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AntisemitismusKippa als Risiko

Juden sagen, es ist gefährlich, Glaubenssymbole in der Stadt offen zu zeigen.

Kippa-Träger bei einer Solidaritätskundgebung für Daniel Alter am Freitagnachmittag. Bild: dapd

Für gläubige Juden ist es normal, ein Basecap über ihre Kippa zu ziehen, wenn sie in Berlin das Haus verlassen. „Jeder Jude ist potenziell gefährdet, Opfer eines antisemitischen Angriffs zu werden, wenn er sein Judentum so lebt, dass es andere mitbekommen“, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Gideon Joffe, am Freitag. Auch jüdische Touristen greifen Joffe zufolge zu Vorsichtsmaßnahmen. Es sei schon fast Standard, dass Gäste aus Israel in Kreuzberg und Neukölln aus Angst vor Übergriffen Englisch miteinander sprächen, um nicht als Juden erkannt zu werden.

In Berlin leben rund 20.000 Juden, schätzt Joffe. Seit einem Übergriff auf einen Rabbiner am Dienstagabend reißt die Debatte über Antisemitismus nicht ab. Der 53-jährige Daniel Alter hatte eine Kippa getragen, als er in Friedenau im Beisein seiner siebenjährigen Tochter zusammengeschlagen wurde. Alter erlitt einen Jochbeinbruch und musste operiert werden. Die Täter seien wohl junge Araber gewesen, die einen Hass auf Juden hätten, sagte Alter. „Aber wenn sie Reue zeigen, muss man dennoch versuchen, Brücken zu ihnen zu schlagen“, so der Rabbiner.

Solidarität mit Rabbiner

Am Sonntag um 12 Uhr wollen Parteien und Kirchen in Friedenau ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen. Nach den Angriffen auf den Rabbiner Daniel Alter soll auf einer Kundgebung vor der Evangelischen Philippus-Nathanael-Kirche am Grazer Platz für ein friedliches Miteinander geworben werden. Erwartet werden mehrere hundert Teilnehmer, auch Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD). Auf einem Banner wollen sie ihre Solidarität bekunden.

Die vier Angreifer auf den Rabbiner sind weiter flüchtig. Alter kündigte an, sich auch weiter für den interreligiösen Dialog einzusetzen. "In meinen Grundfesten bin ich nicht erschüttert." Der Geistliche gehörte 2006 zu den drei ersten in Deutschland nach dem Holocaust ordinierten Rabbinern.

Auch der Zentralrat der Juden rief Gläubige auf, nicht auf das Tragen jüdischer Symbole wie der Kippa zu verzichten oder bestimmte Gegenden zu meiden. "Wir dürfen nicht vor dem Hass kapitulieren", so Zentralratspräsident Dieter Graumann. (epd, taz)

Sergy Lagodinsky, Publizist und Vorsitzender des Kulturausschusses der Jüdischen Gemeinde, warnte am Freitag vor dem Reflex, Antisemitismus als exklusives Problem der muslimischen Bevölkerung anzusehen. In Gegenden mit einem hohen Neonazianteil seien Juden mindestens genauso gefährdet. Er trage selbst keine Kippa und sei auch kein frommer Mensch, so Lagodinsky. Dennoch müsse auch er damit rechnen, angefeindet zu werden. „Wir erfahren ständig Hass.“ Der komme auch in der Mitte der Gesellschaft und in linken Kreisen vor.

In Bezug auf Antisemitismus bei jugendlichen Migranten forderte Lagodinsky einen verstärkten Dialog der Religionen. „Da ist die gesamte Gesellschaft gefragt.“ Schließlich seien die Jugendlichen in Deutschland geboren und aufgewachsen.

Joffe von der Jüdischen Gemeinde schlägt einen runden Tisch mit Vertretern von Bildungsverwaltung, muslimischer Verbände und Jüdischer Gemeinde vor. Das Ziel: die Entwicklung pädagogischer Konzepte. In Klassen mit hohem Anteil von Schülern muslimischen Glaubens sei es Lehrern heutzutage nahezu unmöglich, Themen wie Judentum, Nationalsozialismus und Israel anzusprechen. Die Schüler würden den Unterrichts häufig massiv stören. Lehrer würden beschimpft und bedroht. „Die Lehrer dürfen nicht länger allein gelassen werden.“

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11 Kommentare

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  • C
    Chandrika

    @Ein Frager

    Die Kennzeichnung mit den verschiedenfarbigen Winkeln, fand nicht in der Öffentlichkeit, sondern innerhalb der KZ statt.

    Nur der gelbe Stern mußte in der Öffentlichkeit getragen werden.

     

    https://www.google.de/search?q=kennzeichnungen+im+kz&hl=de&qscrl=1&rlz=1T4LENN_deDE462DE462&prmd=imvns&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=QjNPUMSjM4jb4QSxoIHgDg&sqi=2&ved=0CDIQsAQ&biw=986&bih=435

  • MN
    mein name

    @brose:lustig wie hier sofort vieles auf muslime geschoben wird nur weil die täter offenbar araber waren-nicht jeder araber ist religiös.. unser christentum hat knapp 1965 jahre institutionalisierten Antisemitismus und kämpft noch immer mit den letzten ewiggestrigen (piusbrüderschaft .. und diese papstrede ala "betet dass die juden nu endlich vernünftig werden und unseren guten alten jesus anerkennen)in diversen ländern die östlich liegen ist die kirche das löauteste maul im hetzen gegen randgruppen, religiös wie auch allgemein(homosexualität)

    hier in deutschland werden knapp 90% der antisemitischen straftaten (allgemein, geschmiere gilt also auch) von deutschen verübt..

    Interessant ist auch dass sich die wissenschaft einig ist dass der islam im gegensatz zum christentum keine religiös verbrämten antisemitismus hat sondern die bilder und aussagen sehr modern und eher westlich sind(gibts gute untersuchungen zu)-dazu passt dass man solche sachen erst seit knapp 100 jahren in den muslimischen gebieten beobachten kann, progrome und massaker wie im christlichen europa gab es vergleichsweise selten (was nicht bedeutet das es Gleichstellung gab-ne, die juden waren selbstverständlich ne marginalisierte gruppe, die sicherheit hing wie und in europa vom herrscher ab, aber diese religiös motivierte hetzerei die sich historisch hier(europa) sehen lässt in texten udn predigten gibt es derartig einfach nicht. In der geschichte des islam gibts immer mal wieder große jüdische und christliche wissenschaftler, es gab also je nach herrscher und politischer situation durchaus aufstiegschancen, und wer konvertierte war fein raus. In europa befürchtete man unterwanderung und beschwor das jüdische blut (*augenverdreh*) (wobei ich das für muslimische gebiete auch nicht ausschließen will) (schon luther unser held war n antisemit vorm herrn..mit ähnlichen beweggründen wie man das good old mohammed vorhält-da sie sich nicht bekehren lassen sind sie doof..wer nicht für mich ist, ist gegen mich, man kennt das ganze ja.)

     

    Generell neigen Mehrheiten dazu Minderheiten zu unterdrücken. Das ist jetzt nicht so die große Überraschung, oder?

    Besser als also Finger zu zeigen wäre sich zu überlegen wie wir mal drüber hinwegkommen..

     

    also-antisemitismus ist nicht religionsspezifisch. der antisemitismus in den muslimischen ländern ist sehr europäisch in seinen Bildern und formulierungen (Zionistische verschwörung, weltjudentum-das lässt sich so im koran nicht finden, da gibt es nur die üblichen abwertungen für die ungläubigen und den hinweis darauf dass es unter christen und juden frevler gibt. Religiöses gerante halt..

    Interessant II:

    Das protokoll der weisen von zion wurde zum ersten mal von einer christlich(katholischen) zeitung ins arabische rausgebracht.

     

    die vertreibung der religiösen minderheiten in muslimischen ländern ist auch ein sehr moderner Vorgang...aber wie wir an irland sehen können ist das problem ja noch lange, lange ncht ausgestanden. aber wir sehen auch dass es idr nicht mit dem Glauben zu tun hat sondern mit Macht und Politik, Ressourcen, wirtschaftlichen Situation (krise=Zunahme weil die anderem einem ja alles wegnehmen könnten. Angst ist generell son katalysator.) und repräsentanz.

     

     

    laut ner umfrage stimmen 25% den übelsten antisemitischen aussagen zu-deutsche, wohlgemerkt. Es ist ein gesellschaftliches problem, ich kann in meinem umkreis auch noch antisemitische Kommentare hören ohne dass das groß reflektiert wird(und ablehnung hagelt wagt man das ganze als antisemitisch zu benennen) die verantwortung auf eine gruppe zu verschieben wird das problkem nicht lösen, eher im Gegenteil, es bestärkt andere darin, dass man natürlich nicht selbst ein problem hat weil man nicht zu gruppe x gehört und weil der eigene Antisemitismus vll nur latent vorliegt..alle sind in der verantwortung, gemeinsam.

    aber selbst dann wird es immer menschen geben die da keinen bock drauf haben.

     

     

    auch interessant:menschen die selbst opfer von diskriminierung und Menschenfeindlichkeit werden haben eine signifikant höhere chance/gefahr innerhalb einer gruppe selbst gewalt auszuüben. menschen die geprügelt worden geben das oftmals weiter um endlich auch mal am längeren hebel zu sitzen. wenn wir das problem lösen baucht es mehr als nur aufforderungen und ein "ich gehört nicht dazu also ist das nicht mein bier"

  • H
    Hahaha

    In Syrien wird jeden Tag mehr Platz für Religionsspinner.

  • B
    brose

    Dieser Schandtat sollte eine deutliche projüdische öffentliche Reaktion folgen, die den Muslimen klar macht: Wir achten den Rabbiner, solidarisieren uns mit dem Angegriffenen. Wer den Rabbiner (oder einen anderen Juden) angreift, greift uns alle an. Wir sind verantwortlich, auch für seine Sicherheit.

