Berlins Profifußballer: Einfach zweitklassig
Berlin schafft es einfach nicht, dauerhaft einen oder mehrere Erstligisten im Fußball zu etablieren. Im europäischen Vergleich ist dieses Versagen nahezu einmalig.
Der Experte, der zuletzt die schiere Größe der Hauptstadt mit einem fußballerischen Anspruch verband, hieß Werner Lorant. „Berlin kann mindestens zwei oder sogar drei Bundesligisten vertragen“, tönte der Mann im März 2010 bei seiner Vorstellung als Sportdirektor des Regionalligisten Tennis Borussia. Die Berliner im Festsaal eines noblen Steglitzer Hotels schmunzelten über den vormaligen Trainer von 1860 München. Wie Lorant, so die nonverbale Botschaft ihres Mienenspiels, reden eben Zugereiste, die geografische Größe mit sportlicher Potenz verwechseln
Inzwischen ist das Kapitel Lorant bei TeBe als Farce abgehakt. Lorant, dessen prominenter Name Sponsoren anlocken sollte, brachte seinem Club kein Glück: Der einstige Bundesligist TeBe musste kurz nach der Steglitzer Performance Insolvenz anmelden und stürzte in die 6. Liga ab. Bonjour, Berliner Tristesse!
Aber es geht ja noch schlimmer: Als einziges Land in Europa stellt Deutschland in der Fußball-Saison 2012/2013 keinen Hauptstadtklub in der ersten Bundesliga – ausgenommen Wales, dessen Top-Vereine in den englischen Spielbetrieb integriert sind und wo es Cardiff City nur in die zweithöchste Ebene schaffte. Mit Hertha BSC und dem 1. FC Union messen sich in der am heutigen Freitag beginnenden Spielzeit zwei Berliner Zweitligisten mit Provinzgilden aus Aalen an der schwäbischen Ostalb und Sandhausen, Nachbargemeinde der Boris-Becker-Stadt Leimen in Nordbaden.
Bundesligatechnisch hält Berlin immerhin zwei Rekorde: Die Stadt war bisher mit vier verschiedenen Klubs in der Liga vertreten, das ist immer noch der Bestwert. Neben Hertha und TeBe (1974/1975 sowie 1976/1977) agierten auch der spätere Konkursclub Tasmania 1900 (1965/1966) und Blau-Weiß 90 (1986/1987) in der deutschen Beletage. Zu Ruhm brachte es aber kein Team – höchstens negativ gesehen: Tasmania Berlin gilt mit 8:60 Punkten als der schlechteste Club, der jemals eine Saison überstand.
Und im Osten? Dort endete 1990 die Vorherrschaft des DDR-Rekordmeisters BFC Dynamo. Nach Öffnung des Transfermarkts in Richtung Westen verließen die besten Dynamo-Spieler ihren Verein. Der 1. FC Union wiederum pendelte in der DDR zwischen Topliga und Zweitklassigkeit. Der NVA-Verein FC Vorwärts, feste DDR-Größe in den 1960er-Jahren, war 1971 nach Frankfurt (Oder) delegiert worden.
Eher Nachzügler
Wirtschaftlich fungiert die Hauptstadt noch immer eher als Nachzügler denn als Konjunkturlokomotive. Hertha hat – auch durch die inflationären Trainerwechsel – seine Bundesligazugehörigkeit vorübergehend verspielt. Union, der Underdog aus DDR-Zeiten, holt auf und peilt als Saisonziel 2012/2013 den 5. Tabellenplatz an. Was an Adrenalin bleibt, ist der Kampf um den inoffiziellen Titel eines Berliner Stadtmeisters in der 2. Liga. Wie 2010/2011, als die Köpenicker Union nach zwei Duellen gegen Hertha überraschend die Oberhand behielt (1:1, 2:1).
„Hertha hat viel, viel bessere Voraussetzungen, was die Struktur angeht“, sagt Unions Trainer Uwe Neuhaus. Das Olympiastadion bietet 74.000 Plätze. In Unions Alte Försterei hingegen passen in der derzeitigen Umbauphase knapp 17.000 Besucher. „Hertha BSC wird immer einen größeren Etat haben, keine Frage. Aber im Fußball ist ein Machtwechsel auf dem Rasen zu erleben“, hofft jedoch Dirk Zingler, Präsident des 1. FC Union.
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