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Däubler-Gmelin über Europa„Bürger nicht dümmer als Politiker“

Herta Däubler-Gmelin ist für eine Volksabstimmung zum EU-Rettungsschirm. Vor ihrer Reise nach Karlsruhe und 37.000 Beschwerdeführern hat sie keine Angst.

Ein Schirm kann vor mehr als Regen schützen. Bild: dpa
Anja Maier
Interview von Anja Maier

taz: Frau Däubler-Gmelin, am 12. September entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Vereinbarkeit des Rettungsschirms ESM und des Fiskalpakts mit dem Grundgesetz. Werden Sie nach Karlsruhe fahren?

Herta Däubler-Gmelin: Natürlich, das gehört sich so.

Was erwarten Sie, wie wird das Gericht entscheiden?

Wenn Karlsruhe seiner bisherigen Rechtsprechung folgt, wird es feststellen, dass die rote Linie überschritten ist und dass nicht einfach zentrale Haushaltsbefugnisse des Bundestags auf die EU-Kommission und Banken-Institutionen übertragen werden dürfen.

Was, wenn das Gericht nein sagt?

Das fänden die mehr als 37.000 Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer natürlich bedauerlich. Die Auseinandersetzung um den Weg zu mehr Europa muss dann gerade unter denen weitergehen, die Europa ja wollen, aber ein soziales Europa, in dem die Bürger das Sagen haben. Nicht Banken und „Alternativlos“-Politiker. Die schaffen doch kein Vertrauen!

dpa
Im Interview: Herta Däubler-Gmelin

59, ist Juristin und SPD-Politikerin. Sie war 37 Jahre Bundestagsabgeordnete, zuletzt von 1998 bis 2002 Bundesjustizministerin. Gemeinsam mit dem Staatsrechtler Christoph Degenhardt vertritt sie den Verein „Mehr Demokratie“ vor dem Bundesverfassungsgericht.

Welchen Sinn hätte eine Volksabstimmung zum ESM?

Auf jeden Fall müssten die Parteien endlich mal anfangen, ihre Pläne und das zu erklären, was sie mit Europa vorhaben. Und es wäre klar: Europa ist nur mit den Menschen zu machen. Ich bin überzeugt davon, dass das gelingen kann.

Fürchten Sie nicht ein bloßes Nein von Bürgern, die die Materie nicht durchdringen?

Nein. Ich halte die Bürgerinnen und Bürger nicht für dümmer als Politiker oder Journalisten.

ESM, ESFS, Fiskalpakt – was erwidern Sie Leuten, die sagen, lasst mich einfach in Ruhe, das versteht kein Mensch mehr.

Ich höre zu und rede mit ihnen. Es ist erstaunlich, wie wenige einfach abblocken.

Sie kritisieren, die Bundesrepublik verkaufe den ESM als alternativlos. Was wäre denn eine ernsthafte Alternative zum Rettungsschirm?

Schwaben wie ich halten natürlich Sparen für gut und den Abbau von Schulden auch. Das nur auf den Schultern von Rentnern, Klein- und Normalverdienern zu packen, ist falsch und ungerecht. Der DIW-Vorschlag für eine Zwangsanleihe für Millionäre ist richtig und wichtig – europaweit. Der Schuldentilgungsfonds ist wichtig, um Zeit und Luft zum Atmen und Verändern zu bekommen. Außerdem ein europäischer Investitionspakt. Das gehört genau wie mehr wirksame Regeln für Finanzen, Börsen und Märkte endlich vom Europaparlament diskutiert, entschieden und kontrolliert!

Sie sind SPD-Mitglied, waren Bundesjustizministerin. Nun stellen Sie sich mit der Klage gegen die Linie der eigenen Partei. Haben Sie auch Unterstützer in der SPD?

Habe ich wirklich bei Ihnen den Eindruck hinterlassen, ich hätte während meiner aktiven Zeit als Politikerin meinen Verstand am Eingang des Parteibüros abgegeben? Natürlich sind eine Menge unserer Kläger Mitglieder der SPD, aber auch der CDU/CSU, der Grünen, der FDP und der Piraten. Der Streit geht ja quer durch alle Parteien und darüber hinaus.

Wie grenzen Sie sich gegen die ESM-Kritiker von rechts wie Peter Gauweiler ab?

