Neues Meldegesetz im Hauruckverfahren: Die verdächtige Eile der Koalition
Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl verteidigt die Hauruck-Novelle. Es gehe ihm nur um eine Entlastung der Ämter. Datenschützer sehen nur Wirtschaftsinteressen umgesetzt.
BERLIN taz | Der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses kennt das Geschäft. Wie Adresshändler ihr Geld verdienen, wer ihre Dienste beansprucht, wie sensibel ihre Ware – die persönlichen Daten der Bürger – ist. Denn der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach war Berater der walter services GmbH, einer Telefonmarketingfirma aus Ettlingen.
Bosbach war es, der Mitte Juni einen Brief der InnenexpertInnen von CSU und FDP erhielt. Hans-Peter Uhl und Gisela Piltz baten ihn darin, für die Sitzung des Innenausschusses am 27. Juni 2012 den durch die Koalitionsfraktionen geänderten Entwurf des Meldegesetzes „zur Beschlussfassung aufzusetzen“.
Das Gesetz, das bereits tags darauf den Bundestag passierte, legt fest, dass Werbewirtschaft und Adresshändler Zugriff auf die Datensätze der Bürgerinnen und Bürger haben – es sei denn, die Betroffenen widersprechen dem ausdrücklich.
Dieser Widerspruch jedoch gilt nicht, wenn der Adressfirma bereits Daten vorliegen hat. Das Problem: Nur die wenigsten haben noch nie online ein Buch bestellt, eine Reise gebucht oder bei einer Rabattaktion mitgemacht.
Gute Idee: Das neue Gesetz soll die unterschiedlichen Regeln der Bundesländer vereinheitlichen.
Guter Plan: Im ursprünglichen Entwurf des Bundesinnenministeriums stand, dass das Amt Meldedaten erst an Dritte weitergeben darf, wenn der Bürger zustimmt.
Schlechte Umsetzung: Laut beschlossener Fassung darf das Amt alle Daten weitergeben, außer der Bürger hat vorab Widerspruch eingelegt. Hat eine Firma bereits alte Adressen, werden diese in jedem Fall aktualisiert. Dann gibt es gar kein Widerspruchsrecht mehr.
Die Eile, mit der dieses Freifahrtgesetz für Adresshändler durchs Parlament gebracht wurde, wirkt verdächtig. Erst recht, wenn man bedenkt, dass zuvor vom Bundeskabinett eine Fassung beschlossen wurde, in der es genau andersherum geregelt war – nämlich dass die Bürger zustimmen müssen, wenn ihre Daten herausgegeben werden.
Noch verdächtiger wird es, wenn man weiß, dass laut Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zwischen der Ausschussberatung und Verabschiedung eines Gesetzes regulär zwei Tage liegen müssen.
Dass diesmal alles binnen eines Tages in trockene Tücher gebracht werden sollte – dieser Ausnahmeregelung hatte am 14. Juni der Ältestenrat zugestimmt. Dessen 25 Mitglieder aus allen Fraktionen hoben die Hand, als es darum ging, ein vom unionsgeführten Innenministerium vorangetriebenes Gesetz durchs Parlament zu jagen. Einstimmig.
Blackout bei der Opposition
Da stellt sich die Frage, wie die Opposition bei einem solch sensiblen Thema derart blind sein konnte. Und wie wenig Interesse die Abgeordneten den Wählern zutrauen an einem sensiblen Gut wie ihren persönlichen Daten.
Selbst EU-Justizkommissarin Viviane Reding hat mittlerweile kritisiert, der deutsche Staat betreibe mit diesem Gesetz „einen Ausverkauf des Datenschutzes an die Privatwirtschaft“.
Als Piltz und Uhl den Brief an Wolfgang Bosbach schrieben, war der Inhalt des Gesetzes längst ausdiskutiert zwischen den Koalitionären. In den Sitzungen der Fachpolitiker von Union und FDP seit Januar 2012 war stets auch das CSU-geführte Innenministerium vertreten.
Die Union machte dabei stets klar, dass ihr die Einwilligungslösung bei der Adressweitergabe viel zu weit gehen würde. Und dass sie stattdessen ein zentrales Melderegister einrichten will. Das aber halten die Liberalen für datenpolitisches Teufelszeug.
Unkreative Koalition
Weil aber, wie ein Anwesender berichtet, in einer innenpolitisch so tief gespaltenen Koalition kein kreativer Kompromiss möglich ist, kippte die FDP schließlich um. Man habe den Anspruch gehabt, heißt es gegenüber der taz, „dass es wenigstens nicht schlimmer wird“. Das sei „realpolitisch vernünftig gewesen“. Politik auf Augenhöhe sieht anders aus.
Es wundert also nicht, dass Hans-Peter Uhl (CSU) weiterhin selbstbewusst tönt, für ihn sei keineswegs ausgemacht, dass der Bundesrat die umstrittene Neuregelung kippt.
Uhl betont, es gehe ihm allein um das Wohl der Kommunen. Die umstrittenen Änderungen im Gesetz seien auf Wunsch der Meldeämter eingefügt worden, erklärte er am Dienstag im Deutschlandfunk. Die könnten nicht bei jeder Adressanfrage erst um die Erlaubnis der Bürger bitten – es handele sich oft um Menschen, die alte Schulfreunde suchten.
„Eindeutig Wirtschaftsinteressen“
Thilo Weichert, oberster Datenschützer für Schleswig-Holstein, hingegen sagt: „Uhl vertritt eindeutig Wirtschaftsinteressen, die er mit falschen Argumenten verteidigt.“ Die Kommunen bekämen tatsächlich viele Anfragen, sagt Weichert. Vor allem Gläubiger fragten nach, wo ein Schuldner wohne, und im Einzelfall sicher auch mal ein alter Mitschüler.
Diese Auskünfte waren und bleiben zulässig. Aber darum gehe es nicht. Das Wichtigste bei der Neuerung sei schließlich: Eine Firma, die bereits über die Daten eines Bürgers verfügt und sich diese vielleicht illegal beschafft hat – etwa über die Teilnahme an einem Gewinnspiel –, darf sie sich künftig immer wieder bestätigen lassen. Widerspruch zwecklos.
„Nur ein Missverständnis“
Es kann gut sein, dass Hans-Peter Uhl tatsächlich nur seinen Wählern auf Schulfreundesuche einen Gefallen tun wollte. Gäbe es da nicht diese Panne: Focus online zitierte einen von Uhls Mitarbeitern mit den Worten: „Hätten wir die Einwilligungslösung gemacht, hätten ja alle Versandhändler aufgeschrien.“
Dieser Satz musste später gestrichen werden. Unter dem Artikel heißt es nun: „Zwei Zitate eines Mitarbeiters, die in der ursprünglichen Version dieses Artikels standen, wurden auf Bitte des Büros Uhls mit dem Hinweis auf ein Missverständnis entfernt.“
Wer bei Lobbycontrol oder abgeordnetenwatch fragt, wer die Treiber hinter den Änderungen sein könnten, hört: „Wie die Verbindungen von Politik und Wirtschaft genau aussehen, wissen wir nicht.“ Die Inkasso- und Adresswirtschaft habe aber auf jeden Fall gute Lobbyarbeit gemacht.
Update 13.07. 16.30:
Wolfgang Bosbach hat der taz mitgeteilt, dass der Beraterkreis für die walter services GmbH seit 2011 nicht mehr existiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod