Panter-Preis-Nominierte 2012: Der Facharbeiter der Integration
Emiliano Chaimite hilft MigrantInnen, in Deutschland anzukommen und engagiert sich für interkulturelle Kontakte. Seit 20 Jahren ist er nicht mehr zur Ruhe gekommen.
Es klingt so selbstverständlich, wenn Emiliano Chaimite über sein politisches Engagement spricht: „Wenn ich eine große Wohnung habe, warum soll ich einem Asylbewerber keine Unterkunft geben?“
Als wäre es völlig normal und nur logisch, dass er nicht nur seine Wohnung teilt, sondern neben seinem Vollzeitjob als Krankenpfleger noch eine Handvoll Ehrenämter ausübt: Chaimite ist Gründer und Vorsitzender des Vereins Afropa, er berät im Ausländerbeirat die Stadt Dresden, organisiert Fußballturniere und Theaterprojekte mit MigrantInnen, engagiert sich im Personalrat des Krankenhauses und ist persönlicher Ansprechpartner und Unterstützer für Asylsuchende und Opfer rassistischer Gewalt.
Da sitzt er, der 45-jährige Mosambikaner, an einem Nachmittag im Halbschatten auf einer Dresdener Parkbank und rückt sein Baseballcap mit der Aufschrift „Germany“ zurecht. „Ich wundere mich eigentlich, warum sich nicht viel mehr Leute engagieren“, sagt er.
Dabei wäre es durchaus nachvollziehbar, wenn Emiliano Chaimite auf Deutschland keine Lust mehr hätte. Seit er nach Deutschland kam, hat er sich gegen viele Widerstände durchsetzen müssen. Doch seine Zuversicht lässt er sich nicht nehmen. „Gerade erst hatten wir hier ein Stadtteilfest mit afrikanischen Tänzern und Trommlern, da war die Stimmung vom Feinsten“, erzählt er. „Die Leute waren so fasziniert. Das ist es, wofür ich arbeite – dass die Menschen verstehen, wie toll es ist, eine andere Kultur live erleben zu können.“
Die Nominierten: Sechs KandidatInnen hat unsere Jury vorausgewählt. Der taz Panter Preis geht an Menschen, die sich mit großem Einsatz für andere starkmachen und mutig Missstände aufdecken.
Die Verleihung: Jedes Jahr werden zwei Preise verliehen. Den ersten vergibt eine taz-Jury, den Preis der Leserinnen und Leser vergeben Sie. Beide Preise werden am 15. September im Deutschen Theater in Berlin verliehen.
Die Porträts: Jede Woche stellen wir in der sonntaz einen Kandidaten oder eine Kandidatin vor. Ab dem 4. August haben Sie die Möglichkeit, jene(n), der oder die Ihnen am preiswürdigsten erscheint, für den taz Panter LeserInnenpreis zu wählen: per Mail, per Post oder auf www.taz.de/panter
Von den Diskriminierungen und Angriffen, die er erlebt hat, spricht Chaimite nicht gern. „Ich will nicht immer klagen. Aber natürlich habe ich da schon viel erlebt.“ Er schweigt eine Weile, dann nickt er. „Ja, sehr viel.“
Im „sozialistischen Bruderland“
Eigentlich hatte er gar nicht geplant, sein Leben in Deutschland zu verbringen. Als er 1986 hierherkam, wollte er nur eine Ausbildung machen und dann wieder nach Mosambik zurückkehren. Sein Heimatland befand sich im Bürgerkrieg, für den 20-Jährigen gab es kaum berufliche Chancen. Da passte es, dass die DDR Facharbeiter aus „sozialistischen Bruderländern“ suchte.
In Schönebeck bei Magdeburg wurde er zum Gießereifacharbeiter ausgebildet, lernte Deutsch. Doch nach ein paar Jahren kam die Wiedervereinigung, und die Bundesrepublik akzeptierte die alten DDR-Verträge nicht. Die Facharbeiter sollten sie in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden.
