piwik no script img

Reform II"Wir sollten uns ehrlich machen"

Ist ein Teilzeitparlament noch angemessen für Berlin? Nein, meint der Präsident des Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland (SPD).

Interview von Stefan Alberti

taz: Herr Wieland, das Abgeordnetenhaus ist in seine neue Saison gestartet – immer noch als Teilzeitparlament. Ist das weiter angemessen angesichts der Belastung der Abgeordneten?

Ralf Wieland: Ich persönlich habe die Haltung, dass wir uns ehrlich machen und sagen sollten, dass das nicht mehr stimmt mit dem Teilzeitparlament. Viele Abgeordnete gehen keiner anderen Tätigkeit mehr nach, andere können es nur, weil sie etwa als Freiberufler zeitlich flexibel sind. Ich bin dafür, eine Parlamentsreform zu diskutieren, die als Ziel ein Vollzeitparlament wie in anderen Bundesländern hat.

Bis zum vergangenen Herbst waren Sie Chef des Hauptausschusses mit seinen langen Sitzungen. Hatten Sie selbst Zeit für einen anderen Job?

Am Anfang ja. Aber es war sehr schwierig und nur möglich, weil ich meine Arbeitszeit relativ frei einteilen kann. Das sah so aus, dass ich an manchen Tagen von sieben bis neun Uhr morgens im Büro war, dann als Abgeordneter unterwegs und erst am Abend weitergearbeitet habe. Im Ausgleich musste ich so manches Wochenende arbeiten. Wenn ich bei der Bank im Schalterdienst gewesen wäre, hätte das nicht geklappt. Das war vielleicht früher etwas anders, man muss einfach feststellen, dass die Arbeitsbelastung zugenommen hat.

Warum tut sich dann in Sachen Reform so wenig? Der frühere Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann nannte das Teilzeitparlament schon 2004 „nicht konkurrenzfähig“. Als er sich bei seinem Abschied im Februar erneut für ein Vollzeitparlament stark machte, hatte sich nichts verändert.

Es gibt vor allem zwei Gegenargumente. Es wird von manchen als positiv empfunden, wenn man nebenbei noch einer anderen Beschäftigung nachgeht, die Verankerung im normalen Leben sozusagen gewährleistet ist.

Ralf Wieland

Der 55-Jährige ist SPD-Haushaltspolitiker und seit Oktober 2011 Präsident des Abgeordnetenhauses.

Aber genau das klappt ja oft nicht, wenn einer das Abgeordnetenmandat ernst nehmen will. Am meisten klagen die kleinen Fraktionen, wo jeder in mehreren Ausschüssen sitzt.

Ich sage ja nur, dass es eines der meistgenannten Argumente ist. Das andere lautet: Die Bürgernähe könnte leiden, die Wahlkreise könnten zu groß werden, wenn sich bei einer Umwandlung in ein Vollzeitparlament die Zahl der Abgeordneten verringern würde, um die Kosten im Rahmen zu halten.

Auch Sie müssten in Ihrem Weddinger Wahlkreis mehr Leute versorgen.

Ich persönlich glaube nicht, dass das ein Problem ist. Die Wege wären doch kaum weiter, ganz anders etwa als in einem Flächenwahlkreis in Niedersachsen. Ich habe mir jetzt mal den Landtag in Rheinland-Pfalz angeschaut – da ist in jedem Abgeordnetenbüro ein Klappbett eingebaut.

Standardmäßig?

Ja, weil es viele Abgeordnete abends nach Sitzungen nicht nach Hause schaffen. Das sind doch ganz andere Entfernungen als in Berlin, wo man als Landesparlamentarier in jedem Fall nach spätestens einer Stunde wieder zu Hause ist.

Wie groß wäre denn das Berliner Vollzeitparlament, das Ihnen vorschwebt?

Als Diskussionsgrundlage sage ich: Wir reduzieren von jetzt regulär 130 Mandaten – die restlichen 19 sind zusätzliche Überhang- und Ausgleichsmandate – auf 100.

Und wie viel würden die Abgeordneten statt der rund 3.300 Euro monatlich verdienen?

Wenn ich mir vergleichbare Landtage anschaue – Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Rheinland-Pfalz, Brandenburg – dann halte ich eine Größenordnung von 5.000 Euro für richtig, was die Diäten betrifft.

Vor allem die Opposition sagt: Höhere Diäten allein helfen nicht, es muss auch mehr Geld für Mitarbeiter geben. Mehr als die derzeitigen 580 Euro, die gerade im Vergleich zu den 15.000 Euro, die jeder Bundestagabgeordnete monatlich für Mitarbeiter zur Verfügung hat, sehr wenig sind.

Vor einigen Jahren gab es ja selbst die 580 Euro nicht. Es spricht tatsächlich viel dafür, hier nachzubessern, um das Abgeordnetenhaus gegenüber der Regierung zu stärken. Die Welt ist schließlich komplizierter geworden. Denken Sie bloß an die Risikoabschirmung für die Bankgesellschaft im Jahr 2002. Das war für mich ein einschneidendes Erlebnis.

Es ging ja auch um viel Geld, um 21,7 Milliarden Euro.

Damals war ich erst zwei Jahre im Abgeordnetenhaus, saß vor Ordnern mit Hunderten Seiten Juristerei und musste darauf vertrauen, dass das alles so stimmte, was die Experten mir sagten. Man kann natürlich nicht überall Fachmann sein – dafür haben wir ja die Fachsprecher in den Fraktionen. Aber ein Stück weit auch den einzelnen Abgeordneten zu stärken, finde ich mehr als notwendig.

Der Regierende Bürgermeister befürwortet ein Vollzeitparlament, meint aber auch, es müsse schon der Kosten wegen kleiner sein. Wieso nicht den Bürgern sagen: Ihr wollt bessere Kontrolle, dann wird es aber auch teurer?

Ich finde schon, dass wir hier als Politiker insgesamt selbstbewusst auftreten sollten. Demokratie kostet eben auch Geld.

Wobei selbst eine Verdopplung der Diäten im Jahr weniger als sechs Millionen Euro kosten würde, also nur 0,3 Promille des Landeshaushalts.

Umgekehrt halte ich es aber auch nicht für richtig zu sagen: Wir sparen überall, packen aber bei den Diäten was drauf – dafür war ich zu lange Haushaltspolitiker. Das muss schon ein Abwägungsprozess sein.

Ihr Vorgänger Walter Momper war anders als Sie ein Anhänger der Teilzeitvariante. Ist mit Ihnen als Präsident nun ein Vollzeitparlament nach der nächsten Wahl möglich, also ab 2016?

Ich bin bereit, die Debatte zu führen. Wenn man den aktuellen Zustand tatsächlich zur Wahl 2016 ändern will, dann muss man jetzt damit beginnen. Bevor der Prozess von Überlegungen und Entscheidungen, wer in welchem Wahlkreis antritt, in den Parteien angefangen hat, sollte das Parlament einen Beschluss gefasst haben. Sonst gibt es dafür keine Chance.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!