Kultobjekt Karmann: Schwachbrüstiger Schönling
Der Streit um Millionen Euro Steuerrückzahlungen wird auch nach dem Gerichtsurteil nicht zu Ende sein. Egal - beim Namen „Karmann“ denkt doch eh jeder nur an das eine.
BREMEN taz | Was denken 99 von 100 Deutschen als erstes, wenn sie den Namen Karmann hören? Bankrotteur? Überforderte Geschäftsführer, Mammutprozesse um Millionenbeträge? An den Osnabrücker Christian Wulff, der – damals noch ein Ministerpräsident mit blütenreiner Weste – so stolz auf den Autobauer war, als wär’s sein eigenes Unternehmen?
Schon möglich. Entlassungswelle auf Protestdemo auf Sonntagsrede auf Solidaritätsadresse? Vielleicht. Belegschaft kontra Betriebsrat, Belegschaft kontra Belegschaft, IG Metall kontra Eigentümer, zerstrittene Gesellschafter ohne Branchenkenntnis und unternehmerische Leidenschaft? Missdeutete Marktentwicklungen, irregeleitete Investitionen? Alles denkbar. Aber alles falsch.
Auch an den „Karmann-Spion“ Börries von Ditfurth, von der Insolvenzverwaltung als Sicherheitsbeauftragter „Herr Meyer“ 2009 ins Werk geschleust, um die Mitarbeiter auszuhorchen, erinnert sich kaum jemand. Wochenlang hatte sich der filmreife Spitzel-Krimi um den ominösen Bundeswehr-Oberst hingezogen. Was kann da noch kommen?
Vielleicht die in nahezu hundert Jahren zusammengetragene, historische Fahrzeugsammlung von Karmann, die im Zuge der Insolvenz zu einem erheblichen Teil verkauft wurde, weil die Stadt Osnabrück sich „außerstande“ sah, sie zu kaufen?
Wem gehört Steuerrückzahlung?
Vielleicht die 20 Millionen, die das Karmann-Management der Belegschaft in Rheine noch gezahlt hatte, weil es irgendwie vergessen hatte, dass die Firma bereits Insolvenz angemeldet hatte? Oder die Entscheidung, die der 12. Senat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 7. August um die Frage fällt, wem die 160 Millionen Euro gehören, die das Finanzamt Osnabrück an die Karmann-Gesellschafter zurücküberwiesen hatte? Nein, auch das ist es nicht.
Gut, das Fragespielchen macht so langsam keinen Spaß mehr, hier kommt die Auflösung: 99 von 100 Menschen, auf Karmann angesprochen, denken an den VW Karmann-Ghia. Nicht irgendeinen, sondern Typ 14: eine Legende, dieser flunderhafte Hecktriebler in Kunstleder- und Lackblech-Optik, der gern auch mal in pastelligem Gazellenbeige und Rehbraun daherkommt, mit seinen elfenbeinfarbenen Knöpfen.
Osnabrück: eine Stadt, die nicht eben reich ist an Legenden, an Kultobjekten. Umso wichtiger ist da der Karmann-Ghia, trotz all seiner Schwächen. Wohlgemerkt: Typ 14, Karmanns bekanntestes Modell. Rund 450.000 Stück entstanden bis 1974.
Bis heute sagt mancher gern: „Karmann Dschia“, klingt so schön nach Urlaub in Venedig. Ist aber völliger Quatsch: hartes G! Luigi Segre, der Legende nach in der Turiner „Carrozzeria Ghia“ fürs 14er-Design zuständig, dreht sich sonst jedes Mal im Grab um.
Zweckfreier Zwitter
Was aber diesen zweckfreien Zwitter aus sanftkurvig dahinfließendem Italo-Chic und panzerhaft unzerstörbarem deutschem Großserien-Ingenieurtum zum begehrtesten Zweitwagen der Wirtschaftswunderzeit machte, ist schon ein bisschen rätselhaft. Was das flotte Äußere versprach, konnte der Motor nicht halten: Als er 1955 an den Markt ging, hatte der Ghia nur 30 PS.
Von Null auf 100 beschleunigte er in einer halben Minute, wenn es gut lief. Bei 115 Sachen war meist Schluss. Spätestens. Weshalb manche den schwachbrüstigen Schönling „Hausfrauenporsche“ nannten. Eine Parodie. Blendwerk. Nach außen Rennstreckenflair, drinnen biederbrave Käfer-Technik.
Petra Schürmann, Miss World 1956, hat das nicht gestört. Sie fuhr gern einen. In Rot. Romy Schneider auch. Mit Sitzen in Leopardenfell. Der Ghia steht für die beste Zeit, die Karmann je hatte. Uma Thurman fährt ihn in „Kill Bill“, Teil zwei – als Beatrix Kiddo, die tödliche Braut, im Gepäck ihr Hanzo-Katana. Auch Christian Ulmen fährt ihn, allerdings als Bräutigam, in „Maria, ihm schmeckt’s nicht!“, gedreht in Osnabrück, unter anderem.