Es ist nicht unsere Aufgabe, uns gegen irgendwen abzugrenzen.

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16 Kommentare

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  • R
    raptor-erectus

    @aristo:

     

    "Die 37.000 Unterstützer haben diese Klage vor ihrer Unterstützung gar nicht lesen können, denn dann hätten sie bemerkt, das diese Klage NICHT gegen den ESM ist."

     

    Genau das belegt doch meine Wertung: das Volk denkt nicht mehr und will auch garnicht mehr lesen oder verstehen, es hat nur noch die Nase voll und stuermt nach vorn und wenn es nur in Form einer blinden Unterschrift unter ein (verstaendliches) Schriftstueck ist, von dem es der Meinung ist, dass es HILFT.

     

    Trotzdem danke fuer die Aufklaerung.

  • K
    Kinnal

    Zuweilen hat man den Eindruck, dass nicht nur viele deutsche Abgeordnete, sondern auch viele deutsche Journalisten den Vertrag über den ESM entweder nicht genau gelesen, oder ihn nicht verstanden haben.

     

    In diesem »Schulungsvideo« werden einige der kritische Stellen des ESM anhand des Originalvertragstextes näher beleuchtet:

    http://youtu.be/r4crr-kX9zc

  • FK
    Franz Kafka

    Wie wär's denn erst mal mit einer Volksabstimmung über das Provisorium Grundgesetz, damit das "Bundesverfassungsgericht" sich auch mal mit

    seinen Urteilen auf eine Verfassung berufen kann?

  • PA
    Peter A. Weber

    Die Frage, ob die Bürger nicht dümmer als Politiker oder Journalisten sind, kann man nicht pauschal beantworten, denn abgesehen von evtl. vorhandener Dummheit auf beiden Seiten spielt der Informationsgrad eine entscheidende Rolle. Unter diesem Aspekt ist der Grad der Kompetenz auf allen Seiten nicht sehr ausgeprägt - insbesondere nicht bei der Masse der Bürger.

     

    Diese Thematik wird natürlich brisant, wenn es um die Einführung von direkteren Demokratieformen geht. Es schließt sich die entscheidene Frage an, ob wir bei einer Politik, die von Mehrheitsentscheidungen bestimmt ist, wirklich besser fahren würden. Dies würde ich eher verneinen, weshalb es viel wichtiger wäre, die Kompetenz und Unabhängigkeit der Entscheidungsträger zu optimieren. Wenn in der Menschheitsgeschichte immer die Mehrheit maßgebend gewesen wäre, hausten wir noch in Höhlen. Denn alle Impulse und Entscheidungen, die die Menschheit vorangebracht hat, wurden von Einzelnen oder Minderheiten getragen und die Masse ist ihnen nur gefolgt.

  • R
    Renegade

    „Bürger nicht dümmer als Politiker“ . In der Tat, aber "nicht weniger kompetent" macht noch lange nicht "kompetent"...

  • BG
    Bernd Goldammer

    Wenn Politiker die Bürger unseres Landes nicht mehr für ihre küntigen Vorhaben gewinnen können, dann ist die ganze Demokratie bereits gescheitert. Ich glaube,Letzteres ist bereits passiert. Wir sollten uns mal wieder Zeit nehmen und das deutsche Grundgesetz lesen. Dann stellt man fest, wie sehr die Politiker und die von ihnen auserwählten Verfassungsrichter unser Land bereits verschandelt haben.

  • N
    norbert

    Meint Sie wirklich alle Buerger?? Mindestens 80% haben doch von Politik und Geschichte keinen blassen Schimmer. Vor einer Entscheidung dieser

    ahnungslosen Mehrheit graut mir.

  • LH
    Lars Herdt

    Alles richtig Frau Herta Däubler-Gmelin...nur das auch Sie wieder einmal "Linken-bashing" betreiben. "Die Linke" kommt bei Ihrer Aufzählung nicht vor. Alle anderen Parteien schon!Das ist erbärmlich und hat in Ihrer Partei leider Tadition!

    Die Linke war zum wiederholten mal die erste Partei die sofort angekündigt hat vor das Verfassungsgericht zu ziehen falls der ESM von den Pareien mal eben durchgewunken wird.

    Nur, liest man in unseren Qualitätsmedien leider überhaupt nichts mehr davon!

     

    Es fällt so langsam auch den dümmsten Michel auf das die Linke in diesem Land nur noch diffamiert und zu Unrecht völlig arrogant ignoriert wird!Frau Herta Däubler-Gmelin ich bin auch einer der 37000 Unterzeichner und werde bei der BT Wahl mit Sicherheit keine der von Ihnen aufgezählten Parteien wählen.Zzzz...

  • R
    Reinhard

    warum erwähnt Frau Däubler-Gmelin die Mitglieder der Linken nicht in ihrer Aufzählung. Anscheinend bestimmt doch noch das SPD Parteibüro, welche Partei sie in einem Interview erwähnen darf und welche nicht. Der größte Block der Klagenden dürften Mitglieder der Linken sein, denn diese Partei hat sich als einzige von Anfang an gegen den Demokratieabbau wegen der "EURO-Krise" gewandt. Vielleicht kann die Redaktion zum Anteil der Linken unter den Klagenden noch genauere Angaben veröffentlichen.

  • G
    Georg

    Ich hoffe Frau Däubler-Gmelin behält recht und die Bürger wollen tatsächlich ein soziales Europa der Mitbestimmung. Die ganzen Leute die einem Gauweiler folgen wollen einen starken Nationalstaat Deutschland, das mit einer starke nationalen Partei sich gegen "die Südländer" behauptet. Die Nationalisten müssen unter allen Umständen bekämpft werden.

  • A
    aristo

    Gmelin vertritt die Klage von dem Verein Mehr Demokratie e.V.

     

    Die 37.000 Unterstützer haben diese Klage vor ihrer Unterstützung gar nicht lesen können, denn dann hätten sie bemerkt, das diese Klage NICHT gegen den ESM ist.

  • A
    ada

    hmm, die Fragen sind teilweise so tumb ... , erstaunlich daß Frau Däubler-Gmelin das Interview nicht abgebrochen hat.

  • R
    raptor-erectus

    Liebe Artikelverfasserin, Ihre Frage "...Fürchten Sie nicht ein bloßes Nein von Bürgern, die die Materie nicht durchdringen?..." ist geeignet, die diesbezueglichen expliziten Erklaerungen des Politikers Stroebels waehrend der Anhoerung vorm BVG auf die Frage Vosskuhles zum "Verstaendnis" fast aller unterzeichenden Bundestagsabgeordneten zum ESM einfach auszublenden. Soviel zur Durchdringungsintelligenz unserer ueberbezahlten Volksvertreter und dem sicheren Instinkt des kleinen Mannes, der ja nun durch Internetbenutzung immer wissender wird. Einfach ruehrend, wie ein Gespraech zweier hochintellektueller Menschen praesentiert wird, um auch mal die Meinung von Daeubler-G. zu erfahren. Wir haben nun seit einigen Tagen genug Aeusserungen der ESM-Ja-Schreier, denen es nur um Erhalt der Posten geht, gehoert; wichtiger ist nun eine Befragung betreff der Stimmungslage des kleinen Mannes auf der Strasse. Oder meinen Sie, dass eruebrigt sich wegen der Lesekommentare?

  • E
    EuroTanic

    Die Klage von Mehr Demokratie e.V. ist ein Trojanisches Pferd. Denn die Klage beeinhaltet genau das Gegenteil der Ankündigung des Vereins. Mit der Klage soll die Demokratie und das GG abgeschafft werden. Schlau gemacht, 37.000 Menschen sind drauf reingefallen. Ich habe meine Zeichnung schriftlich zurückgezogen. Dazu rate ich jedem.

  • JN
    Jour Naille

    Wir wiederholen:

     

    "Nein. Ich halte die Bürgerinnen und Bürger nicht für dümmer als Politiker oder Journalisten."

     

    Frage des klugen Journalisten:

    "Fürchten Sie nicht ein bloßes Nein von Bürgern, die die Materie nicht durchdringen?"

  • DG
    der gewerkschaft ohne boden

    oft sind die dümmer als du. gefährlich wirds erst, wenns um die strategische intelligenz geht. da sind alle gewählten schlauer. is schon wieder wahlkamf?