     

    Es stellt sich in diesem Zusammenhang durchaus die Frage, wie realistisch von Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft die Sicherheitsrisiken eingeschätzt werden. Mit Blick auf den anschwellenden Straßenproletenfaschismus und die ungebildeten muslimischen Bevölkerungsmassen muss es derzeit nicht unbedingt als geboten erscheinen, seinen jüdischen Glauben ganz ohne Sicherheitshintergrund in die Öffentlichkeit tragen zu wollen. Dies gilt für Berlin wie die Provinz.

     

    Deutschland als kulturarmes Industrieland war, ist und bleibt das Flaggschiff der gesellschaftlichen Idiotie und des Fanatismus in Europa - ganz gleich wer sich hier tummelt.

     

    Es wird noch mehr Zeit für den Erwerb sozialer Akzeptanz und Sympathie brauchen, bis man allseits den Juden/Jüdinnen im Straßenbild mit mehr Gleichmut begegnet. Schändlich deutsch, aber wahr.

  • RM
    Regine Metes

    Es hieß auch, Herr Wowereit trage neuerdings die Kippa.

    Damit halten in dieser Stadt der Respekt, Anstand und Religiösitat ihren Einzug.

    Die Muslime werden dafür dankar sein, wenn Religion endlich wieder geschätzt wird.

    Und den Christen sollte die sein Anlaß sein, sich auf ihre Religion rück zu besinnen.

    Dies ist ein guter Zug für Eintracht und Frieden unter den Menschen.

    Und Berlin ist der Anfang!

    Und wenn Herr Wowereit die Kippa im Zeichen des Friedens trägt anläßlich des Konzerts von Leonard Cohen, so wird vielleicht ein Blatt vom Himmel heruntersegeln, ein Blatt, auf dem das Wort Freiheit steht.

  • SS
    Sophie Scholls verschollene Schwester

    Wieso ist hier die Bevoelkerung Deutschlands gefragt?

     

    Ist sind die Muslime, die hier auf denPlan treten muessten und ihre Solidaritaetskippa tragen muessten. Wo sind denn die ganzen Moderaten Muslime? Gut versteckt oder nicht existent?

  • EF
    Ein Frager

    Der Artikel stimmt mich nachdenklich. Die Nazis zwangen die Juden sich mit dem Judenstern öffentlich zu kennzeichnen. Hat die freiwillige Kippa nicht den gleichen zur Schau stellenden Effekt? Auch andere Minderheiten wurden im Nazireich durch entsprechende Zwangssymbole, wie das rosa Dreieck für Homosexuelle, in der Öffentlichkeit sichtbar gemacht. Bewirken die Gay-Pride-Paraden oder das islamische Kopftuch nicht Ähnliches? Das Profit- und Konsumsystem mit seinem sozialen und ökologischen Chaos braucht die Identifikation mit eher zufälligen Merkmalen über Symbole und Zeichen, um seiner Leere und Sinnlosigkeit etwas künstlich Stabilisierendes entgegensetzen und als System überleben zu können. Die liberale Demokratie bewirkt dabei subtil implizit, was der Faschismus brutal aufzwingt.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Solidarität Zeigen

    Jeder demokratische Bürger des Staates Deutschland

    hier die Männer sollten aus Solidarität Kippa tragen,was den brutalen Überfall auf eine Rabbiner in der Bundeshauptstadt Berlin betrifft

    Deutschland bekennt sich für seine jüdischen Mitmenschen,sagt Nein zum Antisemitismus,Judaismus.

    E s sollte kein reines Lippenbekenntnis der Männer sein sondern sie sollten dahinter stehen,wenn sie eine Kippa tragen.Wer heute sich nicht mit den zusammengeschlagenden Rabbiner nicht solidarisch erklärt,weiss nicht,ob er schon morgen zusammen geschlagen wird.

  • M
    miguel

    in wien braucht es keine migranten für antisemitische ausfälle. das können da die einheimischen ganz gut. am donnerstag wurde ein rabbiner vor den augen der polizei angepöbelt und mit "heil hitler" begrüßt. auf die bitte an die zusehenden polizisten einzugreifen – in österreich gilt der hiltergruß als ns-wiederbetätigung und wird nach stgb mit gefängnis bestraft – gab es nur ein achselzucken. die kronenzeitung musste am freitag ihr diskussionsforum zum thema schließen. die gründe liegen auf der hand. der schoß´ ist fruchtbar noch an der schöne blauen donau.

     

    gruß m

  • S
    Si.Schu.

    ...und hier wäre die Bevölkerung Deutschlands gefragt: Morgen sollte zumindest jeder Mann aus Solidarität und Zeichensetzung dafür, dass sich eine (religions-)freitheitliche Demokratie eine derartige Diskriminierung, Einschränkung und Freiheitsbeschneidung nicht gefallen lässt, eine Kippa tragen - dies wäre endlich mal ein symbolischer Akt.

  • C
    Christ

    Juden tragen Kippa. Die Schriftgelehrten der Christen tragen lange Gewänder. Jesus aber sagte in Matthäus 6,1:

    "Habt acht auf eure Frömmigkeit,

    dass ihr die nicht übt vor den Leuten,

    um von ihnen gesehen zu werden;

    ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel."