Töchter, die sie in ihrer Boomzeit gekauft haben, als einzige noch Gewinne machen.“ Nikos Lymberopoulos kam als UN-Fachmann für erneuerbare Energien an den Bosporus und berät auch heute noch die türkische Politik bei Alternativenergie. Auch in diesem Bereich habe sich die Türkei „enorm entwickelt“, sagt er.
Ein Grieche, der genau darauf seine Hoffnungen setzt, ist Athanassios Kelemis, Chef der deutsch-griechischen Handelskammer (AHK) in Thessaloniki. Der Chef der AHK ist viel unterwegs in Griechenland, Deutschland und auch in Brüssel. „Seit 2004“, sagt er, „versuche ich Solarenergie in Griechenland populär zu machen.“ Doch obwohl Griechenland mittlerweile attraktive Bedingungen für Solarstrom bietet und das Land ein Wachstumsmarkt par excellence wäre, herrscht mehr oder weniger Stillstand.
Kein Investor ist derzeit bereit, in die Ägäis zu kommen. Deshalb hat Athanassios Kelemis seinen Blick jetzt nach Osten gerichtet. Mit dem Bürgermeister der Ägäisinsel Kalymnos hat er einen großen Solarpark verabredet, sogar Investoren aus Deutschland gäbe es, wenn denn der Absatz stimmte.
Die Lösung des Problems wäre die Türkei. Kalymnos liegt nur sechs Seemeilen vor der türkischen Küste, unweit der Touristenmetropole Bodrum. „Es wäre technisch ganz einfach, ein Kabel dahin zu verlegen und den Strom dort zu verkaufen“, sagt Kelemis schwärmerisch. Nur der türkische Stromversorger müsste noch mitmachen. Vielleicht liegt die Hoffnung Griechenlands ja doch eher im Osten als im Westen.
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