8,50 Euro für alle: Die Rechnung kommt später
Rot-Grün beschließt im Parlament einen Mindestlohn. Über die finanziellen Folgen für gemeinnützige Träger in Bremen wird aber erst danach geredet.
Am heutigen Mittwoch soll er beschlossen werden, der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro für das Land Bremen. Die finanziellen Folgen dieser Entscheidung seien aber noch immer ungeklärt, beklagen die Sozialverbände und der Verband der arbeitsmarktpolitischen Dienstleister in Bremen (Vadib).
Auf 660.000 Euro beziffern allein die Wohlfahrtsverbände die jährlichen Mehrkosten. Betroffen seien in Bremen etwa 400 von insgesamt 20.000 MitarbeiterInnen. Sie bekommen ab 1. September, wenn das Gesetz in Kraft tritt, 8,50 Euro pro Stunde. „Die Kosten dafür werden wir bei den Ressorts geltend machen“, sagt Arnold Knigge, Ex-Sozialstaatsrat und Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.
Bei der Vadib geht man von 550 Beschäftigten aus, die derzeit höchstens 7,05 Euro, manchmal auch nur 6,25 Euro pro Stunde bekommen. Die Mehrkosten beziffert der Verband auf 100.000 Euro – im Monat. „Wir sind darauf angewiesen, dass das ersetzt wird“, sagt Uwe Mühlmeyer, Geschäftsführer der bras, der seinen Beschäftigungsträger nun „existenziell bedroht“ sieht. „Das Geld hätte im Haushalt eingestellt werden müssen.“
Wer als Alleinstehender 1.300 Euro brutto im Monat verdient, hat keinen Anspruch mehr auf zusätzliche Unterstützung vom Jobcenter. Bei 40 Wochen-Arbeitsstunden und 8,50 Euro Stundenlohn verdient man mehr.
Über 16.000 Vollzeitbeschäftigte arbeiteten 2010 im Land Bremen für weniger im Monat. Für wie viele Menschen das rot-grüne Landesmindestlohngesetz zukünftig mehr Geld bringt, ist bislang jedoch unklar.
In Europa haben 20 von 27 Staaten einen gesetzlichen Mindestlohn.
Wurde es aber nicht. Bislang gibt es nur politische Zusicherungen. „Wir stehen zu unserer Verantwortung, dass das Problem gelöst wird“, sagt der SPD-Arbeitsmarktpolitiker Dieter Reinken. Ähnliches ist vom Grünen-Politiker Frank Willmann zu hören. Die Summen, um die es gehe, seien aber „nicht so wahnsinnig hoch“, als dass am Ende größere Haushaltsprobleme entstünden, sagen beide unisono. Er sehe den anstehenden Verhandlungen „gelassen“ entgegen, so Willmann. Allerdings müssten die Träger ihre Mehrkosten dabei genau nachweisen. Erst dann wird über Etatfragen geredet.
Mühlmeyer spricht von 55 Betroffenen bei der bras und Mehrkosten von 16.500 Euro im Monat. „Das können wir nicht bezahlen.“ Wenn die bras keinen Mindestlohn zahle, verliere sie den Anspruch auf staatliche Zuwendungen. Und auf die sei sie ebenso angewiesen wie auf die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. „Wir dürfen mit unserem Lohn natürlich nicht höher liegen als die Marktlöhne“, so Mühlmeyer. Ob er gegen den Mindestlohn sei? „Die Intention ist gut“, sagt Mühlmeyer dann, und dass er in dieser Frage „neutral“ sei.
Niemand wolle die Beschäftigungsträger „aushungern“, entgegnet der Sprecher des Arbeitsressorts. Zwar gebe es in einigen Bereichen noch Probleme. „Da muss eben jetzt eine Regelung gefunden werden."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Humanitäre Lage im Gazastreifen
Neue Straßen für Gaza – aber kaum humanitäre Güter