Chaimite wusste, dass mit der Gießereiausbildung in Mosambik nichts anzufangen war. Über Freunde kam er nach Berlin, fand Arbeit bei der Post, nahm sich einen Anwalt und kämpfte um sein Bleiberecht. Dabei entstand der Kontakt zu einem Pfarrer in Dresden, der ehemalige DDR-Facharbeiter unterstützte. Dank seiner Hilfe konnte Chaimite in Deutschland bleiben und eine neue Ausbildung anfangen, als Krankenpfleger. „Das war ein Traum für mich. Ich wollte immer einen Beruf erlernen, der überall gebraucht wird“, sagt er.
Der Vorschlag, einen Verein zu gründen, kam ebenfalls von dem Pfarrer. „Ich war vorher nie in einer Organisation gewesen“, sagt Chaimite heute, „ich bin eigentlich ein Einzelgänger. Aber ich wollte die Hilfe, die ich bekommen hatte, weitergeben.“
1994 gründet er so Palhota, einen Verein, der sich für die Integration der ehemaligen mosambikanischen Arbeiter der DDR einsetzte. Chaimite war dabei oft ein Vermittler zwischen Mosambikanern und Deutschen, erzählt er: „Viele Afrikaner suchten einen Ort, wo sie unter sich sein konnten. Das verstand ich, denn sie wurden auf dem Amt oft wie Kinder behandelt und im Alltag ständig diskriminiert. Aber wenn man immer unter sich bleibt, wird das nichts mit der Integration.“
Zusätzlich wurde Chaimite in den Ausländerbeirat gewählt, der die Stadt Dresden im Umgang mit MigrantInnen berät. Spätestens da wurde er Ansprechpartner für alle möglichen AsylbewerberInnen und nahm immer wieder Menschen bei sich zu Hause auf: aus Mosambik, Brasilien, Kamerun, Guinea. Zwischendurch wurde es ihm zu eng: „Ich wollte auch mal ein Privatleben. Aber dann sagte ich mir, in Afrika leben die Menschen auch auf engem Raum, das ist schon okay.“
Nur eine Bedingung stellte er denen, die er aufnahm: Sie mussten selbstständig werden. Die Brasilianerin, mit der er eigentlich Portugiesisch reden konnte, zwang er, Deutsch zu sprechen. „Heute sagt sie zu mir: ’Du warst sehr streng damals‘ “, erzählt Chaimite und lacht.
Nach Mosambik fuhr er 1997 noch mal. „Aber das war nur Urlaub“, sagt er. Der Krieg war inzwischen vorbei, doch Chaimite fühlte sich in dem Land fremd – und beschloss, in Deutschland zu bleiben. Im Krankenhaus hatte er da auch schon eine feste Anstellung.
2003 gründete er dann Afropa e. V., einen Verein zur Förderung der afrikanisch-europäischen Verständigung. „Ich muss immer wieder betonen, dass wir kein afrikanischer Verein sind, sondern ein afrikanisch-europäischer“, sagt er. Das ist ihm wichtig. In seinem Verein soll es keine „Gettobildung“ geben, sondern einen Austausch zwischen MigrantInnen und Deutschen – in beide Richtungen. Der Verein organisiert zum Beispiel ein Kinderferienprogramm, Hallenfußballtraining, Rechtsberatung oder Filmvorführungen.
Als Emiliano Chaimite sein Büro zeigt, entschuldigt er sich für die Unordnung. Keine Zeit zum Aufräumen. Ständig ist er unterwegs. Eine Assistenzstelle wäre nötig, doch die finanzielle Unterstützung für Vereine von Migranten ist knapp. „Die Politik muss noch lernen, uns zu vertrauen“, sagt Chaimite.
Er hätte gern auch mal wieder Zeit für sich. „Als ich hier bei Afropa angefangen habe, wollte ich eigentlich nichts mehr mit Vereinen zu tun haben“, sagt er. „Schon gar nicht im Vorstand. Doch kaum war der Verein gegründet, wählte man mich als Vorsitzenden.“ Eigentlich würde er gern noch ein Aufbaustudium in Pflegewissenschaften und Pflegemanagement machen – wenn er mal Zeit hätte.
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