Akin, der Steuerberater : Radfahrer mit einer Mission
Seit sieben Jahren strampelt sich ein Berliner Türke dafür ab, dass alle Ausländer in Deutschland ein kommunales Wahlrecht erhalten. Auf seinem Fahrrad, fast jeden Tag.
BERLIN taz | Als er seine Bürotür abschließt, hat sich Aydin Akin bereits umgezogen. Blaues T-Shirt statt kariertem Hemd, die Brille mit dem Goldrand hat er abgenommen. Dann legt er an: Ohrstöpsel, Helm, Handschuhe, Trillerpfeife. Ein Megafon in den Fahrradkorb, eines in die Hand, und je ein Schild vor Rücken und Bauch. „Demokraten von Europa“, steht zwischen seinen Schulterblättern: „Schämt euch!“
Mit dem Fahrrad fährt Akin durch Berlin, mehr als vier Stunden jeden Tag. Seit seiner ersten Tour vor sieben Jahren hat er so 88.200 Kilometer zurückgelegt, hat er sich ausgerechnet.
Bei jeder Runde dudelt dann aus seinem Korb eine schrille Melodie. Akin ruft dazu: „Liebe Mitbürger!“ Er kämpft dafür, dass Ausländer wie er, die in deutschen Städten leben und Steuern zahlen, dort auch auf kommunaler Ebene wählen dürfen. So, wie es Ausländern aus EU-Staaten schon länger erlaubt ist.
Hugo Hager stellt seinen Transporter im Wendland auf die Straße, um gegen Lkws und Raser zu protestieren. In Stuttgart erleben Bürger merkwürdige Wandlungen der Grünen, wenn es um die Mitsprache bei der künftigen Ausrichtung der Stadtwerke geht. In Berlin demonstriert ein Türke mit Rad und Tröte für sein Wahlrecht. Wie buchstabiert sich das Wort "Partizipation" eigentlich im Alltag? - eine taz-Serie zur guten alten Frage: Was tun?
Heute winken auf den ersten Kilometern, die Akin im Stadtteil Neukölln zurücklegt, vier Kioskverkäufer und ein Imbissbudenbesitzer. Eine Frau brüllt: „Halt die Klappe!“ Vom Bürgersteig knipst ein junger Mann in Röhrenjeans ein Foto von dem lebenden Gefährt, das aus gelben Plakaten zu bestehen scheint.
Aydin Akin ist 69 Jahre alt, sein Vorname bedeutet auf Deutsch so viel wie „aufgeklärt“ – in der Türkei ein gängiger Vorname. Und als Aufklärer sieht er sich auch. Akin ist kein deutscher Staatsbürger, aber Berliner, seit er 1968 nach dem Studium die Türkei verließ.
Akin, der Steuerberater
Zwischen seinen Radtouren ist Akin Steuerberater. Wenn er an seinem Schreibtisch sitzt, wird Akins Stimme leise. Mit einem dunkelblauen Kugelschreiber füllt er ein Formular aus, eine Kundin ist bei ihm.
Einen weinroten Hut auf dem Kopf, hat sie ihren Rollkoffer aus Plastik neben dem Sessel abgestellt. Aus Ghana kam sie vor zehn Jahren, seit fünf kommt sie zu Akin. „So viel Papierkram“, sagt sie. „Ja, so viel Papierkram“, sagt er.
In der Türkei hatte Akin Betriebswirtschaft studiert, in Deutschland arbeitete er sich in das Steuerrecht ein. 1980 veröffentlichte er ein Buch. Es heißt „Warum zu viel Steuern zahlen?“ und ist ein Lohnsteuerhandbuch für deutsche und ausländische Arbeitnehmer.
Über den Tisch gezogen
Denn Ausländer würden schlecht beraten, gar über den Tisch gezogen, fand Akin heraus – von ihren Landsleuten wie von deutschen Beratern. So begann er, seine ersten Plakate zu malen, auf denen er Steuerberatung für alle forderte.
Akin blickt auf sein Leben zurück. Kondensiert zu einem Stapel vergilbter Zeitungen liegt es auf seinem Bürotisch. Auch die Schaufensterscheibe seines Ladenlokals hat er mit Zeitungsausschnitten beklebt, Geschichten und Fotos von ihm und seinem Fahrrad, viele in türkischer Sprache, manche auf Deutsch.
In einen Schnellhefter hat er auch Fotos seines Friedhofs geheftet. Denn Akin hat in Akcakoca, seinem türkischen Heimatort, Grabsteine gekauft.
Wirtschaftshelden
In die Steinblöcke hat er lange Texte und große Überschriften meißeln lassen. „Auslandstürken sind Wirtschaftshelden“ etwa. „Protestgrabsteine“ seien das, sagt Akin. Damit seine Gedanken nicht in der Erde verloren gingen.
Schwarze Großbuchstaben hat Akin auch mit Filzstift auf die Zettel an seinen Bürowänden geschrieben. Über drei Zeitungsausschnitten steht jetzt: „Super Gesundheitskämpfer“.
Der erste Artikel beschreibt einen Dialyse-Patienten. Das Wort „Leberkrebs“ hat Akin darin unterstrichen. Denn Aydin Akin, der Aufklärer, hat Lungenkrebs. An einem Donnerstag im Winter wurde er operiert. Vier Jahre ist das jetzt her. „Ich habe Mut“, sagt Akin laut. Auf einem Grabstein steht: „Gib dem Krebs eine Ohrfeige.“
Der „Steuerbürger“
An einer Ampel hat er sein Rad zum Stehen gebracht. Dem Strom der Passanten zugewendet, dröhnt er durch das Megafon: „Wir sind auch Steuerbürger! Warum dieser Unterschied?“ Viele glotzen, einige lächeln. „Diese Gesellschaft braucht jeden“, sagt Akin.
An diesem Abend wird er seinen Helm für eine lange Zeit zum letzten Mal ablegen. Denn seine nächste Tour führt Akin zurück nach Akcakoca. Für diese Reise hat er drei Monate eingeplant, er will sich Zeit nehmen. Auto fahren. Auf dem Beifahrersitz wird sein Sohn sitzen.
Der ist 18 Jahre alt, die zweite Generation der Deutschtürken. Akin will ihm alles zeigen: „Dank uns hat Bulgarien diese Straßen“, will er sagen, „und Österreich diese Tunnel.“ Es wird auch eine Demonstration sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen