Streit der Woche: Sind Blitzerwarnungen unmoralisch?
Das Formatradio bringt sie zur vollen Stunde: Die Blitzerwarnungen. Angesicht vieler Verkehrstoter fragen wir: Ist das wirklich okay?
Bei rund 1,16 Millionen Unfällen starben im ersten Halbjahr diesen Jahres 1.693 Menschen, 184.500 wurden verletzt. Erhebungen aus Nordrhein-Westfalen von 2011 belegen, dass zu schnelles Fahres bei jedem dritten Verkehrstoten Unfallursache ist.
Viele Autofahrende halten sich nicht an Geschwindigkeitsbegrenzungen. Radarkontrollen sind eine Möglichkeit, derer habhaft zu werden, die sich nicht an die vorgeschriebenen Stundenkilometer halten. Es gibt jedoch nicht wenige Autofahrende, die sich verpflichtet fühlen, andere vor Kontrollen zu warnen.
„Geblitzt wird“, sagt die Radiomoderatorin auf Radio Regenbogen mit schneller, von Musik unterlegter, Stimme „auf der B 291 zwischen Schwetzingen und Oftersheim, in Karlsruhe in der Henriette-Obermüller-Straße ... in Heidelberg am Iqbalufer und in der ... „ Eine Warnung nach dem anderen liest sie vor. „Wenn Sie Blitzer sehen, rufen Sie uns an unter 08000 200 600“.
Es gibt jede Menge Radiostationen und Internetportale, auf denen Warnungen vor Geschwindigkeitskontrollen im Straßenverkehr veröffentlicht werden. Mit dramatisch zugespitzter Tonlage, mit rot-blinkenden Buttons auf den Browserseiten markiert. Der Aufruf mitzumachen, mitzumelden, fehlt nie.
Dahinter allerdings steckt eine verzerrte Wahrnehmung, eine von einer Ungerechtigkeit, die den Autofahrern und -fahrerinnen widerfährt. Blitzer sind eine Falle, in die sie hineintappen, die zuschnappt, die ihre Freiheit begrenzt. Als ginge es nicht mehr darum, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen, sondern darum, die Autofahrenden zu schikanieren.
In Nordrhein-Westfalen gab es im Februar und Juli diesen Jahres landesweite „24-Stunden-Blitzermarathons“. Angekündigt war, wo geblitzt wurde. Etwa vier Prozent der AutofahrerInnen überschritten die Geschwindigkeit. Bei unangekündigten Blitzern sind dagegen im Durchschnitt acht Prozent der FahrerInnen zu schnell.
Es gibt Fragen, über die anhand von solchen Zahlen gestritten werden kann. Etwa die, ob Blitzerwarnungen nützen, da sie offenbar zu schnell Fahrende doch veranlasst, sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten? Unterstützen also die, die dazu beitragen, vor Blitzern zu warnen, die Verkehrssicherheit? Oder geht es um etwas Anderes? Nämlich um die Freiheit der Autofahrenden, der sich nichts in den Weg stellen darf.
Bis 2007 gab auch die Berliner Polizei Warnungen vor Blitzern an die Presse, hat diese Praxis jedoch wieder eingestellt, da sie den pädagogischen Effekt nicht mehr sahen, sondern vielmehr erkennen mussten, dass Blitzerwarnungen für die Medien zu einer Marketingstrategie wurden.
Den ganzen Streit der Woche lesen Sie in der sonntaz vom 8./9. September. An jedem gutsortierten Kiosk, im eKiosk oder im Briefkasten per Wochenendabo.
Studien belegen, dass Geschwindigkeitskontrollen wirkungslos wären, wenn sie nicht mit Verwarnungen und Bußgelder kombiniert sind. Nur aufgrund der Androhung von Strafe also, sind Autofahrende bereit, sich an Regeln zu halten. Diese Dynamik spiegelt Verhaltensweisen, die Pubertierende an den Tag legen. Protestiert, wer Blitzer meldet, gegen den Vater? Den Vater Staat? Infantilisieren sich die Autofahrenden mit Blitzerwarnungen selbst? Durchbrechen sie den fragilen Konsens, der das gesellschaftliche Zusammenleben organisiert?
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