Die Wahrheit: Lateinisches Koma (Teil 2)

Ich war 17 und hatte noch nie in meinem Leben Alkohol getrunken. Weil ich mich vor den Mitschülern nicht blamieren wollte, kippte ich den Martell hinunter...

Was bisher geschah: Unser Latein-Referendar Gernot E., von uns wegen seines Aussehens „Kaktus“ genannt, hatte die gesamte Abiturklasse am Abend des 4. Dezember 1971 zu einer Party in seine Wohnung eingeladen. An der Tür begrüßte er jeden Gast mit einem Glas Cognac.

Ich war 17 und hatte noch nie in meinem Leben Alkohol getrunken. Weil ich mich vor den Mitschülern nicht blamieren wollte, kippte ich den Martell hinunter. Mir wurde schwindlig. Willensgeschwächt erklärte ich mich einverstanden, es an dem Abend mit Rotwein zu probieren. Das kam mir einigermaßen zivilisiert vor, jedenfalls schien es in den meisten Filmen so. Der Rotwein schmeckte genau so abscheulich wie der Cognac. Es war Cognac. Meine Klassenkameraden hatten mir Martell statt Rotwein ins Glas gegossen. Da ich den geschmacklichen Unterschied nicht kannte, schöpfte ich keinen Verdacht.

Während wir feierten und ich mich ins Koma soff, brannte in Montreux das Casino ab. Das war deshalb bemerkenswert, weil Frank Zappa und seine Mothers of Invention – bis heute meine Lieblingsband – an jenem Abend ein Konzert in diesem Casino gaben. Ein Fan hatte vor Begeisterung eine Signalpistole in die Decke des Casinos gefeuert, woraufhin der gesamte Komplex in Flammen aufging. Zwar kam niemand ums Leben, weil der Direktor des Montreux-Jazz-Festivals das Publikum rechtzeitig hinausscheuchte, aber das gesamte Equipment der Mothers of Invention wurde vernichtet.

Deep Purple waren zu der Zeit ebenfalls in Montreux, weil sie ihr Album „Machine Head“ im mobilen Tonstudio der Rolling Stones aufnahmen. Sie wohnten in einem Hotel, das zum Casino gehörte, und beobachteten das Feuer von ihrem Hotelfenster aus. Der dichte Rauch über dem Genfer See inspirierte sie zu dem Klassiker „Smoke on the Water“.

Die Wohnung von „Kaktus“ brannte an jenem Abend zwar nicht ab, aber Verwüstungen gab es dennoch. Der Referendar hatte uns stolz seine neue Klappcouch gezeigt, auf der ich nun saß, bis sie aus heiterem Himmel auseinanderklappte. Ich musste mich vor Schreck übergeben. Das erfuhr ich freilich erst später von meinen Mitschülern, denn an dem Abend hatte sich bereits der gnädige Schleier des Vergessens über mich gelegt.

Sie hatten auch für die Narbe auf meinem Kopf eine Erklärung: Ich sei über einen Käfer gelaufen. Und zwar über einen VW-Käfer. Zwei Klassenkameraden hatten es für eine gute Idee gehalten, mich an die frische Luft zu schleppen, weil die Kälte mich möglicherweise ausnüchtern würde. Da die beiden auch natternvoll waren, spazierten sie mit mir über das Auto. Beim Abstieg über die Motorhaube sei ich mit der Stoßstange in Berührung gekommen. Da ich inzwischen vollends das Bewusstsein verloren hatte, rief man einen Krankenwagen. Als ich nach 18 Stunden im Krankenhaus nach wiederholtem Magenauspumpen mit einem Schlauch im Mund erwachte, war in München gerade Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg auf die Welt gekommen. Das interessierte außer seiner Familie aber damals noch niemanden.

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