Wenn auch sonst nicht viel von Karmann geblieben ist außer Frust und Gerichtsgefechten: Eher als jedem Papst winkt diesem Klassiker das ewige Leben. Was macht es da, dass die Scheiben ebenso gern beschlagen wie vereisen? Dass es ebenso gern aus Richtung Heizung wie aus Richtung Heckluke riecht?
Manche nannten den Ghia ein Kinderkarussellauto
Dass sich das Armaturenbrett so gern in der Windschutzscheibe spiegelt, dass manchmal die Straße kaum zu sehen ist? Dass der Möchtegern weder am Spritverbrauch spart noch am Innenraumlärm? Was macht es, dass manche den niedlichen Sympathieträger spöttisch als Kinderkarussellauto belächeln?
Der Name „Karmann“ wird weiterleben. Egal, was geschehen ist und wie welcher Prozess ausgeht. Er wird weiterleben, weil der K-G 14 es tut. Auch wenn im Osnabrücker Stadtteil Fledder, wo generationenlang Karmannland war, jetzt andere das Sagen haben.
Wer, war besonders gut am 6. April 2011 zu sehen: morgens kurz nach neun, im Osnabrücker Rathaus. Da trug sich einer ins Goldene Buch der Stadt ein, den viele hier als rettenden Ritter sehen und auch so behandeln: VW-Chef Martin Winterkorn.
Der Boss trat auf, wie ein Boss eben auftritt, der mit Milliarden hantiert. Ein rundes Dutzend Sätze über Wachstum und Qualität, dann Aufbruchsgesten. Zeit ist Geld. Schnell noch lächeln für die Kameras, schnell noch ein paar Hände schütteln. Huldvolles Nicken zur Applausriege aus Stadtpolitik und Stadtverwaltung.
Der Boss ließ den VW Phaeton startklar warten
Kurz nach halb zehn war Winterkorn dann schon wieder auf dem Weg nach draußen. Sein VW Phaeton stand die ganze Zeit startklar vor der Tür: brabbelnder Motor, Licht an, surrende Scheibenwischer. Der Karmann-Niedergang? „Ein Leidensweg“, hatte Osnabrücks Oberbürgermeister Boris Pistorius Minuten vorher gesagt, „mit vielen Tiefs und wenig Aufs.“ Ja, das haben Niedergänge so an sich.
Karmann ist Geschichte. Jetzt geht es nur noch ums Geld und um juristische Gefechte. Die könnten sich noch Jahre hinziehen: Am 7. August wird das Oberlandesgericht Oldenburg lediglich ein vorbehaltliches Urteil sprechen oder sogar eine Aussetzung des Verfahrens verkünden. Grund ist ein paralleles Finanzrechtsverfahren gegen das „Osnabrücker Traditionsunternehmen“, wie es nicht nur Christian Wulff früher gerne nannte.
Der Hintergrund: 1949 hatte sich der Autobauer in zwei Gesellschaften aufgeteilt, in eine Betriebs- und in eine Besitzgesellschaft. Nur eine, die Betriebsgesellschaft, meldete 2009 Insolvenz an. Die andere strich eine Steuererstattung von 165 Millionen Euro ein, obwohl gar nicht sie diese Steuern einst gezahlt hatte. Sondern ihre Schwestergesellschaft. Sehr geschickt.
Aber wen kümmern Gläubiger, wen die entlassenen Mitarbeiter, die teilweise jahrelang um Abfindungen kämpfen mussten? Nun, den Insolvenzverwalter: Der verklagte die Besitzgesellschaft und verlangt von ihr, das Geld an die pleite gegangene Schwester zurückzugeben – also an an ihn und die Gläubiger.
Die Gesellschafterfamilien gingen in Berufung
Das Landgericht Osnabrück sah das genauso, aber die Gesellschafterfamilien gingen in Berufung. Beim Oberlandesgericht Oldenburg blieben sie bei ihrer Auffassung: Laut einem Vergleich, denn die Gesellschaften 2010 geschlossen hätten, stehe die Steuererstattung der Besitzgesellschaft zu.
Anspruch auf das Geld erhebt indes auch das Finanzamt: Es fordert die Millionen im Rahmen einer sogenannten Ausfallhaftung von den Gesellschaftern zurück. Der Ausgang dieses Verfahrens ist noch offen und könnte wiederum Einfluss haben auf jenes vor dem Oberlandesgericht. Durchaus möglich, dass der 12. Senat die Verhandlung über die Revision der Gesellschafter so lange aussetzt, bis eine Entscheidung zu den finanzrechtlichen Fragen in Hannover fällt.
Aber daran denken 99 von 100 Menschen nicht beim Namen „Karmann“, sondern an Events wie „mobilEmotion“ im Juni 2005: den 50. Geburtstag des Karmann-Ghia, als eine 10-Kilometer-Schlange von 518 Fahrzeugen im Osnabrücker Land unterwegs war. Ist vielleicht auch ganz gut so, denn während sich das „Traditionsunternehmen“ immer weiter selbst demontiert, bleibt wenigstens sein kleines, schickes Auto unzerstörbar.
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